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Kategorie: Kulturbetrieb
alleSerie: Leipziger Delegation in Kyjiv – Reise in ein Land im Krieg,    Teil III

Susanne Tenzler -Heusler

Kyjiv (Weltexpresso) - Der 24. August ist ukrainischer Unabhängigkeitstag. Schon am Vormittag ist Kyjiv voller Menschen. Überall Fahnen, blau-gelbe Bänder an Taschen, Autos, Fenstern. Familien spazieren, Kinder tragen kleine Flaggen, Straßenmusiker spielen Volkslieder. Fast alle tragen ihre Wyschywanka, die traditionelle Bluse mit kunstvoll gestickten Mustern.


2Soldaten von hintenEs wirkt ausgelassen, als sei dieser Tag für viele ein kurzes Aufatmen und gleichzeitig steht an fast jeder Ecke das Gedenken. Fotos der Gefallenen, Kerzen, Blumen. Erinnerung an die Revolution von 2014, an die 93 Tage auf dem Maidan, und an die Toten dieses Krieges, der täglich neue Opfer fordert.

Wir gehen hinauf zum Wolodymyr-Denkmal. Von dort öffnet sich der Blick weit über den Dnipro. Ein sonniger, friedlicher Moment – und doch überall die Zeichen des Krieges. Männer mit Krücken, mit Prothesen. Der Krieg ist immer da, er ist Teil des Alltagsbildes, selbst an diesem Feiertag.

Am Mittag führt uns Ihor Poshyvailo, Direktor des Maidan-Museums, durch die Ausstellung. Er spricht über die 93 Tage der Revolution der Würde und die Pläne für ein neues Denkmal. „Wir hören auf die Stimmen der Opfer“, sagt er. „Aber Erinnerung darf nicht nur zurückschauen, sie ist für die 3Schaustafelkommenden Generationen.“

Skepsis in der Bevölkerung sei normal. „Das ist ein offener Prozess, politisch muss er gewollt sein.“ Wir schmunzeln und sehen starke Parallelen zum Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig.

Bemerkenswert: Den internationalen Wettbewerb für Museum und Memorial betreut das Berliner Büro [phase eins] von Benjamin Hossbach und Christian Lehmhaus – dasselbe Büro, das auch den Wettbewerb für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal organisiert hat. Eine weitere konkrete Verbindung zwischen beiden Städten.

4schautafelAm Nachmittag das offizielle Gedenken auf dem Maidan. Blumen, Kerzen, Fotos. Familien stehen schweigend, junge Frauen in Nationalkleidung, halten Plakate mit Freiheitsslogans hoch.

Am Abend treffen wir den stellvertretenden Verteidigungsattaché der Deutschen Botschaft, Robert Pröse. Seit 25 Jahren beschäftigt er sich im weitesten Sinne mit Krieg, war selbst in acht verschiedenen Einsätzen. Drei Stunden spricht er mit uns. Besonnen, klug, realistisch.

5 FarbigeEr beschönigt nichts: Waffen, Frontlage, Verluste, die Dauer des Krieges. „Krieg ist das Schrecklichste, was es gibt“, sagt er. Ein Satz, der nüchterner nicht sein könnte. Keine Dramatisierung, keine Beschwichtigung – nur die klare Analyse eines Mannes, der den Krieg von innen kennt. Wir hören zu, stellen Fragen, manchmal bleibt nur Schweigen.

Ein langer Tag endet. Ein Tag zwischen ausgelassener Freude, stillem Gedenken und der ungeschönten Realität eines Landes im Krieg.

Fortsetzung folgt

Fotos:
©Susanne Tenzler -Heusler

 

Info:
Teil I der Serie : https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/35341-ankunft-in-einer-stadt-im-ausnahmezustand 
Teil II der Serie: https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/35342-alltag-im-zermuerbungskrieg
Teil III der Serie:https://weltexpresso.de/index.php/kulturbetrieb/35350-erinnerung-und-gegenwart