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Kategorie: Kulturbetrieb
alz 1denkmalWas ist mit Auguste D.?, fragt Rudolf Dederer und beschreibt ihren Gang in die Klinik am 25. November 1901, in der sie Alois Alzheimer einbehielt, der am 19. Dezember 1915 starb, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aber mit unserem Protokoll sind wir der Zeit schon voraus. Denn Rudolf Deter schildert ja nicht den weiteren Verlauf dieser Krankheit, sondern breitet diesen Tag, den 25. November 1901, vor uns aus, der insbesondere für Frankfurter auch eine Reise in die Vergangenheit ist.

Denn er schildert detailliert den Weg, nachdem er mit seinem stilistischen Mittel: inneren Monologen und kurzen Dialogen den Morgen zu Hause charakterisiert hat, den Weg also von Sachsenhausen, südlich des Mains, durch die Stadt in die Klinik im Westend. „‘Zieh deinen Mantel an! Zieh bitte deinen Mantel an‘...Jetzt zieh schon deinen Mantel an...Wir nehmen die Elektrische.“‘, hatte der angesichts des wirren Verhaltens seiner Frau genervte Ehemann immer lauter und entschiedener gesagt. Denn nach einem halben Jahr ist ihm das Entrücktsein seiner Frau nicht mehr erträglich.

Thekla, die gemeinsame Tochter, hat längst das Elternhaus verlassen und seine Frau wäre nicht überfordert, verhält sich aber so. Sie vergißt und vergißt ständig auch sich selbst, weiß nicht, wer sie ist, noch wer die anderen sein könnten. Nicht immer. Aber zu oft. Der Ehemann dagegen hat es, so schildert es die Erzählung, gerne übersichtlich als Beamter im einfachen Dienst als Eisenbahnsekretär. Lange war er glücklich in seiner Ehe. Und sie? Sie soll sich jetzt anziehen. 

„Das soll ein Mantel sein?“, hatte Auguste noch zurückgefragt...“Karl erkennt Mißtrauen in ihrem Blick. Sie seufzt leise. Karl fühlt sich durchschaut.“ (15) Dieses wechselseitige Mißtrauen, das die Krankheit mit sich bringt, wird vom Autor an vielen Beispielen durchgespielt, die darum allesamt dazu führen, seine Erzählung als einfühlsam, eben empathisch zu empfinden, ohne daß es sentimental oder gar kitschig würde. Überhaupt nicht. Hier versetzt sich ein gesunder Mann in eine kranke Frau und ihren von ihrer Krankheit ebenfalls geschlagenen Ehemann.

Vorhanden sind die Fakten – interessant, wieder erinnert zu werden, daß 1901 der neu eingerichtete Nobelpreis für Physik an Röntgen ging und der für Medizin an Behring, der das Heilserum gegen Diphtherie erfand - , aber das Innenleben der beiden Deters und ihre immer gestörtere Kommunikation sind vom Autor nachempfunden.

Wir folgen den beiden in die Straßenbahn, die ihren Weg über den Schweizerplatz über den Main in die Neue Mainzer Straße nimmt, noch heute die vielbefahrene Rennstrecke in die Innenstadt, direkt zur Alten Oper, dem damaligen Opernhaus. Interessant, dann ging es nicht weiter über die Bockenheimer Landstraße, sondern den Reuterweg entlang, wo noch bis in die Sechziger Jahre die Straßenbahnen 17 und 13 fuhren. Auf der Höhe Grüneburgweg steigen die beiden aus und gehen bergan den Feldweg, der zur Klinik führt. Dort liegt die Klinik, sehr hochherrschaftlich im Stil des Historismus.

„Das zweiflügelige ‚Schloss‘ vor ihnen weckt in Auguste ferne Kindheitsbilder. Ein kleines Mädchen, das sie selber sein könnte, aber sie ist sich nicht sicher, geht an der Seite des Vaters, so wie jetzt neben ihrem Mann. Ein Schloss ragt vor den beiden auf, sehr hell, sehr groß, und der Vater sagt zu dem Mädchen ‚Wilhelmshöhe‘.“ (23), womit Dederer überleitet zur Kindheit der Auguste, in einer Mischung aus Lebensdaten und Fiktion, die die damalige Zeit in Bildern aufscheinen lassen. Aber noch sind die beiden zur Klinik unterwegs und erreichen die Wolfsgangstraße, die damals das Ende der städtischen Bebauung bedeutete und der nach dem Anstieg das „Irrenschloß auf dem Affenstein“ folgt, der buchstäblichen Endstation der Auguste D. Nein, sie erkennt wohl nichts wieder vom Besuch vier Wochen zuvor, eine Zeit, in der es mit ihr immer schwieriger wurde. Sie ist doch erst 51 Jahre alt, aber: „ihre Stirn ist von fünf tiefen Querfalten und einer scharfen senkrechten Falte über der Nasenwurzeln zerfurcht. ...Könnte man es nur entziffern, könnten wir die Furchen auf der Stirn, die Tränensäcke unter den Augen und die sichelförmigen Kerben von den Nasenflügeln bis zu ihren Mundwinkeln doch wie Schriftzeichen auf einem Dokument lesen! Das Gesicht ist gezeichnet von der Mühe des Lebens, von den Anstrengungen der Arbeit, soviel lässt sich mit Bestimmtheit sagen, aber auch von Zweifeln und Verunsicherungen...“(30f)

Foto: ©

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Damalige Ankündigung

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Der andere Alzheimerpatient der Neuzeit in
Olivia Rosenthal, Wir sind nich da um zu verschwinden, Ulrike Helmer Verlag

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