Kein „Glaubensunterricht“: Das grundgesetzlich verankerte Schulfach soll vor allem Wissen über den Glauben vermitteln

Hubertus von Bramnitz

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Religionsunterricht gehört in Deutschland zum ganz normalen Fächerkanon einer staatlichen Schule. Wie passt das zusammen mit der angeblichen Trennung von Staat und Religion in unsrem Land?

Warum das spezifisch deutsche Konstrukt, das letztlich bis auf die Paulskirchenverfassung zurückreicht, eine Chance für die Gesellschaft sein kann, dieser Frage ist Anke Sauter in ihrem Beitrag für die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ nachgegangen. Interessante Gesprächspartner fand sie dabei bei den Religionspädagogen unterschiedlicher Prägung, die an der Goethe-Universität lehren und forschen.



Allgemeinbildende öffentliche Schulen sollten sich um alle Lebensbereiche kümmern und den Schülern die dafür notwendige Bildung vermitteln – das ist einer der Grundgedanken dafür, dass an deutschen Schulen auch die Religion ihren festen Platz hat. Als einziges Schulfach ist sie sogar im Grundgesetz verankert: Dort ist einerseits festgeschrieben, dass die Inhalte in Abstimmung mit den Religionsgemeinschaften vermittelt werden, dass es aber andererseits auch die Möglichkeit gibt, sich vom Religionsunterricht abzumelden. War der Unterricht in den Anfangsjahren der Bundesrepublik noch stark am Kennen- und Auswendiglernen religiöser Texte orientiert, fand in den 1970er Jahren eine Öffnung statt. Weder evangelischer noch katholischer Religionsunterricht konzentriert sich noch allein auf die der eignen Konfession zugehörigen Themen; beide vermitteln auch Wissen über andere Religionsgemeinschaften und auch über nichtreligiöse Lebensorientierungen. „Der Glaube ist ein Thema des Religionsunterrichts, aber Religionsunterricht ist kein Glaubensunterricht“, sagt der evangelische Religionspädagoge Prof. Dr. David Käbisch. Denn der Glaube sei nicht verfügbar und könne insofern kein „operationalisierbares Unterrichtsziel“ sein. Glaube wird meist in den Familien vermittelt – wenn überhaupt
–, im schulischen Unterricht jedoch geht es um Inhalte.

 
Das sollte nach Ansicht des muslimischen Erziehungswissenschaftlers Prof. Dr. Harry Harun Behr auch beim islamischen Religionsunterricht der Fall sein. Anders als viele Nicht-Muslime glaubten, wüchsen muslimische Kinder oft eher glaubensfern auf. Wie bei vielen christlichen Kindern gehe es im schulischen Religionsunterricht zunächst um „religiöse Alphabetisierung“, so Behr. Schon 1980 hat die Kultusministerkonferenz der Länder die Notwendigkeit des islamischen Religionsunterrichts konstatiert, doch erst in den vergangenen Jahren kam der Aufbau der dafür notwendigen Infrastruktur in Gang. An der Goethe-Universität wurde ein neues Fach „Islamische Studien“ eingeführt, das dem Aufbau einer Islamischen Theologie dienen soll. Gemeinsam mit der Uni Gießen beheimatet Frankfurt ein Zentrum für Islamische Studien; in Gießen werden Grundschullehrer ausgebildet, an der Goethe-Universität gibt es seit diesem Frühjahr einen Weiterbildungsstudiengang für bereits praktizierende Lehrkräfte, vom Wintersemester 2016/17 an wird ein grundständiges Studium für Sekundarstufenlehrer angeboten. Für diese beiden Studiengänge ist Prof. Behr zuständig.

 
Eine Hürde bei der Einrichtung des bekenntnisorientierten Unterrichts analog zu dem für die christlichen Konfessionen ist freilich die Tatsache, dass es im Islam keine mit kirchlichen Entscheidungsträgern vergleichbaren Instanzen gibt. In den Ländern, in denen die Inhalte des Religionsunterrichts sich tatsächlich an den Glaubensgemeinschaften orientieren sollen, hat man sich deshalb mit Beiräten beholfen, in denen unterschiedliche Richtungen des Islam vertreten sind. In Hessen ging man einen anderen Weg, indem man direkt mit zwei Verbänden – der türkisch orientierten DITIB Hessen und der Ahmadiyya Muslim Jamaat Verträge schloss, so dass es zwei islamische Angebote unterschiedlicher Ausrichtung gibt. Die Unterschiede seien eher kultureller als theologischer Art, betont Behr, der maßgeblich an der Erarbeitung des Kerncurriculums beteiligt war. Während Kritiker der Landesregierung monieren, man dürfe mit einer dem türkischen Staat so nahe stehenden Institution wie DITIB nicht so eng kooperieren, sieht Behr die Chance in dem neuen Angebot: „Islamunterricht ist normalitätsstiftend“, sagt er – auch für das Zusammenleben der Muslime unterschiedlicher Herkunft. Vor allem aber trage der Unterricht in deutscher Sprache erheblich zur Integration der jungen Muslime in die deutsche Gesellschaft bei. „Wir müssen ein attraktiveres Angebot machen als die Islamisten“, betont Behr.



Ob das neue Studienangebot auch junge Leute mit extremen Positionen anzieht, darüber kann nur spekuliert werden. Aber auch in diesen Fällen ist das Angebot eine Chance, ins Gespräch zu kommen. „Theologie ist Selbstaufklärung“, sagt der katholische Religionspädagoge Prof. Dr. Bernd Trocholepczy. Auch in den christlichen Theologien gibt es immer wieder fundamentalistisch geprägte Studierende. Manche könne man umstimmen, manche gäben ihr Studium wieder auf. Denn, so Trocholepczy, theologische Rationalität und Fundamentalismus seien nicht miteinander vereinbar.