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Kategorie: Zeitgeschehen
Ramelown tvEine Hausfrau schreibt an CDU-Generalsekretär Ziemiak

Adele Hübner-Neuwerk

Insel Neuwerk (Weltexpresso) - Sehr geehrter Herr Ziemiak,
Sie können von Glück sagen, dass am Sonntag nicht in Thüringen gewählt wird. Dort würde die CDU laut Infratest von 29 auf katastrophale 13 Prozent abstürzen. Die Linke von Bodo Ramelow bliebe mit 39 Prozent stärkste Kraft, während es die AfD  auf 24 Prozent brächte.


Seit ich das weiß, mache ich mir keine Gedanken mehr über das das Wie und Warum ihrer Parteifreunde in Thüringen. Sie haben einfach Angst vor Neuwahlen, weil ihre Anhänger ihnen heimzahlen würden, was die CDU sich dort geleistet hat. Sie selbst  sagten: „Es geht um Grundwerte und Glaubwürdigkeit und nicht um parlamentarische Mehrheiten.“

Ich bitte Sie, bei Wahlen geht es immer um Mehrheiten. Was sie Grundwerte und die Glaubwürdigkeit der CDU betrifft, so haben Ihre Leute in Thüringen sie durch die Kungelei mit der AfD mit Füßen getreten, nur um Ramelow als Ministerpräsidenten zu vertreiben. Damit die Karre aus dem Dreck kommt, hatte der ihrer Parteifreundin Christine Lieberknecht seine Stelle angeboten. Weil das auf baldige Neuwahlen hinausgelaufen wäre, hat die CDU die Notbremse gezogen und einen Plan vorgelegt, der die Wahl auf den Sankt Nimmerleintag verschob.

Zu dieser Trickserei hatte Frau Lieberknecht keine Lust und holte Sie, Herr Ziemiak, mitsamt der ganzen Parteiführung auf den Boden der Tatsachen zurück. Eine parlamentarische Regierungsmehrheit sei „verlässlich nur zwischen CDU und Linker möglich“, sagte sie. Es gebe keine Alternative zu einer „verlässlichen Partnerschaft“ mit der Linken, ob man sie Projektregierung oder anders nenne. Das seien „realpolitische Sachzwänge, Bundesbeschlüsse hin oder her“. Wissen Sie, was das bedeutet?  Das bedeutet, dass eine führende CDU-Politikerin eine Koalition aus CDU und Linkspartei für denkbar hält.

Ihre Partei, Herr Ziemiak, beruft sich auf den Beschluss des Hamburger Parteitages, der da lautet:  „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch  mit der Alternative für Deutschland ab.“ Danach hätte die CDU niemals zusammen mit der AfD des Herrn  Höcke diesen Kemmerich von der FDP wählen dürfen, nur um den mit den meisten Stimmen gewählten Bodo Ramelow aus dem Amt zu werfen. Aber da hat sie auf die Grundwerte gepfiffen und die Glaubwürdigkeit der CDU war ihr auch schnurz, Hauptsache, die Linkspartei hatte das Nachsehen.

Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, Reinhard Schramm, hat der CDU wegen der prinzipiellen Gleichsetzung von AfD und Linkspartei die Mitschuld an der verfahrenen Situation im Lande gegeben. Im Gespräch mit der „Jüdischen Allgemeinen“ nannte er die Gleichsetzung von Ramelow und Höcke „unverschämt und unmoralisch.“  Selbst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ kam am 19. Februar zu dem Schluss, alle Beteiligten müssten „aus dem Erfurter Dilemma lernen, auch neue Wege und Koalitionen zu wagen“; denn es sei keineswegs ausgeschlossen, „dass es nach künftigen Wahlen, insbesondere im Osten der Republik, ganz ähnliche Konstellationen geben könnte“.  Ein dritter Weg bestünde meiner Meinung nach vielleicht darin, sich ein anderes Wahlvolk zu suchen, wie das Bert Brecht der SED-Regierung des Arbeiter- und Bauern-Staates nach dem Aufstand vom 17. Juni unter der Überschrift „Die Lösung“ empfahl:

„Nach dem Aufstand des 17. Juni / Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands / In der Stalinallee Flugblätter verteilen / Auf denen zu lesen war, dass das Volk / Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe / Und es nur durch verdoppelte Arbeit / Zurückerobern könne. Wäre es da / Nicht doch einfacher, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?“

Damals waren Sie noch nicht auf Welt, verehrter Herr Ziemiak, aber es schadet nicht, den Blick gelegentlich etwas zu weiten,

meint die ihnen gleichwohl freundlich gesonnene

Hausfrau Adele Hübner-Neuwerk.

P.S.
Soeben erfahre ich, dass sich die Situation in Thüringen erneut verändert hat, und Sie vor einem neuen Dilemma stehen: Dem künftigen Umgang mit der Linkspartei; das absolute Nein zu jeglicher Zusammenarbeit wird wohl kaum zu halten sein.

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