ErofffotoLICHTER Filmfest Frankfurt International: von Dienstag, 16. April bis Sonntag, 21. April, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vor den Film ist eine zweite Eröffnung gesetzt. Erst einmal begrüßen erneut die Festivalchefs Johanna Süß und Gregor Maria Schubert die große Anzahl an LICHTER FREUNDEN, denn in den Kinosaal 5 des Metropolis, ein paar Schritte vom Festivalzentrum Massif Arts entfernt, passen sehr viele Leute. Auf den Film ist man schon deshalb gespannt, weil dieser Film unter REGIONALER FILM läuft und man gehört hatte, daß es um Namen und Bürokratie geht, wo doch letzte Woche gerade ein iranischer Film anlief, ein sensationell guter Film, der mit der Namensgebung David vor einem iranischen Standesamt beginnt.

lichterleuteDie Worte von Süß/Schubert enden mit der Aufforderung, dem gesamten Team zu danken, was das Rund gerne ausgiebig klatschend tut, erst recht, als die, die anwesend sind, auf die Bühne kommen. Wieviel völlig ehrenamtlich, wieviel mit kleiner Bezahlung, wieviel mit größerer Bezahlung arbeiten, ist nicht bekannt, denn inzwischen sind die Festivalkosten angesichts der Ausweitung des Programms gewaltig gewachsen und wir nehmen uns vor, das ein andermal zu eruieren, denn die Finanzierung und wer und wie und vor allem wieviel, gehört dazu. So sehen wir auf der Leinwand erst einmal die Hauptsponsoren verzeichnet, von denen auch zwei persönlich Ansprachen halten.

staatssekreDer Staatssekretär des bisherigen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, das jetzt Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur heißt, was wir mit Kulturstaatssekretär Christoph Degen (SPD) abkürzen, drei Monate erst im Amt, knüpfte an das Gastgeschenk von Edgar Reitz an, der den LICHTERN von Anfang an verbunden ist. Er kam auf die Idee eines Kurzfilms, eines Kürzestfilms und setzte im Kafkajahr dessen Tagebuchnotiz:
„Im Kino gewesen.
Geweint.“
auf die Leinwand, was Degen inhaltlich fortsetzte und von den Emotionen sprach, die ein Kinobesuch mit so vielen Zuschauern bedeute. Kino, das sei Gemeinschaftsgefühl, das es in dieser Form nur im Kino gebe (auf das Waldstadion und die Eintrachtspiele wies er nicht hin). Aber es ist ja richtig angesichts der TV-Serien, inzwischen nicht mal mehr auf dem Rechner, sondern auf dem Handy, also völlig alleine gesichtet, darauf hinzuweisen, was gemeinsam Filme zu schauen an Gesprächsbedarf mit anderen bedeutet. Es fördert den Austausch und den Dialog über das gerade Gesehene zu sprechen, nachzufragen, seine Meinung zu äußern.

zweitesAuch das diesjährige Motto ZUKUNFT EUROPA des 4. Kongresses Zukunft Deutscher Film sei angesichts der Europawahl vom 9. Juni, zu der zu gehen, er alle aufforderte, sehr gut gewählt. Es ist wichtig, auch bei solchen Kulturveranstaltungen auf die negativen Veränderungen unserer Welt hinzuweisen und den Ukrainekrieg und die Israel/Gaza zu erwähnen. Und es ist auch richtig, darauf hinzuweisen, wie gut es uns geht, noch geht, denn es gibt keine Garantie, daß es so bleibt. Doch blieb es nicht bei hoher Politik. Für ihn sei das Neue auch eine Mitfahrt im Ebbelwei-Expreß durch Frankfurt, den es im übrigen seit 1977 gibt, als die alten zweiachsigen Straßenbahnen gegen die neuen langen Züge ausgetauscht wurden. Eigentlich sollte er nur einmal fahren, der Ebbelwei-Expreß, ist aber längst eine Frankfurter Rarität geworden, die gepflegt wird.

AnkundigungChristoph Degen sprach noch weitere richtige Worte, aber wir müssen endlich zum Film kommen und erwähnen nur, daß auch die Geschäftsführerin von HESSEN FILM & MEDIEN, Anna Schoeppe, sprach, die finanziell und inhaltlich das Festival fundieren, daß dann als Überraschung Jim Jarmusch auf der Leinwand erschien und ein Grußwort zum Festival sprach und dabei inniglich an den verstorbenen Karl Baumgartner erinnerte, der auch sein Produzent war. Eine kleine bewegende Rede. Und dann das Gespräch mit der Regisseurin Nargess Kalhor vor und nach dem Film, das Gregor Maria Schubert führte und wo einen die Schattenspiele auf der Leinwand faszinierten.

Stimmt. Diesen Film einzuordnen ist schwer und leicht zugleich. Denn er ist zuvörderst ein Experimentalfilm, aber auch eine Autobiographie, ein Tanzfilm, eine Fantasy, ein Theaterfilm und was noch alles, weil der Film zwischen Wirklichkeit und Träumen, was wir Fiktion nennen, sich hin und herbewegt und man irgendwann keine Lust mehr hat, das auseinanderzuhalten, was hier autofiktional daherkommt. Tatsächlich wird von einer Filmemacherin erzählt, die aus Teheran stammt, in München lebt und einen Teil ihres Namens loswerden will: Shahid eben, was auf Deutsch Märtyrer bedeutet, mit solch einem Ballast will Narges in Deutschland nicht herumlaufen und will daher diesen Namensteil offiziell loswerden. Wer müßte da nicht an den gerade angelaufenen iranischen Film IRDISCHE VERSE denken, der in allem, formal und gestalterisch, das Gegenteil von diesem Film ist, aber das Thema ausufernde vorherBürokratie bei Namensgebungen ebenfalls zum Thema hat.

Bildschirmfoto 2024 04 19 um 06.48.47Die Protagonistin im Film hat es schwer, wenn sie nun die deutsche Bürokratie von der Sinnhaftigkeit und Relevanz ihres Begehrens, den Namen loszuwerden, überzeugen will, zumal sie einen Gegenspieler hat. Ihren Urgroßvater, dem sie den Namen verdankt, ein Mullah, der als Märtyrer zu Tode kam und nun mit seinen schwarzgewandeten bärtigen Kumpels durch deutsche Straßen tanzt. Doch, das hat was, diese Tanzeinlagen, die derart absurd sind und dennoch einen inhaltlichen Zweck erfüllen. Denn diese Männergruppe soll die aufbegehrende Filmemacherin von ihrem Plan, Shahid loszuwerden, abbringen. Das ist verspielt, aber wird auch ernsthaft verhandelt, wir erleben Geschichtsstunden, Theaterbühne und vor allem, wie der Film entsteht, denn es geht auch um einen Film-im-Film und wir sehen der Regisseurin bei ihrer Arbeit mit den Schauspielern zu.

Das war ein langer Abend.


Fotos:
©Redaktion