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Kategorie: Zeitgeschehen

Buch 'Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle', 2/3

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Massendeportationen wurden in einer Villa in der Lindenstraße 27, dem Sitz der Gestapo, im Frankfurter Westend vorangetrieben. Die führende Organisationseinheit aber war das RSHA, das Reichssicherheitshauptamt in Berlin, die Zentrale antisemitischer und rassistischer Verfolgungen. Aufschlussreich, dass die Namen der ersten Deportierten anhand des Vermögens – und dementsprechend auch der Wohnungen – ausgesucht wurden.

 

'Am Sonntagmorgen des 19. Oktober 1941 wurden die jüdischen Menschen in der Frühe zwischen sechs und sieben Uhr überfallartig und ohne jede Vorwarnung in ihren Wohnungen von bewaffneten SA-Leuten aufgesucht'.

 

Die staatspolizeiliche Verfügung lautete: 'dass Sie innerhalb von 2 Stunden ihre Wohnung zu verlassen haben'. Der Besitz war per Anweisungen „ordnungsgemäß“ zur Enteignung vorzubereiten und ein Schild mit dem Namen und Geburtstag darauf um den Hals zu hängen. Tilly Cahn notierte: 'Binnen weniger Stunden mußten die armen Menschen ihr Bündel schnüren [...], ein Raub der Nazis, die Wohnungen wurden versiegelt, [...]'. - Gemäß der beizubringenden 'Vermögenserklärung' wurde der Besitz lapidar als „volks- und staatsfeindliches Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen“'.

 

 

Gepäckdurchsuchung und Leibesvisitation

 

Mit dem Filzen wurde das Habgut, das für unterwegs dient, konfisziert, also Schmuck, Uhren, Füllfederhalter, Ringe und Bargeld - ein schnöder Akt. Dann war das Finanzamt an der Reihe: die Vermögensliste, ein Verzeichnis der sonstigen Wertgegenstände in der Wohnung und der Wohnungsschlüssel (mit daran angebrachtem Namensschild) waren abzuliefern. Auch städtische Fürsorgerinnen waren für diesen Job abgeordnet. Hatte man noch lange eine Großtante, so drängt sich sofort die Frage auf, war die nun auch daran beteiligt? Ein zumindest die Sünden bekennendes Stoßgebet blieb in Erinnerung.

 

 

Bild deutscher Kultur

 

'Noch sehe ich die ernsten Gesichter, die umschatteten Augen, die Abschied nahmen von ihrer Heimat, einer Welt, die man ihnen absprach, die man ihnen raubte, weil sie Juden sind. {...] Viele Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs waren darunter [...] Ein erschütterndes Bild Deutscher Kultur'.[...] '“Koffer und Bündel auf!“ Und wieder wurde geraubt, gestoßen und getreten. Die gemeinsten Schimpfereien mussten wir über uns ergehen lassen'.- 'Das Ghetto hatte sehr viele alte deutsche Juden...Diese alten Juden liebten Deutschland sehr...'. - 'Deutsch war ihre Muttersprache, Goethe, Schiller und Heine waren ihre Dichter. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ war ihre Hymne'.

 

Es ist aus räumlichen Gründen unmöglich, dem laufenden Abschnitt irgendwie genügend gerecht zu werden. Der Niederträchtigkeiten und abgrundtiefen Gemeinheiten sind einfach zu viele, um noch so manche Blicke in den Abgrund zu werfen. Offenbar wird in den historischen Zeugnissen, dass die Hölle des Abgrunds ab der 6. Massendeportation am 11. Juni 1942 mit dem Überwechseln in die Vernichtungslager Majdanek und Sobibor erreicht wird. Nachdem die Waisen, Jugendlichen und Alten ans Messer geliefert worden waren, wurde zur finalen Vernichtung übergegangen. Schon am 20.01.1942 war auf der 'Wannseekonferenz' die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen worden.

Zur Deportation am 8.Mai 1942 heißt es u.a.: '40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen...wurden bei dieser Deportation verschleppt. Die Gestapo-kontrollierte „Jüdische Wohlfahrtspflege“ sparte das Geld, waren doch 75 Prozent der Kinder und Jugendlichen „vollbezuschusst“'. - '“Der Transport ist weg“, notiert Tilly Cahn'. - Einige wurden unvorbereitet aus den Betten geholt...'zum Teil als Ersatz für solche, die sich das Leben genommen haben'.

 

Immer wieder wird mahnend auf die 'genauen Anweisungen der Gestapo zur Vermögenserklärung, zu Geldüberweisungen etc., zum Gepäck [...]' Bezug genommen: Inzwischen hatten die Landräte 'den Bahnhof ihrer Kreisstädte als Sammelpunkte für die Menschen aus den Dörfern' in Gebrauch und auch die Rathäuser als periphere Sammelpunkte.

 

 

Weiterfahrt des Zuges in das Vernichtungslager Sobibor

 

In diesem Abschnitt geht es um einen 'Resttransport' mit Frauen, Kindern, Jugendlichen und Männern über 50 Jahren, der vom Bahnhof Lublin (nahe Sobibor) direkt in das Vernichtungslager ging. Es heißt: 'Sie wurden extrem getäuscht. Bei der Ankunft sagte man ihnen, dass sie in einem Übergangslager seien und von dort in ein Arbeitslager kämen. Sie mussten sich vor der Weiterfahrt duschen...'. - 'Durch genaue Anweisungen...wurde der Eindruck erweckt, dass die Kleider nach dem Duschen zurückgegeben werden'. 'Alle Körperöffnungen wurden [..] durchsucht, den Frauen die Haare geschoren' - und anschließend verwertet.

 

'Zuerst wurden die Männer, dann die Frauen und Kinder in Gruppen von fünfzig bis zu hundert Menschen durch den sog. Schlauch getrieben und in die 16 qm großen Gaskammern gedrängt. In einem angebauten Schuppen wurde der 200 PS starke Achtzylinder-Motor angeworfen und die erzeugte Mischung von CO und CO2 in die Gaskammern geblasen'. Weiter wird geschildert, dass den Leichen die Goldzähne ausgebrochen wurden und sie in Massengräber verscharrt wurden, später aber wiederausgegraben, weggefahren und auf Rosten verbrannt wurden. Niemand überlebte.

 

An anderer Stelle heißt es: 'Da kamen plötzlich Ukrainer und Weißrussen in ihren schwarzen Uniformen, umzingelten das Krankenhaus...es waren Gaswagen, die wie Möbelwagen aussahen'. (Schicksale der Frankfurter im Ghetto Minsk)

 

 

Deportation am 21. Januar und 20. März zur „Organisation Todt“

 

'Mit Datum vom 18. Januar 1945 überbrachte das Arbeitsamt Frankfurt etwa 80 Frankfurter Männern, die als „Mischlinge 1. Grades“ als „jüdisch versippt“ oder sonst „wehrunwürdig“' galten, eine Karte mit folgendem Text: [...] Sie haben sich zum Abtransport am Sonntag, den 21. Jan. 1945 um 3.30 Uhr morgens vor Gleis 21 des Hauptbahnhofes Frankfurt/Main einzufinden'.

 

'Schon 1943 initiierte die Frankfurter Gestapo in Eigenregie ohne Anweisung des RSHA eine tödliche Verfolgung der geschützten „Mischehepartner“ in Frankfurt und im Mai 1943 im Umland'. 'Mitte Januar 1945 wurde in Berlin vom RSHA auch die Verschleppung aller bisher noch „geschützten“ Juden angeordnet: Am 14. Februar 1945 wurde dafür in Frankfurt ein Transport für den Gestapo-Bereich Frankfurt, Darmstadt und Koblenz zusammengestellt'.

 

Die letzte Deportation war am 15. März 1945 – elf Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner.

Fortsetzung folgt

 

 

Info I:

Grundlage für diesen komprimierenden Artikel ist der Abschnitt 'Die Großmarkthalle als zentraler Ort der Verschleppung der jüdischen Bevölkerung Frankfurts und des Regierungsbezirks Wiesbaden ab 1941 bis 1945' von Monica Kingreen, der dem neu erschienen Buch 'Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle' - 'Die Deportation der Juden 1941-1945' entstammt.

 

Info II: 'Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle, Die Deportation der Juden 1941-1945, Raphael Gross und Felix Semmelroth (Hrsg.) im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main, Fotodokumentation von Norbert Miguletz, Prestel Verlag, München 2016 ISBN-978-3--7913-5531-3