Bildschirmfoto 2023 10 11 um 02.51.24Bei der Bengalin Rijula Das wird Schweres leicht und komisch dazu

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist schon eine Kunst, zuerst in kurzer Lesezeit das Bordell „Blauer Lotus“ in Shonagachi, dem Rotlichtviertel von Kalkutta und größtem in Südostasien, als heimelige Zuflucht für die dort tätigen Frauen zu erleben und im sich als Dichter fühlenden Autor von erotischer Schundliteratur den edlen Ritter Tilu Shau der Dame Lalee zu erkennen, die sich lieber Hure nennt.

Aber damit das nicht mißverstanden und als Sozialkitsch rüberkommt, mit der im Bordell bestialisch ermordeten Rendi magi, Prostituierte, eine von „Shefali Madams Mädchen“, Oberliga, hochklassig, zeigt sich, daß die Polizei solche Frauen nicht wichtig nimmt, denn da wird überhaupt nicht weiter ermittelt. Tilu hat insofern damit zu tun, als er mitten im himmlischen Akt mit Lalee durch den Hilfeschrei der Getöteten einen ungewollten Coitus Interruptus hatte und schnell von Lalee weggeschickt wurde: „splitterfasernackt, die Kleider vor der Brust geknüllt, hastete“ er die Straße entlang. Dabei kann er sich sie nur alle zwei Wochen leisten und zusätzlich, wenn ein unerwartetes Honorar dies möglich macht. Bisher zahlte er den Sondertarif für Stammkunden, aber gerade heute hat sie ‚wegen ausgefallener Sexphantasien‘ seinen Obolus verdoppelt.

Auch wenn Tilu kein SM-Praktiker ist, machen einem Lalees Dominagesten gegenüber diesem Würstchen Spaß, der auch nötig ist, um das Elend, um das es wirklich geht, auszuhalten. Weit bis über die Hälfte liest man gespannt , wie die Polizei nicht ermittelt und sich schnell darauf einläßt, daß der Täter ihr „Babu“, ihr Zuhälter gewesen sei. Nach und nach erhält die Ermordete, Mohamaya Mondol, ein Gesicht, ein schönes. Liebevoll überblickt Lalee, die ein Jahr neben ihr wohnte, ihr aufrichtig zugetan, das Leben der Achtundzwanzigjährigen, Und sie ist nicht alleine. Dieser Mord war ein Tick zu viel und auf einmal schaltet sich eine Frauenrechtsorganisation ein, die Medien berichten breit und eine Hurengedenkdemonstration wirbelt die eingefahrenen Verhältnisse durcheinander. Der „Abschaum“ streikt, geht auf die Straße, das wird gefährlich.

Dieses Bild erhalten wir durch den Blick vieler, denn vielstimmig erzählt die Autorin, die sozusagen nicht vorhanden ist, sondern uns aus der Perspektive einzelner Protagonisten informiert, von denen Tilu den größten Raum einnimmt, die aber auch die Polizei und die NGO-Anwältin zu Wort kommen läßt. Und dann steigt Lalee auf, buchstäblich wird sie ins Obergeschoß der Shefali Madam ‚befördert‘, wo sie auf eine Existenz als Edelhure vorbereitet wird, entspannende Bäder, Körperpflege, Kleidung. Doch war dies nur eine Zwischenstation, denn sie ist vorgesehen als Beischläferin eines noch unbekannten Potentaten.

Jetzt wird es so geheimnisvoll wie abenteuerlich, denn es handelt sich um Maharaj, einen der geistigen hochangesehenen Führer des Landes, der nach außen ein untadeliges Leben führt, nach innen als Diktator herrscht, einschließlich Korruption und Anhäufung von Geld, der sich zudem ein Frauenreservoir hält, wo gewissermaßen in Wartestellung diese Frauen auf ihre Beglückung warten. Eine schreckliche Gewaltgeschichte.

Aber nicht mit Lalee! Auf diesem Trip in die Heiligen Hallen trifft sie auf weitere Frauen, auf Sonja, die Zwillingsmädchen und sie reflektiert die Situation von Frauen ihres Gewerbes: „1997 hatten sich genau hier in dieser Stadt über fünftausend Frauen, Männer und alle dazwischen, die Sex für Geld anboten, zu einer landesweiten Konferenz zusammengefunden, organisiert von diesem Sexarbeiterinnen-Kollektiv , dem ersten seiner Art im ganzen Land.“ Hier zeigt die Autorin, daß sie vom Fach ist, daß sie wissenschaftlich die Verbindung von öffentlichem Raum und sexueller Gewalt in Indien erforscht hat (Doktorarbeit).

Auf jeden Fall überlebt Lalee die Nacht mit dem Maharaj und dies ist der letzte Kick, den sie noch brauchte, um den Palast, ihr Gefängnis, zusammen mit den anderen durch List hinter sich zu lassen und in neuer Freiheit sich vor allem um die jüngeren Frauen zu kümmern, ihnen Sicherheit in diesem Leben zu geben.

Für jemanden, der diese spezielle indische Frauenwelt  zum ersten Mal literarisch wahrnimmt, hat das Buch bei aller Brutalität, die wirklich hart ist, doch so viele poetischen Facetten, so zahlreiche Wunderlichkeiten, die einen schmunzeln lassen, so viel Zartheit, ja Güte und Innerlichkeit, was einen sprachlos macht und dankbar, daß Else Laudan dies Buch ausgewählt, übersetzt und als Ariadne 1271 herausgegeben hat. Daß sie zusätzlich am Schluß ein Glossar erarbeitet hat, sollte man wissen und gleich mal vor der Lektüre lesen und danach wieder.

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Umschlagabbildungen

Info:
Rijula Das, Die Frauen von Shonagachi, Ariadne 1271 im Argument Verlag 2023
ISBN 978 3 86754 271 5