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Kategorie: Zeitgeschehen
Lobbyismus contra DemokratieDas Weichwerden der Politik im Hinblick auf Unternehmen und deren Verbände - als Lobbyismus - ist dissoziativ, Teil 1

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es begründet eine dauernde Schieflage im Gesellschaftsprozess und vergibt Chancen beständiger Erneuerung. Indizien für massives Ungleichgewicht sind dubiose Parteispenden und ein bedeutender Anteil an Nebeneinkünften.


Regierung, kontrolliert von Lobbyisten

Sehen wir vom mit Esprit gesegneten Gregor Gysi mal ab, der neben dem Abgeordnetensalär 566 000 Euro für pointierte Vorträge und unterhaltsame Veranstaltungen einnahm, so bleibt es schwierig, dass die ehemalige Gesundheitsministerin seit der letzten Wahl über 249 500 Euro hinzuverdiente. Sie machte eine Entwicklung vom maoistischen KBW hin zum Seeheimer Kreis. Die Filmstudie Geld Macht Politik der ARD fragte kürzlich: „Warum geht es in Deutschland mit der Energiewende so zäh voran?“- Antwort: „Das liegt nicht zuletzt an dem Einfluss von Lobbys auf die Politik“. Kürzlich wurde der Fall Amthor durch die Medien geschleift, der beim Wirtschaftsministerium Werbung für ein Start-up gemacht hatte und daraufhin einen Direktorposten erhielt, mit einem dazugehörigen Zubrot an Aktienoptionen. „Das sorgte für Empörung“. Es ist reizvoll, wie er sich als Jurist aus dem Schlamassel herauszureden versucht. Amthor verzichtete auf den Landesvorsitz in Mecklenburg-Vorpommern, „aber Spitzenkandidat für die Bundestagswahl wurde er trotzdem“.

Besagte Sendung stellt auch einen Marco Bühlow (vordem SPD, jetzt fraktionslos) vor, der mit der SPD-Politik in diesen Dingen nicht mehr klarkam und aus der SPD austrat, weil seine Partei sich als inkonsequent erwies als sie das Lobbyregister „bei den Koalitionsverhandlungen immer als erstes abgelegt hat“. Er schließt, daraus, dass es im demokratischen Prozess weniger um Argumente als um Lobbyinteressen geht. Es können im Bundestag knapp 800 Interessenvertreter ein und ausgehen, mehr als es Abgeordnete gebe. Auch werde zu viel Zeit mit Lobbyisten verbracht. Was aber gar ganz die Höhe ist: wer bei dem Spiel nicht mehr mitmache, bekomme sofort Druck aus der Fraktionsspitze, wobei die Anzahl der Treffen mit Lobbyisten mitspiele.

Julia Klöckner, die Weinkönigin im Ministeramt

Sie ist das rote Tuch der Lobbykritik, weil sie sich im Netz der Ernährungslobby verfangen hat. Überdies lässt sich nicht übersehen, dass die Lobbyisten die Regierungsflure emsig frequentieren, um die Volksvertreter zu bearbeiten. Mehr auch wird eine Ernährungsindustrie, der Ausdruck sagt schon alles, mit Gehör bedacht als die Verbraucher- und Verbraucherinnen-Verbände. Unschön in Erinnerung bleibt, wie 2009 Julia Klöckner in einem Video mit dem Deutschlandchef des Nestle-Konzerns Eintracht verbreitete. Das empörte eine kritische Öffentlichkeit. Sie gab aber an, mit verschiedenen Interessen im Dialog zu sein. Die Sendung konstatiert: „Mit uns aber nicht. Unsere mehrfache Interviewanfrage lehnt Klöckner ab“. – Sie meinte aber noch: „Ich habe viel Neues erfahren“. Dass weniger Zucker, Salz und Fett besser wären, würden die Bürger schon gerne mögen.

Oliver Huizinger kämpft mit Foodwatch bereits lange gegen Softdrinks, die die eminent zuckerhaltigen Getränke unter dem Label grün, gesund und leicht im Geschmack offerieren. Doch WHO, medizinische Fachschaften, Ärzte, Krankenkassen, Verbraucherschützer wissen ein Lied über den Missbrauch dieser Vorspiegelungen zu singen. Sie sind verlogen, unanständig, irreführend. Die Adipositas ist auf dem Vormarsch. Die zuständige Industrie aber will jegliche Regulierung verhindern, arbeitet auch mit der strategischen Lüge, unter Vorspiegelung anerkannt wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Die ARD lässt einen Werbespot in Zeichentrick aus den Fünfzigern laufen. „Zucker zaubert, ihre Linie bleibt, so schlank wie eine Pinie“ – „Zucker zaubert, nimm deshalb mehr!“ – Südzucker gibt an, Gefahren seien wissenschaftlich nicht belegt. Dazu hilft Christoph Minhoff, vom Verband eingestellt, ehemals Moderator bei Phoenix, ein Überläufer. Foodwatch plädiert für eine Zuckersteuer, wie sie GB seit 2018 hat. Dadurch konnte der Zuckergehalt im Sprite auf nunmehr drei Würfelzucker reduziert werden. In Deutschland sind es noch doppelt so viele. Das Ernährungsministerium setzt auf Freiwilligkeit. Foodwatch meint dazu: Verantwortungslos.

Lobby war schon in der Antike ein übliches Verfahren

Die Sendung trifft sich mit dem Lobbyisten Karl Jurka.in seinem „heute geschlossenen“ Lieblingsrestaurant als einem klassischen Ort der Zusammenkunft von Politik und Wirtschaft. Abgeordnete könnten zu Fuß hierherkommen. Er arbeitet u.a. für internationale Finanzkonzerne und die Autoindustrie. Er sei „lieber Lobbyist als Politiker“ bzw. “lieber Regisseur als Schauspieler“, d.h. wohl auch: ein Sonderpolitiker. Sein Stundensatz beträgt 650 Euro, das ist die gängige Größenordnung. Die Sendung meint: „Das können sich nur die wenigsten leisten", so kritisiert auch Lobby-Control. Die Folge: „Eine Waffenungleichheit der Interessenvertretung“. Lobbyisten arbeiten ganz unterschiedlich. Ganz wesentlich ist wohl immer die Verbreitung einer Wohlfühlatmosphäre und das Ansprechen der in der Region angesiedelten Fußballmannschaft. Die übliche Lobbyinteressenpolitik führe leicht dazu, dass nur kurzsichtige Politik gemacht werde. Beim Braunkohleausstieg ist das Arbeitsplatzargument - 20 000 - höher angesiedelt, als der drängend nötige, sehr baldige Kohleausstieg (wie wir jetzt zu wissen bekamen). Im Hintergrund wird gern auf Millionen Arbeitsplätze hin assoziiert. In diesen veränderten Zeiten dürfe aber nur das vernünftige Argument gelten.

Generell lässt sich sagen, dass die Union wenig Berührungsängste mit Lobbyisten hat. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Patrick Schnieder meint, in der Politik gehe es immer um Interessen. Wie billig. Katja Wischniewster von Lobby-Control wirft ein, dass die wirtschaftlichen Interessengruppen sich mehr Lobbyismus leisten können als Nichtregierungsorganisationen. Schnieder kontert: „Es geht um das bessere Argument“. Aha. Der Sprecher der Sendung dazu: „Für Lobby-Control eine schöne Vorstellung“. - Und: Der Lobbyismus unterhalte bessere Beziehungen zu Kanzler, Minister und Staatssekretären. „Ministerin Klöckner hatte sich nach Antritt fast ausschließlich mit Industrievertretern zu Einzelgesprächen getroffen“. Das ergab 2019 eine parlamentarische Anfrage der Grünen. Dazu gehörten etwa: Bayer, Mars, Nestlé, Milchwerke, REWE und CROP. - L.-C. fordert die generelle Offenlegung der Lobbykontakte. „Aber alle Anläufe für ein Lobbyregister waren immer wieder am Widerstand von CDU und CSU gescheitert“. Hartmut Bäumer von Transparency International folgert: „Es war wie eine kulturelle Barriere. Transparenz hatte etwas Negatives“ – als solle damit ein Zwang ausgeübt werden, „gläserne Abgeordnete“ zu sein. – Klar gesagt sind CDU/CSU aber Erfüllungsgehilfen mächtiger, wenn auch fiktiv gezeichneter Realo-Interessen. Die Wirklichkeit ist nämlich nochmal ein ganz anderes Geschütz.

Doch es tat sich immerhin was Neues. CDU-Schnieder wollte immer schon den aufklärerischen Lobby-Diskurs für die CDU reklamieren. L-C aber musste ihm nachweisen, dass die SPD schon seit 10 Jahren ein Lobby-Register gefordert habe, das seitens CDU/CSU dann am letzten Tag der Verhandlungen über die Koalition aus dem Koalitionsvertrag rausflog. Marco Bühlow sprach zum Parlament: „Im übrigen bin ich der Meinung, dass der Profitlobbyismus zerstört werden muss“. – Wolfgang Kubicki dann am 25. März 2021 verkündigte in Funktion des Parlamentspräsidenten: „Dritte Beratung. Schlussabstimmung. Es wird wieder sportlich. Die dem Entwurf zustimmen wollen... sich zu erheben.“ Damit ward das Lobbyregistergesetz verabschiedet. Die Opposition kritisierte aber sogleich, dass das Gesetz scheunentorgroße Ausnahmen ermögliche. Es gebe eine zu bewusste und planvolle Einladung zur Umgehung.

Kontakte und Interessen

Die Sendung wendet ein: es fehle der nötige Fußabdruck zur Durchsetzung und Nachverfolgung von Lobbyismus. Erinnern wir uns: 2010 gab es den Rummel um das Effizienzlabel, das vom Kühlschrank auf das Auto überführt werden sollte. „Dem Automobilverband passte das gar nicht“. Das war die Gelegenheit, auf den früheren Verkehrsminister unter Kohl, Matthias Wissmann zurückzugreifen und dessen Kontakte ins augenblickliche Regierungslager zu aktivieren. Stichwort: Seitenwechsler. Von diesem kamen dann dementsprechende Vorschläge (Merkel wird im Kreis der Automanager gezeigt). Die Provokation aber lautete: „Kleinwagen können ein schlechteres Effizienzlabel bekommen als ein SUV-Spritschlucker à la VW-Tuareg“. Dazu dient der Terminus der Gewichtsklasse. Die hohe Gewichtsklasse wird schöngerechnet innerhalb ihrer selbst. Ein leichteres Fahrzeug kann innerhalb seiner Klasse so schlechter abschneiden. Seitenwechsler werden genannt: Altkanzler Gerhard Schröder (Gasprom), Dirk Niebel (Rheinmetall), Eckart von Klaeden, früher Staatsminister, dann Cheflobbyist bei Daimler, Hildegard Müller, die Merkel beerben sollte, aber zum Verband der Automobilindustrie ging. Auch der Skandal Wirecard bediente sich Lobbyisten, die in der hohen Politik vorstellig wurden, wie Ole von Boyst, Klaus Dieter Fritsche (CSU), ehemals Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes.

Im Offenlegungsprozess zum Fall Wirecard hat sich Fabio de Masi von Die Linke als Finanzexperte im Untersuchungsausschuss des Bundestages durch seine außerordentliche Kompetenz verdient gemacht (erkennt sogar die FDP an). Ex-Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg, nun seit geraumer Zeit Unternehmensberater, bekam einen Termin bei Merkel, die sich 2019 auf ihrer China-Reise zugunsten Wirecard aussprach. Die Wühlarbeit von Seitenwechslern ist ein wesentliches Symptom der Debilität und Abgründigkeit, die die Politik ergriffen hat. Zuletzt wurde die Covid 19-Maskenaffäre zum Anlass für einen neuen Empörungsschub hinsichtlich des sinkenden Vertrauens ins gegenwärtige politische System. Im Fall Nüßlein (CSU) wurden für die Vermittlung der Lieferung von Masken fürs Gesundheitsministerium 660 000 Euro gezahlt, bei Kollege Nicolas Löbel (CDU) wurden es eingestrichene 250 000 für Null Leistung, außer der Kontaktaufnahme durch sich bietende Gelegenheiten. Fast gleichzeitig entstieg die Aserbeidschan-Connection aus dem trüben Sumpf der politischen Halbwelt. Hier wurde auch mit Menschenrechtsfeinden gemeinsame Sache gemacht. Die Delinquenten mussten die Fraktion verlassen und aus ihrer Partei austreten. Patrick Schnieder musste zugestehen: „Das sind Dinge, die wir uns so haben nicht vorstellen können“.

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extremnews.com

Info:
Geld.Macht.Politik · ARD/t24, 24.07.2021 0.45 Min.