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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2021 02 18 um 00.57.06Universal bringt den  Silbernen Bären – Großer Preis der Jury der Berlinale 2020 auf DVD ab 11. Februar

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Um diesen Film tut es einem wirklich leid, denn er gehört zu den gar nicht so vielen, die wirklich allen Frauen etwas sagen und den Männer, hier junge Männer auf jeden Fall auch sehen sollten. Leid, weil er schon lange hochgelobt und auf der letzten Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet, am 1. Oktober in die Kinos kam, wo die Kinos mit Filmen, die alle nicht angelaufen waren, zum einen überschüttet waren, zum anderen gleich wieder dicht machten mußten: bis heute!

Eigentlich eignet sich dieser Film sogar ausgezeichnet für‘s private Sehen vor dem Fernsehschirm. Was nur schade ist, das ist, daß wenn viele Leute ihn sehen, danach Gespräche wie von selbst laufen. Es geht um ein schwieriges Thema, das hier auf sehr subtile Weise dargestellt, einem unter die Haut geht: eine Abtreibung.

Was es eigentlich ist, was so einem unter die Haut geht, kann ich beim dritten Mal Sehen – nach der Berlinale, die Pressevorführung und jetzt die DVD – viel besser beantworten. Es ist wirklich die spröde, eher sprachgehemmte Darstellung der Hauptperson Autumn durch Sidney Flanigan. Sie ist Musikerin und spielt hier die 17jährige, die in Pennsylvanien Schülerin ist und im Lebensmittelmarkt an der Kasse etwas Geld verdient und seit Wochen keine Periode hat, weswegen sie zur Ärztin geht. Erst beim zweiten Besuch bei der Ärztin verstehen wir, daß sie an eine der Klerikalen geraten ist, die ihr dringend zur Austragung rät und mit einem brutalen Video sie dazu bringen will. Erst inYork verstehen wir die zweite Bosheit, ja verbrecherische Intention. Die Ärztin in Pennsylvanien hatte ihr von der 10. Schwangerschaftswoche gesprochen, in New York wird ihr aber die 18. attestiert und eigentlich ist eine Abtreibung auch dort nur bis zur 12. Woche problemlos.

Jetzt aber der Reihe nach. Skylar (Talia Ryder) ist ihre Cousine und auch die beste Freundin, denn eine solche braucht man, wenn man in Schwierigkeiten ist. Warum Autumn ihren Eltern von der Schwangerschaft nichts sagen kann, versteht man eigentlich nicht ganz, vermutet bei der zentralen Stelle des Films dann sogar, daß Verwandte mit ihm Spiel seien. Auf jeden Fall fahren die beiden mit dem Bus nach New York und einem Riesenkoffer, den sie regelrecht ständig schleppen, was wie eine dritte Person wirkt. Was in ihm ist, habe ich noch immer nicht verstanden, denn Autumn geht davon aus, daß sie nach dem Eingriff schnell wieder nach Hause kann. Im Bus spricht Skylar ein junger, etwas aufdringlicher junger Mann an, die beiden tauschen Adressen. Das ist übrigens die zweite Botschaft, die sanft, aber ununterbrochen den Film durchzieht, ohne Worte, nur mit Gesten. Daß junge Mädchen von allen möglichen Männern einfach angesprochen, angefaßt, auf alle möglichen Arten berührt werden, als Lebensrealität, die man ändern muß.

In New York fahren die beiden direkt zur Schwangerschafts-Abtreibungsberatung, wo nach der Untersuchung Autumn mitgeteilt wird, was sie nicht glauben mag, daß sie schon in der 18. Woche ist und sie sich in Manhattan an eine andere Stellen wenden muß. Dort ist jetzt aber schon zu. Also übernachten. Aber ohne Geld. Und das wird sich am nächsten Tag wiederholen, denn als sie sich an diese neue Stelle wendet, erfährt sie, daß der Eingriff zwei Tage erfordert. Sie hat eine Krankenversicherung, die alles übernehmen würde, aber dann würden ihre Eltern die Abrechnung erhalten. Und sie hätte ja in Pennsylvanien jmit Einverständnis der Eltern auch einen Schwangerschaftsabbruch durchführen können. Aber ihr ist das Wichtigste, daß die Eltern davon nichts wissen. Warum?

Bei der folgenden Untersuchung kommt nun das, was oben als zentrale Szene gekennzeichnet wurde – und wirklich ist. Zuerst wird sie gefragt, wie alt sie beim ersten Beischlaf war. 14 Jahre. Mit wieviel sie in den letzten 12 Monaten geschlafen hat: zwei. Mit wie vielen im ganzen Leben: 6. Doch eh man noch dazu kommt, sich darüber Gedanken zu machen, kommt diese zentrale Szene, die dem Film den Titel gibt. Sie soll einen Fragebogen mündlich beantworten, in dem es vier potentielle Antworten gibt: NIEMALS SELTEN MANCHMAL IMMER. Zuerst sind die Fragen harmlos und sie antwortet einmal mit Niemals und einmal mit Manchmal. Dann aber bei der Frage, ob sie je Angst gehabt habe, treten Autumn Tränen in die Augen und sie kann nicht mehr reden, nur nicken, was sich steigert, als sie gefragt wird, ob Gewalt im Spiel war: da weint sie und nickt bei den Fragen: genötigt: ja; gezwungen:ja. Auf die Frage, ob sie darüber sprechen wolle, verneint sie.

Für die Zuschauerin ist das schwer auszuhalten, weil man sofort weiterfragen will, wer das war und weshalb dieses Mädchen so merkwürdig gehemmt, so stumm ist. Und es kommen einem alle möglichen Verdächtigungen, mit denen einen der Film alleine läßt, was auch gut ist.

Im Film geht es weiter – und wenigstens, was mich angeht, mit einer neuen Bereitschaft, diese 17jährige schützen zu wollen – und die beiden müssen die nächste Nacht ohne Geld überstehen. Darum kommt der junge Mann ins Spiel, derjenige aus dem Bus, der auch eine nette Rolle spielt und die beiden zu Pommes Frites einlädt und in einer Karaoke Bar einen ausgibt, wo zudem Autumn singt. Ob aus der angedeuteten Romanze mit Skylar was wird, ist nicht wichtig. Junge Männer können auch einfach nett und solidarisch sein. Das Geld werden sie ihm sicher überweisen, aber auch das ist kein Thema. Denn das Wichtigste wurde gesagt und was nun kommt, der Eingriff, wird würdevoll wiedergegeben, denn traurig ist das immer.

Der Film endet mit der Rückfahrt der beiden. Der Zuschauer bleibt mit dem Anruf der Autumn zu Hause allein, als diese, als ihre Mutter abnimmt und ihren Namen nennt und fragt, wo bist Du, nur auflegt. Die Regisseurin Eliza Hittmann ist für ihren Film vielfach ausgezeichnet worden. Mit Recht. Weil gerade das Zögerliche an der Hauptfigur das den Film Prägende ist. Eine Filmdarstellung, die einfach nötig macht, daß sich alle US-Staaten über solche Situationen von 17jährigen Gedanken machen.

Foto:
Cover

Info:
Film:
Niemals Selten Manchmal Immer
(Originaltitel: Never Rarely Sometimes Always) i
Großbritannien, USA 2020 | FSK 6

Darsteller:
Sidney Flanigan: Autumn
Talia Ryder: Skylar
Ryan Eggold: Autumns Stiefvater
Sharon Van Etten: Autumns Mutter
Théodore Pellerin: Jaspar
Drew Seltzer: Manager Rick

DVD
Sprachen: Deutsch Dolby Digital 5.1, Englisch Dolby Digital 5.1, Italienisch Dolby Digital 5.1
Untertitel: Deutsch, Englisch, Italienisch
Extras: Interaktive Menüs, Kapitelanwahl
Erschienen am: 11.02.2021
Verleih: Universal Pictures Germany GmbHV

Bisherige Berichterstattung
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