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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2020 10 09 um 03.36.06Fernsehdebatte der Zweiten:  Mike Pence und Kamala Harris

Andreas Mink 

New York (Weltexpresso) - Der Schlagabtausch zwischen Mike Pence und Kamala Harris dürfte den Vormarsch der Demokraten bei den Umfragen nicht gestoppt haben.  Vielleicht war diese Debatte zu «normal» und deshalb «langweilig»: Jedenfalls fand auf Twitter eine Fliege starke Beachtung, die gut zwei Minuten lang auf dem weissen Haupt von Mike Pence parkierte.

Der hat einmal mehr unter Beweis gestellt, dass er als politischer Profi nicht unterschätzt werden darf. Schon aus seinen Jahren als Gastgeber einer konservativen Radio-Show rhetorisch geübt, behält Pence im Gegensatz zu seinem Boss unter Druck die Nerven und versteht es, selbst platteste Lügen mit dem selbstgerechten Pathos eines Bibel-Verkäufers unter die Leute zu bringen. Pence hat diese Qualitäten letzte Nacht in der Vize-Debatte mit Kamala Harris demonstriert und geriet kaum einmal in Verlegenheit.

Wie Kommentatoren notierten, hat er ständig Unwahrheiten speziell über die Reaktion seiner Regierung auf die Virus-Pandemie, die Anerkennung des Klimawandels als Menschenwerk oder deren Absicht verbreitet, Bürgern den Versicherungsschutz für chronische Leiden zu entziehen. Aber Pence hat sich wacker geschlagen und brachte am Ende sogar die Obsession Trumps über eine 2016 angeblich von der Obama-Regierung und dem «Deep State» gegen ihn orchestrierte Sabotage auf. Damit konnte er einmal mehr von Covid-19 ablenken und eine übermenschliche Fähigkeit demonstrieren, sich bei seinem Chef anzubiedern. Aber ausserhalb des harten Kerns der Trump-Basis stösst dieses Thema auf Unverständnis.

Auch die wiederholte Unterstellung, Biden wolle das «Fracking» von Erdgas verbieten, dürfte die überwältigende Mehrheit der Wähler kalt lassen: Das Thema mag in Pennsylvania regional wichtig sein. Aber selbst dort sind in der Branche nur einige tausend Beschäftigte tätig und nicht «hunderttausende», wie von Pence behauptet. Spannend für politische Junkies: Offenkundig hat die Trump-Kampagne das Thema Kohle vollkommen fallen lassen – 2016 noch ein Dauerbrenner. Doch der Präsident konnte den Niedergang dieses fossilen Brennstoffs nicht aufhalten.

Und darin liegt das Problem dieser Performance. Pence hat die Misere der Trump-Kampagne nicht verschlimmert. Der Präsident liegt nun im Schnitt der Umfragen zehn Prozent hinter Biden – ein Rekord zumindest in diesem Jahrhundert. Zudem droht den Republikanern deshalb nun ernsthaft der Verlust ihrer Mehrheit im Senat. Aber Pence dürfte weder die sechs bis acht Prozent Unentschlossenen, noch Anhänger von Joe Biden ins Boot der «Grand Old Party» geholt haben – im Gegenteil. Dies gilt besonders für die match-entscheidenden, besser gebildeten (weissen) Frauen in Vororten: Pence überzog ständig seine Zeit, wich Fragen der Moderatorin Susan Page aus und unterbrach Harris. Er entsprach damit dem Klischee des selbstherrlichen und respektlosen Machos, das Frauen quer durch alle Schichten ins Lager der Demokraten treibt.

Harris liess sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen und verlor zu keinem Moment die Fassung. Dabei hatte sie die komplexere Aufgabe: Harris musste sich der Nation als kompetent und selbstbewusst vorstellen, gleichzeitig aber auch als Team-Player und loyale Nummer Zwei. Dies ist ihr gut gelungen. Harris griff Pence effektiv beim Thema Covid-19 an, verzichtete aber von Anfang an auf permanentes Fact-Checking der Aussagen von Pence. Stattdessen rühmte sie die menschlichen Qualitäten und die Erfahrung von Biden, wandte sich zudem immer wieder direkt an das Publikum mit dem Versprechen, die Nation zu einen und mit einer kompetenten Führung auch wieder global zu verlorener Grösse zurückzuführen.

Unterm Strich dürfen beide Parteien mit diesem Abend zufrieden sein – aber der Vorteil liegt 26 Tage vor den Wahlen weiterhin bei Biden und Harris.

Foto:
Mike Pence (rechts) und Kamala Harris (links) bei ihrem gestrigen Schlagabtausch.
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 8. Oktober 2020