Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen
p aufstehenZur Gründung der Initiative „Aufstehen“

Constanze Weinberg

Buxtehude (Weltexpresso) - Das hat es schon lange nicht gegeben, dass ein Ereignis bereits im Vorfeld so viel Interesse auf sich zog, wie das bei der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ der Fall war. Und schon lange war die Bundespressekonferenz nicht so proppenvoll, wie bei der Gründung am 4. September und deren Bekanntgabe durch die Initiatorin Sahra Wagenknecht und einigen Mitstreiter aus unterschiedlichen Lagern, darunter die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange von der SPD, die damit der eigenen Partei die Stirn bot. Noch während der Fernsehübertragung beschimpfte Ralf Stegner die Gründer der Initiative als „notorische Separatisten“.

Die Veranstaltung selbst verlief ohne die üblichen Ausfälle gegen Sahra Wagenknecht als ehemalige Wortführerin der Kommunistischen Plattform innerhalb der Linkspartei. Deren Vorsitzende Katja Kipping und Bernd Riexinger haben das Vorhaben der Parteifreundin stets argwöhnisch beäugt, so als drohte mit der linken Sammlungsbewegung ein Konkurrenzunternehmen oder gar eine feindliche Übernahme. Sahra Wagenknecht wird über kurz oder lang deutlich machen müssen, wie sie es auf Dauer mit ihrer Doppelrolle als Parteipolitikerin und Kritikerin des etablierten Parteienbetriebs halten will. Was ihr vorschwebt, machte sie an zwei Beispielen deutlich: Sowohl die Friedensbewegung als auch die Umweltschützer hätten viel bewirkt, ohne sich als Partei zu organisieren. Auch heute gehe es um einen politischen Aufbruch. Innerhalb weniger Wochen hätten sich mehr als 100 000 Menschen zur Mitarbeit bereit erklärt. Damit hat die Bewegung schon jetzt erheblich mehr Unterstützer, als Grüne, FDP oder Linke Mitglieder haben, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung hervorhebt..

Die Sammlungsbewegung will all Jenen ein Forum bieten, die sich von den Parteien vernachlässigt oder nicht ernst genommen fühlen und die den sozialen Problemen zu mehr Beachtung verhelfen wollen. Im Gründungsmanifest heißt es dazu, der Profit triumphiere über das Gemeinwohl, das Geld über die Demokratie. Deutschland baue weltweit gefragte Autos und Maschinen, aber schicke seine Kinder in marode Schulen. Sarah Wagenknecht brachte es auf die Kurzformel: „Der Kern ist die soziale Frage“. So war es auch 1933. Die soziale Notlage breiter Bevölkerungsschichten verhalf den Nazis zur Macht. Den Rest besorgte die Uneinigkeit der beiden Linksparteien SPD und KPD bei der Verteidigung der Demokratie gegen den Rechtsextremismus.

Auch die rechte AfD wäre nicht schon beim ersten Anlauf stärkste Oppositionsfraktion im Bundestag geworden, hätten andere ihr nicht den Boden bereitet und das Sprungbrett gezimmert, angefangen vom Abbau sozialer Errungenschaften unter der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten Gerhard Schröder, Stichwort Agenda 2010, bis hin zum Wischiwaschismus von Angela Merkel, der unübertroffenen Meisterin im Zerreden von Problem und im Verkleistern der Ursachen der tiefen Kluft zwischen Arm und Reich.

Es ist Gefahr im Verzug. Die Bereitschaft so vieler Menschen, eine Gegenmacht gegen das laissez faire des Berliner Politikbetriebes aufzubauen, stimmt gleichwohl zuversichtlich. Der Frust reicht längst weit in die bürgerliche Mitte hinein und verlangt nach einer befreienden Tat. In Chemnitz hat der Faschismus seine Fratze gezeigt. „Es war höchste Zeit für eine linke Sammlungsbewegung“, heißt es in einem redaktionellen Kommentar des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ (Nr.33/2018, S. 33). Und in der Süddeutschen Zeitung vom 5. September schreibt Heribert Prantl: „Es gibt ein aktivierbares zivilgesellschaftliches Reservoir gegen AfD und Pegida, aus dem die klassischen Parteien nicht schöpfen konnten. Statt Gift, Galle oder Häme auf die neue Sammlungsbewegung zu schütten, sollten sich diese Parteien, Linke und SPD eingeschlossen, überlegen, warum das so ist. Die große Offensive gegen die Wiedergeburt der braunen Wahnideen und Idiotien traut man ihnen nicht zu. Daraus entsteht der Hunger nach etwas Neuem; die Sammlungsbewegung ist ein Versprechen, den Hunger zu stillen.“

Foto:
© swr.de