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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2018 10 28 um 09.20.45In der Knesset streiten sich zurzeit die Koalitionspartner, und Avigdor Lieberman droht erneut mit einem Krieg in Gaza

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Kriege vom Zaune zu brechen, sei eine einfache Sache, besagt ein abgedroschenes Sprichwort. Schon schwieriger sei es, fährt das Sprichwort sinngemäss fort, einen einmal laufenden Krieg wieder zu beenden.

Suchen wir in Israel nach Prominenten aus dem politisch-militärischen Bereich, die sich dieses Sprichwort zum Lebensinhalt gemacht zu haben und ihm nachzuleben scheinen, drängt sich in diesen Tagen eine Person förmlich auf: der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. An der dieswöchigen Sitzung­ der Knessetkommission für Aussenpolitik und Verteidigung meinte der für seine undiplomatische Direktheit bekannte Lieberman,­ Gaza würde Israel «keine Wahl» lassen, und: «Nichts anderes als die harscheste Antwort» würde da noch helfen.

So viele Drohungen und orakelhafte Wortspielereien in so kurzer Zeit zu ein und demselben Thema er­innern an die beruhigende Weisheit von den bellenden Hunden, die nicht beissen. Richtig, für gewöhnlich beißen Hunde nicht, die bellen. Wenn man aber unaufhörlich bellt, könnte sich ein sich selber regulierender Automatismus einstellen, denn wenn Hunde so pausenlos bellen, können sie letzten Endes vielleicht nicht mehr anders als zu beißen, auch wenn sie es ursprünglich gar nicht wollten. Die Prioritäten ändern sich eben. Und in Israel sind die sich abzeichnenden Knessetwahlen sicher ein Spitzenreiter, was den Run auf die obersten Prioritäten angeht. Und hier droht Lieberman in der Person von Ex-Generalstabschef Benny Gantz eine politisch derart ernstzunehmende Konkurrenz, dass sich der heutige Verteidigungsminister mit seinen mageren fünf Knessetsitzen ernsthaft sorgen kann. Da könnte man fast Verständnis dafür aufbringen, wenn er der ständigen Drohung mit einem neuen Gaza-Krieg nicht länger widerstehen wollte und grünes Licht für den Marsch der IDF durch den Grenzzaun erteilte.


Differenzen zwischen Koalitionspartnern

Obwohl die Frage von vorgezogenen Knessetwahlen noch gar nicht endgültig geklärt ist, zeigt ein Blick auf den Verlauf der Debatten der Sitzung der parlamentarischen Kommission für Aussenpolitik und Verteidigung, wie die israelische Tagespolitik bereits «bis über beide Ohren» Einfluss nimmt auf Dinge, die über den politischen Alltag hinausgehen. So war in der Sitzung eine weitere Eskalation der sattsam bekannten Divergenzen zwischen den Ministern Lieberman und Naftali Bennett (Das Jüdische Haus) festzustellen. Dabei warf der Verteidigungsminister dem Bildungs­minister vor, politisches Kapital aus der Causa des Beduinendorfs­ Khan al-Ahmar schlagen zu wollen. Zur Erinnerung sei darauf hinge­wiesen, dass das Gericht wohl die erzwungene Räumung des illegalen Dorfes angeordnet hatte, dass aber Premier Binyamin Netanyahu diesen Schritt bis auf weiteres sistiert hat.

Während Lieberman zuerst die Räumung befürwortete, schloss er sich jetzt, wahrscheinlich aus Opportunismus, den Gegnern an. Bennet dagegen hielt die ganze Zeit über konsequent an der Ablehnung der Räumungsverzögerung fest, wohl ein Opportunismus in der anderen Richtung. Lieberman wiederum benutzte die Sache für eine Breitseite gegen den Bildungsminister: «Bennett hatte bis letzten Samstagabend keine Ahnung von der geplanten Evakuierung. Weder half er der Sache noch befasste er sich mit ihr. Vielmehr beschloss er einzig, wie immer auf den fahrenden Zug aufzuspringen. In einem ist Bennet ausgezeichnet: Er benutzt jeden Sicherheits-Zwischenfall für seine eigenen politischen Zwecke.» Wahrscheinlich, so fügte der Verteidigungsminister hinzu, wisse Bennett nicht einmal, wo Khan al-Ahmar liegt.

Dieser Beschuldigung widersprach Bennett, der darauf hinwies, seit seinem Dienst in einer IDF-Spezialeinheit genau zu wissen, wo das Dorf sich befinde. Und als Retourkutsche an den Verteidigungsminister konnte er es sich wahrscheinlich nicht verkneifen, hinzuzufügen, dass Israel damals einen rechtsgerichteten Verteidigungsminister hatte, der «sein Wort zu halten pflegte». Da bis zu den Wahlen wahrscheinlich noch einige Monate verstreichen werden, kann davon ausgegangen werden, dass sich im Hinblick auf den nötigen Stimmenfang die Atmosphäre zwischen den kleineren, heute (noch) in der gleichen Koalition sitzenden Parteien weiter verschlechtern wird.


Pessimistische Äusserungen

Beim Abgleiten in die Sphäre der persönlichen Querelen verschiedener Minister darf natürlich nicht übersehen werden, dass im Mittelpunkt der Debatte der genannten Kommission die Rolle der Terrororganisation Hamas stand. Auch hier tat Lieberman sich verbal hervor. Es gebe gar keinen spontanen Volksaufstand, meinte er in Bezug auf die gewalttätigen Demonstrationen am Grenzzaun. «Diese Gewalt wird von der Hamas organisiert. 15 000 Menschen kommen nicht zu Fuss aus eigenem Antrieb an die Grenze. Sie kommen vielmehr per Autobus und werden bezahlt.» Die Hamas kontrolliere die Kundgebungen, fuhr Lieberman fort, doch Israel könne Schritte zur Abschreckung unternehmen, meinte der Verteidigungsminister weiter, bevor er sich zum Schluss-Crescendo durchrang: «Ich glaube nicht an die Erzielung eines Abkommens mit der Hamas. Es hat in der Vergangenheit nie funktioniert, funk­tioniert heute nicht und wird auch in Zukunft nicht funktionieren.»


Foto:
Ein palästinensischer Demonstrant schleuderte am Montag Steine auf israelische Truppen während eines Protestes im nördlichen Gazastreifen
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 26. Oktober 2018