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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2024, Teil 6

Redaktion 

Hollywood (Weltexpresso) - „Es ist außerordentlich schwierig“, so Garland, „einen Kriegsfilm zu drehen, der eigentlich gegen den Krieg ist.“ „Für Kriegsfilme ist es sehr, sehr schwer, Gewalt nicht als Sensation darzustellen“, sagt er. „Die meisten Antikriegsfilme sind in gewisser Weise keine echten Antikriegsfilme. Sie haben viel mit Kameradschaft und Mut zu tun. Nicht dass sie es darauf anlegten, romantisch zu sein, aber sie werden es automatisch. Da kommen sie irgendwie nicht raus, denn Mut ist romantisch, und auch die Tragödie ist es in gewisser Weise.“


Filme wie Stanley Kubricks Wege zum Ruhm oder das erschütternde sowjetische Kriegsepos Komm und sieh hebt er als seltene Aus- nahmen hervor. Garland wollte, dass Civil War ein entschiedener Antikriegsfilm wird, in dem die aufgeladene Spannung den Zu- schauer an die Sesselkante rutschen lässt, der aber letztlich eher von blankem Entsetzen als von sensationsheischendem Nervenkitzel lebt.

„Ich habe eine spezielle Herangehensweise gewählt, eine möglichst realitätsgetreue“, sagt Garland. „Wenn beispielsweise Menschen erschossen werden, tragen sie keine Filmeffektzünder. Man sieht keine riesige Blutfontäne oder große Mengen an Blut, das hinter ihnen an die Wand spritzt. Sie fallen einfach zu Boden. Nachdem sie gefallen sind, sickert Blut auf den Boden, wenn sie lange genug dort liegen.“
Garland wollte die Handlung gezielt über die „Grammatik von Bildern, die die Leute vielleicht schon gesehen haben, zum Beispiel in den Nachrichten“ zeigen. „Die Grammatik ist über weite Strecken weniger eine kinematographische als eine dokumentarische, wodurch die Gewalt schlicht brutal wurde. Ein Massengrab hat kaum etwas Glamouröses an sich, kaum etwas Romantisches.”

Die Kameraführung spiegelte die Authentizität eines echten Kampfes und verzichtete auf die sauberen Einstellungen, mit denen Garland bei früheren Filmen wie Auslöschung gearbeitet hatte. „Es gibt in diesem Film nur ganz wenige Einstellungen, in denen Schienen und Dollys und die nor- malen Aufbauten für einen Filmdreh zum Einsatz kamen“, sagt er. „Wir benutzten sehr kleine Handkameras, die sich in einem ge- wissen Maße selbst stabilisieren können, wenn man das möchte.“

„Dieser eher handgeführte Look bei allem, was mit Kämpfen zu tun hat, entspricht dem, wie ich die Dinge sehe“, sagt Ray Mendoza, der militärische Berater, mit dem Garland bei diesem Film eng zusammenarbeitete. „Sich diese handgeführten Aufnahmen anzusehen, ist eindringlicher. So sieht man das eigene Leben, wenn sich die Ereignisse überstürzen.“

Um das dramatische Ausmaß des Entsetzens in Garlands Drehbuch einzufangen, musste dieses beunruhigende Gefühl des Realismus überall mit eingeflochten werden, vom Produktionsdesign bis hin zum Lärm der Schießereien.

„So oft ich konnte, habe ich Full-Flash-Platzpatronen verwendet“, erklärt Garland. „Die Menschen reagieren unterschiedlich darauf. Das Geräusch, das diese Dinger machen, ist laut, und manche, beispielsweise 50-Kaliber- Waffen, erzeugen fast so etwas wie ein Vakuum in der Luft. Das fühlt sich fast so an, als würde dir jemand leicht auf die Brust schlagen. Die Leute im näheren Umfeld zucken zusammen oder schrecken ein wenig auf.“

„Ich musste Ohrstöpsel tragen, um das etwas abzudämpfen, denn der Körper reagiert ganz automatisch – man hört Schüsse und will aufspringen“, sagt Dunst. „Besonders wenn wir in Innenräumen waren, war es extrem laut. Ich weiß noch, wie ich im Haar- und Make-up-Wagen war, ziemlich weit weg, und bei einer dieser Explosionen, die sie drehten, bebte der ganze Wagen.“
Die pulsierende Schlusssequenz des Films zeigt eine Belagerung des Kapitols. In Atlanta wurde ein Teil davon komplett nachgebaut und gefilmt. „Irgendwann wurde aus lauter guten Gründen, unter  anderem wegen der Sicherheit, beschlossen, dass wir einen Block nachbauen“, sagt Produktionsdesignerin Caty Maxey. „In dreieinhalb Wochen bauten wir 120 Meter lange Gebäude [und] zwei Seiten der Straße.“

Dieser explosive Ausgang ist vielleicht der Teil, in dem die Handlung am eindringlichsten rüberkommt. Jeder Moment wurde mit der größtmöglichen taktischen Authentizität choreographiert.
Unabhängig von der Geographie oder der speziell aufgebauten Umgebung, „wenn Menschen durch eine Stadt drängen, sind folgende Elemente involviert: Wir haben Elemente auf dem Boden, wir haben Elemente in der Luft, wir haben Elemente von Dach zu Dach“, sagt Mendoza. „Ich habe versucht, [Garland] sehr viele Schichten zu geben. Anfangs hatte ich das Gefühl, es sei zu zweidimensional. In einer Kampfzone spielt sich das Geschehen im 360-Grad-Winkel ab.“

Folglich schuf Mendoza, zusammen mit den Stunt-Koordinatoren Jeff Dashenaw und Wesley Scott, ein immersives Schlachtfeld, das, so Mendoza „ein sehr sphärisch-rundes Gefühl erzeugte, als seien wir vom Chaos umgeben.“ „Am Ende setzten wir für diese Sequenz 40 Stunt-Leute ein, plus meine regulären Jungs, wahrscheinlich 50 insgesamt. Es kamen mal die einen, mal die anderen dran, damit es nicht so aussah, als wären in jeder Einstellung dieselben Leute“, sagt Dashenaw. „Wir hatten Autos. Wir hatten Panzer. Es waren Schauspieler involviert, an denen Autos vorbeibrausten, denen Panzer in den Weg fuhren, es gab Explosionen, Schüsse ...“

Um das alles durchzuziehen, brauchte es Besprechungen mit allen Beteiligten, bei denen Garland und seine Crew die Szenen wie Fußballspiele aufmalte und weniger mit Ablaufplänen arbeitete. „Wir hatten eine Karte der Gegend gezeichnet und malten Pfeile und kleine Kegel an die Stellen, an denen Kameras positioniert waren“, sagt Garland. „Man konnte eine ziemlich ausgefeilte Choreographie zusammenstellen: Dieser Panzer fährt dahin, und dieser Humvee fährt schnell nach vorn auf den anderen Humvee zu, und genau in dem Moment, in dem er an ihm vorbeifährt, gehen diese Soldaten runter. Diese Choreographie haben wir einfach immer und immer wieder ablaufen lassen.“

Am Ende führt die Belagerung zu einer Stürmung des Weißen Hauses. Diese Passage, als ein Team von Soldaten, dicht gefolgt von Lee, Jessie und Joel, durch die präsidialen Flure geht, vermittelt das Gefühl, als seien wir Zeugen einer tatsächlichen Mission, die sich in Echtzeit abspielt. „Ray war Navy Seal. Diese Jungs waren seine Kollegen“, sagt Garland über Mendoza. „Sie taten einfach, was sie auch sonst taten, und wir filmten es nur. Das heißt, diesen Jungs gab ich nicht die üblichen Regie-Anweisungen wie: 'Könnt ihr mal dies machen, könnt ihr mal das machen.' Sie taten einfach, was sie immer taten. Das Einzige, was ich zu ihnen sagte, war: 'Denkt nicht an die Kamera.'“

So lange nichts geschönt wurde, ließ Garland Mendoza freie Hand, um die Sequenz zu choreographieren. „Ich heuerte viele Veteranen an, und es ist großartig zu sehen, wie sie sich da durchlavieren und in die Szene eintauchen“, sagt Mendoza. „Das Ganze ist ziemlich treffend, auch was die Dialoge, die Stimmung und vieles von den Schießereien angeht.“

Doch während die Handlung des Films die Realitäten eines Kampfes darstellt, lässt Maxey an anderer Stelle etwas in den Film einfließen, was sie „surreale Realität“ nennt: Ein naturgetreu daherkommendes Design, das gleichzeitig durch den Zusammenprall von Krieg und normalem Leben etwas Abstruses bekommt. Sie verweist auf eine Szene, in der Jessie und Lee auf die Trümmer eines Helikopters stoßen, der auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums bruchgelandet ist. "Ich habe ein maßstabsgetreues 3-D-Modell eines Hubschrauber gebaut, mit all diesen Drähten“, erinnert sie sich. „Es war das schönste Wrack, das Sie je gesehen haben.“

In einer anderen Szene fahren Lee und ihr Team in eine idyllische Kleinstadt, die anscheinend unberührt ist von dem Krieg, der im Land wütet. „Wir stellten ein paar Rasenmäher, Kinderspielzeug und ein paar Rasen- sprenger auf, wir putzten alles ein bisschen heraus, damit es richtig hübsch und reizend aussieht“, sagt sie. „Da leben noch Menschen. Hier ist nichts aus dem Lot.“ Natürlich ist etwas aus dem Lot – die Wirklichkeit bricht herein.

Dieser bodenständige Look eignet sich für die naturalistische Stimmung, die Civil War weniger wie eine Dystopie denn wie eine düstere Realität in naher Zukunft wirken lässt. In manchen Fällen ist es schlicht eine Beschreibung des Lebens, wie es bereits heute ist. Garland führt als Beispiel eine Szene an, die in einem verlassenen Fußballstadion spielt. „Das ist einfach der Ort“, sagt er. „Wenn Sie da jetzt hingehen wollten: alles ist mit Graffiti besprüht, und dahinter stehen baufällige Gebäude.“

In einer anderen Szene liefern sich Scharfschützen ein Gefecht in einem gespenstischen verlassenen Winter-Wunderland. „Wir suchten nach Drehorten und fuhren diese Straße entlang. Da hatte jemand ein Winter- Wunderland gebaut, war pleite gegangen, und die Überbleibsel des Winter-Wunder- lands lagen einfach über das Feld verstreut“, erinnert sich Garland. „Ein Teil des Zerfalls, den Sie sehen, ist einfach der bestehende Zerfall.“


Die Schauspieler

Es gibt viele Schauspieler, so Garland, bei denen man das Gefühl hat, sie existierten – im guten oder im schlechten Sinne – nicht in derselben Dimension wie unsereins. Stars, „bei denen man das Gefühl hat, sie haben nicht gelebt. Sie leben irgendwie nicht in der Welt, in der der Rest von uns lebt.“

Auf dem Papier hat Kirsten Dunst immer in der anderen Welt gelebt, eine Schauspielerin, deren Karriere sich seit ihren Zeiten als Kinderstar über die Jahrzehnte immer weiter entwickelt hat und mit deren Filmen wir groß geworden sind. „Und doch“, sagt Garland, „hatte ich immer das Gefühl, sie lebt in derselben Welt wie wir alle.“

„Bei dieser Figur kam es unter anderem darauf an, dass sie wirklich gelebt haben musste“, fügt er hinzu. „Sie schien einfach genau die Richtige zu sein, um eine Journalistin mit sehr viel Lebenserfahrung zu spielen.“ Noch nie in ihrem Leben und ihrer Schauspielkarriere hatte Dunst es mit etwas wie Civil War zu tun gehabt. „Mein Herz raste, als ich das Drehbuch las, weil ich spürte, dass ich so etwas noch nie gelesen hatte“, sagt sie. Am nächsten Tag hatte sie ein Zoom-Meeting mit Garland. „Ich weiß noch, wie ich, als ich ins Auto stieg, zu meinen Freunden sagte: 'Gott, ich will diesen Film unbedingt, ich will diese Rolle unbedingt spielen. So was habe ich noch nie gemacht. '

Dieser Wunsch lag teilweise auch darin begründet, dass sie mit Garland, dessen Arbeiten sie bewunderte, zusammenarbeiten wollte. „Ich bin immer sehr auf die Regisseure fixiert“, sagt sie. „Es ist mir egal, was ich spiele, das Drehbuch ist mir nicht wichtig. Ich würde einem Regisseur, wenn ich ihn toll finde, zusagen, bevor ich das Drehbuch gelesen habe.“
„Mit Garland zu arbeiten“, fügt sie hinzu, „ist, als würde man, was Regiearbeit oder eigentlich alles angeht, zur letzten Wahrheit vordringen. Er filtert sich selbst nicht, was ich sehr schätze, und er nimmt alles, was er tut, sehr ernst.“

 Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung

Präsident.    Nick Offerman 
Lee.  Kirsten Dunst
Joel.   Wagner Moura 
Dave.    Jefferson White 
Tony.   Nelson Lee 
Bohai.   Evan Lai
Jessie.    Cailee Spaeny
Sammy  Stephen McKinley Henderson
 
Stab
Regie Drehbuch Alwex Garland
  
Abdruck aus dem Presseheft