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DAS JÜDISCHE LOGBUCH  Ende März 

Yves Kugelmann

Berlin (Weltexpresso) - Die Menschen sind verschüchtert. Sie würden gerne etwas sagen, trauen sich nicht. Die einen für Israel, die anderen dagegen oder irgendwas dazwischen. Ein Kulturabend in Berlin – diesmal ohne Palästina-Manifestationen. Danach in einem Café an der Tucholsky-Strasse unter Jüdinnen und Juden ist dann das Gespräch offener, nicht weniger heterogen. Was machen die Massaker des 7. Oktober, der global artikulierte Antisemitismus, das Bangen um die Geiseln und der verheerende Gaza-Krieg mit der jüdischen Gemeinschaft? Und was mit der Welt, in der jüdische Menschen leben? Die nächsten Jahre werden es zeigen.


Doch Brüche zwischen Israel und grossen Teilen jüdischer Gemeinschaften weltweit sind längst vor dem der 7. Oktober entstanden. Die Brüche haben mit zu rechten Regierungen, mit der Besatzung, mit der Vereinnahmung des Judentums ausserhalb Israels zu tun und konnten auch von der traditionellen grossen Solidarität der jüdischen Gemeinschaft mit Israel nicht gekittet werden. Zerbrochene Mythen, enttäuschte Liebe und so fort tun ihr Weiteres. Differenzierungen zwischen Land, Bevölkerung, Regierung sind fast nicht mehr möglich. Denn schliesslich ist die Regierung demokratisch gewählt worden, die Opposition selbstverschuldet entschlafen, israelische Regierungen machten Juden weltweit zu einem Teil Israels – und dann auch wieder nicht. Andere wiederum haben ihre Solidarität mit Israel in den letzten Jahren gestärkt, stützen den radikaleren Kurs Netanyahus, den ein deutsch-jüdischer Beobachter so kommentiert: «Was interessieren Netanyahu die fünf bis sechs Millionen liberaleren Juden, wenn er 50 Millionen evangelikale US-Zionisten an seiner Seite weiss.»

Wer ist nicht aufgewachsen mit der kurzsichtigen Fragestellung: Was ist gut oder schlecht für die Juden? Als ob eine Kohärenz jemals gegeben gewesen wäre, als ob die Selbstverkennung zum politischen Programm hätte stilisiert werden können und jemals klare Antworten möglich gewesen wären. Ist dieser Gaza-Krieg gut oder schlecht für die Juden? Ist der Bruch des globalen Südens mit Israel gut oder schlecht für die Juden und wie ist es mit den stärker werdenden Brüchen im Westen? Waren es die Mythen, blinde Solidarität, die zu enge Bindung, wenn israelische Botschafter auf einmal jüdische Gemeinden zu stark vertraten? Und umgekehrt, jüdische Funktionäre Israel das Wort redeten? Die Beziehung zwischen Israel und Juden war nie eine auf Augenhöhe und statuiert in diesen Tagen wiederum ein weiteres fatales Exempel, da Israel immer mehr isoliert wird oder sich selbst isoliert.

Ein Dialog auf Augenhöhe wäre allerdings gerade in Zeiten der Krisen wichtig, um zu ganzheitlichen Lösungen zu kommen. Wenn Jüdinnen und Juden weltweit tagtäglich um Israels Geiseln bangen und letztlich die grösste Opposition von Israels Regierung werden, ohne dass sie es wollen, führt dies ein Dilemma vor Augen, in das Israel und Juden nie hätten kommen dürfen. Pragmatiker sehen in diesen Tagen allerdings auch eine Chance auf einen Ausweg aus der Verhärtung, Zyniker ihre Chance auf die «Lösung» des Palästina-Konflikts. Was letztlich gut oder schlecht für «die Juden» sein wird, ist die falsche Frage. Die richtige wäre: Was ist richtig und falsch, was ist vernünftig und was ist ethisch vertretbar und somit auch gut für die Juden?
 

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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 28. März 2024
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.