Der erste Fall für Jakob Nordsteg und Tanya Nielsen
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – An diesem Krimi kann man ganz gut die Hauptunterschiede zwischen dem landläufigen amerikanisch inspirierten und den nordischen Krimis erkennen. Denn in der Tat sind diese Kriminalromane im Ganzen völlig unterschiedlich konzipiert. Während im amerikanischen Krimi die gesellschaftlichen Verhältnisse unausgesprochen für die Verbrechen verantwortlich sind und die individuellen Befindlichkeiten der Täter nur noch erschwerend hinzukommen, sind es in den nordischen Kriminalromanen – wir wissen, wie pauschal das jetzt ist, aber das muß manchmal sein – die individuellen psychopathologischen Züge von Personen, die diese zu Mördern machen.
Warum das mehr als eine Randbemerkung ist, hat damit zu tun, weil das Krimigeschehen ursprünglich geradezu andersherum verlief, den individuellen Krimihandlungen in den USA setzten das schwedischen Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö ab den Siebzigern einen sozialkritischen Kriminalroman entgegen, der es in sich hatte und die gesellschaftlichen Verhältnisse, die zu Verbrechern und Mördern auch machen, gnadenlos herausfilterten. Dies hat als Letzter dann noch einmal grandios Stieg Larsson mit seinem weltweiten Riesenerfolg der Millennium-Trilogie mit Lisabeth Salander und Mikael Blomkvist geschafft. Doch die meisten der skandinavischen – nein, der Nordländerkrimis, denn nicht alle Nordländer darf man skandinavisch nennen – sind inzwischen auf zwei Bestandteile zusammengeschnurrt: sehr grausame Verbrechen von wirklich besonders irren Psychopathen verübt.
Diese Lesart gilt auch für diesen Krimi, der aber eine Besonderheit hat. Das Ermittlerpärchen ist wirklich etwas Besonderes. Ein Pärchen sind sie dann auch einmal, aber erst einmal getrennt jeder für sich: der erfahrene Jakob Nordstedt, um den sich Mythen ranken, ob seiner Aufklärungsquote, vor allem der Art, wie er auf die Schuldigen kommt. Er ist knallhart, war beim Militär hochdekoriert, was man ihm heute noch ansieht, die meisten fürchten sich vor ihm, seinem Blick und seinem Durchblick. Also ein Phänomen, dem eine Anfängerin an die Seite gegeben wird, die eindeutig die Sympathieperson im Roman ist, die, der Autor am meisten liebt, was auf den Leser, die Leserin überspringen soll und auch tut.
Der Fall. Irre. Da wird erst einmal eine ältliche, im Gesundheits- und Krankheitswesen äußerst firme Alte umgebracht, erstochen, dann auch noch ein alter Arzt., der in seiner Garage verbrennt. Nach vielen Fehlversuchen finden Nordstedt/Nielsen heraus, daß die beiden vor den Morden zum ersten und einzigen Mal wohl 26 Minuten telefoniert haben. Auffällig ist, daß von Anfang an eine Verdächtige so offensichtlich die Täterin sein soll, daß man gleich ahnt, die kann es gar nicht sein. Es handelt sich um Marie, die am Ort des Geschehens Holbaek als Tochter des Apothekerimperiums geboren wurde, mit der kranken Tochter den Vater besucht, der pumperlgesund daraufhin stirbt, weshalb Marie mit ihrer armen dünnen beschädigten Emma nun in seinem Haus, ihrem Elternhaus lebt.
Es bleibt nicht bei den beiden Toten. Nachdem klar ist, daß Marie, die so offensichtlich schuldig ist, tatsächlich war sie auch die Mörderin ihres Vaters, deshalb nicht die Mörderin sein kann, richtet sich das Interesse der Kommissare und des Lesers auf die schmale schwarze Gestalt mit der Kapuze, es ist Andreas, der in Emma verschossen ist und schnell darauf kommt, daß deren Mutter mit Beruhigungstabletten das Hinfällige an Emma steuert, statt sie gesund zu machen.
Mehr sagen wir jetzt nicht, wollen aber noch mal zu den Ermittlern zurück, die diesmal interessanter als der Fall sind. Die ungewöhnlichen Fähigkeiten von Nordstedt lassen einen an Mr. Monk denken, doch sind sie ganz anderer Art. Nicht so sehr gefühlt und übersinnlich, sondern mehr schlußfolgernd, aber doch mit einer Prise Monk. Tanya dagegen ist wirklich mal etwas Neues. Ein junge Frau, die als törichte Autofahrerin eingeführt wird, auf den Leser, die Leserin deshalb auch keinen Eindruck macht, dann aber ein Potential entwickelt, daß man nur staunt. Das gefällt, wenn man nicht enttäuscht wird, sondern mit jeder Seite eine neue Facette dieser ungewöhnlichen jungen Frau findet. Darum ist man auch zufrieden, daß der am 12. Juli herausgekommene Krimi eine Fortsetzung findet!
Foto:
Umschlagabbildungen
Info:
røben - Strafe muss sein
Thriller
Heyne Verlag
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Aus dem Dänischen von Maike Dörries
Originaltitel: Proxy
Originalverlag: Lindhard og Ringhof
Paperback , Klappenbroschur, 352 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-27389-4
Erschienen am 12. Juli 2023