Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2021 05 23 um 00.51.35DAS JÜDISCHE LOGBUCH Ende Mai

Yves Kugelmann

Basel /Weltexpresso) -  Der Blick auf den Basler Barfüsserplatz könnte symptomatischer für den Konflikt in Nahost nicht sein. Widersprüchlich, geschichtsbelastet, komplex. Das historische Museum Basel ziert ein großes Ausstellungsplakat «Grenzfälle – Basel 1933–1945». Daneben das Basler Stadtcasino, in dem einst Theodor Herzl beim Ersten Zionistenkongress von 1897 seine Vision einer jüdischen Heimstätte und somit eines modernen Staates Israel skizzierte. 
Davor an diesem verregneten Samstagnachmittag vorwiegend junge Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer unbewilligten Kundgebung für die Solidarität mit Palästina. Am Rande beobachten in großer Entfernung drei Polizisten mit Helmen und die Ordnungsdienste der BVB das Geschehen. Die Atmosphäre ist friedlich. Die Sprechgesänge mitunter irritierend bis verstörend: «From the river to the sea, Palestine will be free», «Israel Terrorist», «End the Apartheid».

Aus den Gesichtern der Menschen spricht Ohnmacht, nicht Aggression. Menschen erzählen im Gespräch von der Sorge um Familienangehörige in Gaza, Flucht- oder Kriegserfahrungen. Über der Szenerie schweben große Seifenblassen, auf denen Regenbogenfarben schillern. Sie stammen von Julius, einem älteren Mann mit weißen langen Haaren. An seiner Brust hängt ein grosser Davidstern. Der jüdische Strassenkünstler Julius ist vor 40 Jahren aus Ungarn in die Schweiz emigriert und steht nun mitten auf dem Barfüsserplatz. Er ist zufällig da, spielt während der Kundgebung mit Kindern – meist aus den palästinensischen, ägyptischen und afghanischen Familien.

Als auf einmal eine junge Frau mit einer Israel-Fahne durch die Kundgebung rennt, folgen ihr rund zehn Demonstranten und werden nach 50 Metern von Teilnehmern gestoppt und in eine heftige Diskussion verwickelt: «Das sind nicht wir!», «Unsere Sprache ist nicht die Gewalt», heißt es von den Demonstrierenden. Einige Medien und -portale rapportieren eine «Hetzjagd» oder «Eskalation», sprechen von «Lynchmob» und zeigen in diesen Tagen ebenfalls symptomatisch, wie die Kulisse Teil des Hamas-Israel-Konflikts und Israel zu einer Art politischem Fetisch wird, zwischen hasserfüllter Ablehnung, übergriffigen Vereinnahmung und seltsamen Umarmungen. Nach rund zweieinhalb Stunden löst sich die Kundgebung auf. Die Menschen, viele Familien mit Kindern, machen sich in alle Richtungen auf. Julius packt seine Sachen zusammen .

Foto:
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 21. 5. 2021
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.