Zwei neue Bücher über Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Teil 1
Elvira Grözinger
Berlin (Weltexpresso) - Monika Schwarz-Friesel, Toxische Sprache und geistige Gewalt. Wie judenfeindliche Denk- und Gefühlsmuster seit Jahrhunderten unsere Kommunikation prägen. Narr Francke Attempto Verlag Tübingen 2022, 227 S.Tilman Tarach, Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus. Mit einem Geleitwort von Anetta Kahane. Edition Telok Berlin & Freiburg 2022, 224 S.
Für diejenigen, die sich kurz und bündig mit der Geschichte des Antisemitismus und deren sprachlichen Codes vertraut machen wollen, ist das Buch von Monika Schwarz-Friesel eine sehr gute und fundierte Handreichung, aber auch für die, die mit der Materie vertrauter sind, bietet es eine Fülle an verlässlichen Informationen. Bezüge zu Tilman Tarachs Band, welchen Schwarz-Friesel auch an einer Stelle zitiert, sind gegeben, denn der christliche Antijudaismus hat die spätere Entwicklung bis hin zum Nationalsozialismus beeinflusst.
Judenfeindschaft beziehungsweise Judenhass ist über zwei Tausend Jahre alt, der Antisemitismus ist hingegen ein moderner, seit 1879 gebräuchlicher Terminus, geprägt durch den Gründer der deutschen Antisemitenliga, den Journalisten Wilhelm Marr (1819-1904). Er hatte nicht mehr den religiös-geprägten, sondern nun einen völkischen Charakter mit rassistischen Zügen. Den interessierten Lesern ist dieser Begriff seit dem 1965 bei Suhrkamp erschienen Buch Der Berliner Antisemitismusstreit von Walter Boehlich bekannt. Man könnte meinen, dass sich nach den „sinnreich erdachten Wohnungen des Todes“ (Nelly Sachs, „Dein Leib im Rauch durch die Luft“) des 20. Jahrhunderts das Antisemitismusproblem gerade auch und insbesondere in Deutschland erledigen würde. Aber das war ein Irrtum. Gegenwärtig scheint es, begünstigt durch das Internet, welches allzuoft die Zungen lockert und Hemmungen ausblendet, eine erneute aufsteigende Welle des Judenhasses hierzulande und in vielen Ländern zu geben. Die beiden Autoren (das geschlechtsneutrale generische Maskulinum wird von mir im Text fortan durchgehend verwendet, E.G.) widmen sich diesem besorgniserregenden Phänomen auf unterschiedliche Weise.
Monika Schwarz-Friesel, Inhaberin des Lehrstuhls für Linguistik am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin, ist eine ausgewiesene Forscherin auf dem Gebiet des Antisemitismus. Sie untersucht ihn hier unter dem besonderen Gesichtspunkt der Neuro- und Kognitionsforschung und setzt das Augenmerk auf die „toxische“ Sprache, welche die Judenfeinde über Jahrtausende durch ihre Hassrede – nebst der physischen Gewalt – auf ihr Hassobjekt richten. In ihren vorangehenden Büchern zum Thema, welche aus den wissenschaftlichen Projekten der empirischen Analysen von Tausenden von Briefen an den Zentralrat der Juden in Deutschland und an die Botschaft des Staates Israel hervorgegangen sind sowie aus Internetexten, fand sie eine Fülle an Material, mit dem sie ihre Thesen akribisch und überzeugend belegt. Da der Antisemitismus leider eine „never ending story“ ist, ist auch diese Studie ein „work in progress“, ein weiteres Buch in der Reihe ihrer Publikationen zum Thema: Schwarz-Friesel hatte 2013 gemeinsam mit Jehuda Reinharz Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert verfasst; 2010 schon mit Evyatar Friesel und Jehuda Reinharz Aktueller Antisemitismus – Phänomen der Mitte sowie 2014 mit Jan-Henning Kromminga Metaphern der Gewalt. Nun ist ihr neuestes Buch ein einführendes Kompendium der Geschichte der Judenfeindschaft geworden.
Es zeigt eine Entwicklungslinie des Hasses, die von den Evangelien des „Neuen Testaments“ über die Kirchenväter in das mittelalterliche Spanien – das islamische Al-Andalus – eindrang. Die Kirchen tradierten den Judenhass allerdings über Jahrhunderte – ob es die Reconquista war, die die Juden aus der iberischen Halbinsel vertrieb, die Inquisition, die sie in Autodafés verbrannte oder der antijüdische Furor Martin Luthers, der in der NS-Ideologie auf fruchtbaren Boden fiel. Der 1400 Jahre alte islamische Antijudaismus, den wir heute außerdem noch erleben, hat allerdings keine Anregung seitens des Nationalsozialismus gebraucht. Was den Nahen Osten anbelangt, so war er stets auch im Osmanischen Reich präsent. Dessen ausführendes Organ waren u.a. die Janitscharen, eine Elitetruppe der türkischen Armee, die seit dem 14. Jahrhundert existierte und sich aus den anderen Völkern geraubten Kindern rekrutierte. Sie wurden zum Islam zwangskonvertiert und zu Militärsklaven grausam abgerichtet, die gegen Ungläubige kämpfen mussten. Die Janitscharen waren an antigriechischen und antijüdischen Ausschreitungen beteiligt. Nach wiederholten Revolten wurden ihre Regimente 1826 abgeschafft. Und auch heute sind die verschiedenen, jahrhundertealten Ausformungen und Einflüsse auf die Denkweise und das Verhältnis zu Juden nach wie vor virulent aber um weitere Komponenten und Nuancen erweitert, wie Schwarz-Friesel an höchst aktuellen Beispielen zeigt.
Schwarz-Friesels Buch hat 17 Kapitel, eine Bibliographie, ein Personenregister und ist so flott wie gut lesbar geschrieben. Man spürt das Engagement der Autorin für ihr Thema und ihre Verzweiflung angesichts der immer neuen antisemitischen Erscheinungsformen in der Gesellschaft wie im kulturellen und akademischen Bereich, denn „Jeden Tag wird den Menschen in diesem Land und weltweit eine Dosis Gift verabreicht. Vor aller Augen. In der Öffentlichkeit. Ohne vehemente oder weitreichende Skandalisierung auf breiter Front. Es ist ein sehr altes Gift, dessen toxische Wucht und zerstörerische Wirkung hinreichend bekannt und von zahlreichen Experten weltweit schon lange in seinen chemischen Grundbausteinen analysiert ist. Denn dieses Gift ist seit Jahrtausenden Bestandteil der westlichen DNA, des europäischen Kulturgenoms.“ (S. 7) Die digitale Entwicklung begünstigt den globalen Austausch und die Verbreitung dieses Gifts: „Das Gift heißt Judenfeindschaft, das Mittel ist die Sprache und der Tatort der Verabreichung ist die tagtägliche Kommunikation.“ (S. 8) Die Autorin plädiert eindringlich dafür, beim Antisemitismus die Rolle der Sprache in den Mittelpunkt der Aufklärung und Bekämpfung zu stellen, denn „Das judenfeindliche Ressentiment kam über die Köpfe der Menschen durch Sprache in die soziale, konkrete Welt.“ Allerdings stellt sie fest: „Nonverbale Formen der Gewalt werden zwar unter StGB §130 zur Volksverhetzung aufgeführt, doch belegt die juristische Praxis, dass dieser Paragraf nicht ausreicht, um die Palette verbaler Gewalthandlungen zu erfassen und zu ahnden. Viele Gerichtsurteile der letzten Jahre haben gezeigt, dass oft nicht einmal explizite Hasssprache gegen Juden verurteilt wird, geschweige denn die zahlreichen, mittlerweile längst bekannten und frequent benutzten indirekten Verbal-Antisemitismen.“ (S. 9)
Immer wieder konstatiert die resignierende Autorin: „Bildung und liberale Gesinnung sind kein Garant gegen das judenfeindliche Ressentiment. Es sind nämlich keineswegs nur die Ungebildeten, die Anti-Demokraten und Anti-Modernen, die das judenfeindliche Ressentiment pflegen und kommunizieren. Auch Künstler, Akademiker und Denker mit moderner Anschauung kommunizieren judenfeindliche Äußerungen, auch die Renommierten und Scharfsinnigen, und diejenigen, die Großes geleistet haben, können sich verbal vergreifen. Das ist dann besonders tückisch, weil diese Personen für viele Menschen Vorbildcharakter haben“. (S. 61) Die Autorin unterstreicht die Gefährlichkeit, die von dieser Seite kommt, den „Salonantisemitismus“, der in den gebildeten Schichten über die Generationen getragen wird. Dieser hat auch bekanntlich in den Anfängen der NS-Zeit gewütet, als jüdische Gelehrte, Ärzte, Literaten, Professoren und Künstler aus den Institutionen verdrängt und oft durch mediokre Gestalten ersetzt wurden. Das war auch schon vor der Vernichtung so, bevor der Antisemitismus eliminatorisch wurde. Die Bücherverbrennung und die Etikettierung der „entarteten Kunst“ haben die 12jährige Barbarei geprägt, und man könnte meinen, dass der in der in den Salons gepflegte „intellektuelle“ Judenhass nach der physischen Vernichtung der Juden in den KZs in Deutschland nicht mehr möglich werden würde. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ein Antisemit braucht keine physische Anwesenheit eines Juden, um seinen Hass zu hegen. Die jüdischen Verdienste um die deutsche Kultur und Wissenschaft wurden in der NS-Zeit aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen. Einen solchen Fall der Verdrängung jüdischer Gelehrter beschreibt die Autorin ausführlich, nämlich den des Sprachforschers Daniel Sanders (1819-1897). Ihn kennt heute niemand, auch nicht in der Germanistik, wiewohl sein Name auf dem allseits bekannten Großwörterbuch Englisch-Deutsch von Muret-Sanders prangt. Er war einer der bekanntesten Lexikographen, ein deutscher Patriot, trotz der Miss- und Verachtung der deutschen Germanisten für den Juden. Wie bei der „Loreley“ ist der Name ihres Schöpfers Heinrich Heine aus dem allgemeinen Bewusstsein getilgt worden. Jetzt wird der Gelehrte durch seine Geburtsstadt Neustrelitz alljährlich mit zwei nach ihm benannten Preisen geehrt.
Schwarz-Friesel illustriert die deutsche Gegenwart, von der sie sagt, „Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Mitte und auch viele Medien das Gefühl verloren haben für die Brisanz und das Gift bestimmter Äußerungen.“ (S. 151) Und dies illustriert sie mit Beispielen aus dem Munde vieler bekannter Personen, von denen in der Öffentlichkeit der letzten Zeit zu hören war, allerdings manchmal ohne deren Namen zu nennen. Das verleiht dem Buch an vielen Stellen den Charakter eines „Schlüsseltextes“, was dem informierten Leser nicht verborgen bleibt. Hier ist zum Beispiel der Urheber schnell identifiziert, der allerdings inzwischen wegen Volksverhetzung zu 20 Monaten Haft auf Bewährung und 50.000€ Bußgeld an verschiedene gemeinnützige Vereine zu zahlen verurteilt wurde. Der nun emeritierte Professor für Mikrobiologie thailändischer Herkunft, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner und Guru der Querdenker Sucharit Bahkdi, behauptete im Zusammenhang mit den israelischen Impf-Erfolgen in der Corona-Pandemie, „Das Volk der Juden“ habe von den Nazis das „Erzböse“ gelernt und „umgesetzt. Deshalb ist Israel jetzt living hell – die lebende Hölle“.
Israel-orientierter Antisemitismus, geprägt durch das arabische Narrativ und neuerdings postkolonialer Kreise ist eine weitere Variante, die derzeit neue Termini schafft wie „Apartheidstaat“ oder „Besatzerstaat“. Monika Schwarz-Friesel resümiert die Wirkung der toxischen judenfeindlichen Epitheta wie folgt: „Judenfeindliche Rhetorik aktiviert automatische neuronale Muster in Cortex und limbischem System. Und je öfter die neuronalen Muster aktiviert werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie geglaubt werden.“ (S. 32) Und diese „verbale Gewalt ist immer geistige Gewalt“ und „hinsichtlich der Verankerung von Judenfeindschaft im individuellen wie auch kollektiven menschlichen Geist erweist sich die Trias Sprache-Kognition-Emotion als zentral. Antisemitismus ruht auf drei Pfeilern: auf Stereotypen, auf verbalen Ausdrücken und der Emotion des Hasses.“ (S.37)
Eines der ältesten und hartnäckigsten Vorurteile gegen Juden ist, dass sie die Welt beherrschen und viel Geld haben - Substitutionen, die semantisch engere Termini benutzen, um auf das Kollektivkonzept ‚Juden‘ Bezug zu nehmen, sind z.B. eben die bestimmten Chiffren „Finanzoligarchie“, „Globalisten“, „Rothschild“, „Soros“, „Goldman Sachs“ oder, um auf das amerikanische „Finanzjudentum“ hinzuweisen: „Banker von der Ostküste“, „Ostküstenelite“, „Ostküstenclique“ (S. 74f.), was eine österreichische Kabarettistin in einer Nummer und eine linke bayrische Sängerin in einem Lied tat. Beide wehrten sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus und die Letztere behauptete gar, hier nur allgemein den „Kapitalismus“ gemeint zu haben. Allerdings hat diese Sängerin eine Laudatio auf den aus dem RBB wegen Antisemitismus gefeuerten Journalisten Ken Jebsen (eigentlich Kavyan Soufi-Siavash) gehalten, der danach bei dem russischen Propaganda-Sender RT angeheuert hat und unter die Querdenker gegangen ist. Auch die deutschen Rapper sind vielfach durch volksverhetzende antijüdische Texte aufgefallen, so z.B. Kollegah (eigentlich Felix Antoine Blume): „Ich leih dir Geld, doch nie ohne nen (Sic!) jüdischen Zinssatz“ oder wiederum unter anderem als Beispiele des Israel-bezogenen Antisemitismus, zu dem die Formulierungen gehören, wie „Israel-Lobby“, „Zionistenpack“ usw. Bushido (eigentlich Anis Mohamed Youssef Ferchichi) singt in seinem Lied Taliban sogar „Ich mach’n Anschlag wie Tel Aviv“.
In den linken deutschen akademischen Kreisen genießt der afrikanische Kolonialismusforscher Achille Mbembe, der Israel einen „Apartheidstaat“ nennt und BDS unterstützt unberechtigt einen guten Ruf. Im Jahre 2022 hatten hierzulande die antisemitischen Skandale der Kasseler Documenta 15 die Debatten bestimmt und Feuilletonseiten gefüllt. Die in den Grünen Händen liegende Kulturpolitik der Bundesregierung hat nicht nur im Falle der Documenta (zu der diese Tage ein umfassender Abschlussbericht des Expertengremiums erschienen ist: (file:///C:/Users/Elvira%20Gr%C3%B6zinger/Downloads/230202_Abschlussbericht.pdf) versagt, sondern auch bei der Besetzung der Leitung des Berliner Hauses der Kulturen der Welt. Die Antisemiten aus dem „globalen Süden“ sind besonders begehrt, was auch aktuell bei der Besetzung der Kuratoren-Stelle des Berliner „African Book Festivals“ durch den Linken Kulturdezernenten schockiert, denn der Auserkorene ist ein Djihadist, ehemaliger Al-Kaida-Terrorist, der in Afghanistan trainiert wurde.
Wer das Buch von Monika Schwarz-Friesel gelesen hat, wird zum einen ein Sensorium für scheinbar unverfängliche Äußerungen entwickeln und selbst seine Worte künftig auf die Goldwaage legen, denn, wie Walter Klemperer in seiner Lingua Tertii Imperii so treffend die Toxizität mancher Worte beschrieb, können sie „wie winzige Arsendosen“ wirken. Da braucht man keine körperlichen, es reichen auch - wie die Autorin oft betont - indirekte „Verbal-Antisemitismen“. Doch diese werden selten geahndet und zu oft, wie sie beklagt, unter die Meinungsfreiheit oder gar - legitime – Kritik subsumiert. Die von den „Salon-Antisemiten“ so oft beanspruchte „Debattenkultur“ ist gegenüber den uralten stereotypen wie „Judennase“, „jüdische Hast“, „verstockte Juden“ etc., etc., die zu den beliebtesten Verbal-Antisemitismen gehören, sehr tolerant. Die Autorin zitiert in diesem Zusammenhang Adornos Definition des Antisemitismus „Das Gerücht über die Juden“. Heute setzen dies die Verschwörungstheoretiker und ihre Versteher fort. Auch mir wird in den Fällen, wo ich mich dagegen wehre, immer wieder „Dünnhäutigkeit“ bzw. „jüdische Übersensibilität“ vorgeworfen.
Das Buch endet mit einem Aufruf: „Was wir brauchen, ist eine kollektive Bewusstseinsveränderung und eine gefühlte Verantwortung.“ Dieser Studie seien viele Leser gewünscht – von Pädagogen, über Staatsanwälte und Richter bis zu Polizeichefs und last but not least Politiker. Aber vor allem sollten es unsere Medienleute lesen und die Mitarbeiter der Konzertagenturen, die ihre Künstler anschließend entsprechend instruieren sollten. Nur so könnte es zu dieser kollektiven „Bewusstseinsveränderung“ kommen.
Fortsetzung folgt
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Info:
Monika Schwarz-Friesel, Toxische Sprache und geistige Gewalt. Wie judenfeindliche Denk- und Gefühlsmuster seit Jahrhunderten unsere Kommunikation prägen. Narr Francke Attempto Verlag Tübingen 2022, 227 S.
Tilman Tarach, Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus. Mit einem Geleitwort von Anetta Kahane. Edition Telok Berlin & Freiburg 2022, 224 S.