Erinnerung an die Veranstaltung zum Welt-Alzheimertag im September im Gesundheitsamt Frankfurt am Main, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir hatten am 25. November und danach an die alzheimerkranke Auguste D. und ihren, ihre spezifische Demenz diagonostizierenden Arzt Alois Alzheimer erinnert – der heute vor 102 Jahren starb - und einen weiteren Patienten von Olivia Rosenthal in WIR SIND NICHT DA UM ZU VERSCHWINDEN, diesmal einen Mann, erlebt.
Drei Tage sind im Jahr im besonderen mit dem Thema Alzheimer verbunden. Neben dem Todestag von Alzheimer sind dies der 25. November, der Tag, an dem Auguste D. die Frankfurter Klinik aufsuchte, in die sie der Arzt Alzheimer aufnahm und wo sie bis zu ihren Tod blieb. Im September hatte zum Welt-Alzheimertag - 21. September - Rudolf Dederer im Gesundheitsamt aus seiner Erzählung vorgelesen. Vorangegangen war seine Führung zu der im Gesundheitsamt im 4. Stock ausgestellten Installation „Denk mal an Auguste! – Scherben der Erinnerung“, die er selbst geschaffen hat und zu der es einiges zu sagen gibt.
Rudolf Dederer ist gebürtiger Frankfurter, pensionierter Jurist, Stadtteilhistoriker der Stiftung Polytechnische Gesellschaft und Vorleser im Projekt Lesefreuden des Bürgerinstituts. Zu erwähnen ist aber auch Konrad Maurer und seine Frau. Prof. Maurer war Leiter des Gesundheitsamtes, der die Krankenakte der Auguste D. Ende der 90er Jahre auffand und sofort die Bedeutung seines Fundes erkannte, der heute im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte unter der Nummer 7139 der Ärztlichen Akten verwahrt wird. Seit damals haben er und seine Frau Ulrike diese Akten aufgearbeitet, einer breiten Öffentlichkeit bekanntgemacht und über den Arzt Alzheimer 2002 ein weiteres Buch geschrieben, denn 1998 war in „Alzheimer – Das Leben eines Arztes und die Karriere einer Krankheit“, 1998 im Piper Verlag, auch über Auguste D. geschrieben worden: „Über einen eigenartigen schweren Erkrankungsprozeß der Hirnrinde: Die Geschichte der Entdeckung, Beschreibung und Namensgebung der Alzheimer Krankheit“.
Rudolf Dederer stellte klar, daß er ohne die durch Maurer bearbeitete Krankenakte niemals den Zugang zur Patientin Auguste D. erhalten hätte, deren Schicksal er auch deshalb so individuell nachvollzieht und künstlerisch bearbeitet, weil es das Schicksal vieler ist, die durch immer höhere Bevölkerungszahlen und immer älter werdende Menschen nun eine nach ihrem Arzt benannte Krankheit erleiden, wobei zu den statistischen Gründen aber auch weiter hinzutritt, daß das Vergessen grundsätzlich eine Krankheit der Zeit ist, ist sie vorsätzlich, aus Bequemlichkeit oder durch Krankheit verursacht.
Dagegen ist Rudolf Dederer schon einmal mit künstlerischen Mitteln angegangen. Er hat eine in sich geschlossene Installation DENK MAL AN AUGUSTE – SCHERBEN DER ERINNERUNG hergestellt, die seit 2016 Platz im Frankfurter Gesundheitsamt gefunden hat, wo man sie besichtigen kann und an den Wänden dazu in Dauerausstellung Werke des an Alzheimer erkrankten Frankfurter Künstlers Carolus Horn WIE AUS WOLKEN SPIEGELEIER WERDEN findet.
Schauen Sie auf den Bildern dieses einfallsreiche Sitzensemble an. Auch ohne Alzheimer ist hier jegliche Kommunikation unterbunden. Diese Installation DENK MAL AN AUGUSTE! Ist wirklich interessant. Sie sieht vollkommen aufgeräumt, ja ordentlich aus. Denn da ruhen in einer Vitrine an der Wand lauter zerdepperte Porzellanteile (Keramik?), die aber in Form gelegt sind und so ihren durch Zerbrechen funktionslosen Zustand kaschieren. Man muß also gleich mehrmals hinschauen, weil man seinen Augen nicht traut. Dasselbe Gefühl bei dem Tisch, der eine Glasplatte besitzt, unter der man ebenfalls die Scherben und ebenfalls zu früheren Formen zusammengesetzt sieht. Diese Mischung aus Funktionieren und Nichtfunktionierenkönnen, aus gewesener Einheit und kaputter, nur noch in Umrissen vorhandener Einheit, ist tatsächlich aufregend. Das gilt schon grundsätzlich. Erfährt man aber dann, daß diese Scherben original aus dem Geschirrbestand der früheren „Städtischen Irren-Anstalt“ sind, dann überkommt einen Gänsehaut.
Diese verstärkt sich, wenn man die Umstände der Bergung der Scherben kennt. Kurzfassung: Außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes wurde Mitte des 19. Jahrhundert auf dem sogenannten Affenstein die Städtische Psychiatrie gebaut – auf Initiative des rührigen Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann, der Vater des Struwwelpeter (1844), der auch erster Leiter der Irrenschloß genannten Klinik wurde. Dort war 1901 Alois Alzheimer tätig, als Auguste D. als Patientin am 25. November 1901 von ihrem Mann eingeliefert wurde. Das gesamte Gelände wurde in den zwanziger Jahren an die I.G.Farben verkauft, den Zusammenschluß von chemischen Firmen in Deutschland, die dort 1928 ihre von Hans Poelzig so herrlich erbaute Konzernzentrale als geschwungener Querriegel hinsetzen. Ein absolutes Objekt der Begierde für die Amerikaner, die noch vor Kriegseintritt beschlossen, dort dereinst ihr europäisches Hauptquartier einzurichten. So geschah es. Als in den Neunzigern die Amerikaner gingen, war es eine weise und teure Entscheidung der SPD-Landesregierung, in diesem Gebäude die Universität einziehen zu lassen und das gesamte Areal mit Universitätseinrichtungen zu bebauen, was geschah. Und dabei wurde dann 2008 unter einem Erdhügel der sogenannte Affensteinturm entdeckt, von dem keiner mehr Ahnung hatte und der tatsächlich aus dem Mittelalter rührt, weshalb er in die Bauplanung miteinbezogen wurde. Und dieser Turm war gefüllt mit Geschirrscherben aus der Klinik. Das meiste zerdepperte Geschirr ist entsorgt worden. Aber Rudolf Dederer konnte für sein Vorhaben Scherben retten, die wie oben beschrieben, zu ihren Formen rückbezogen sind.
Wenn gesagt wurde, daß hier eine irritierende Zusammenfügung von Ordnung und Unordung, die wieder in Ordnung gezwängt ist, besteht, so geht die Ordnung vor allem von den solide gefertigten Holzmöbeln aus, der Vitrine und dem Tisch mit den Stühlen. Und zu diesen gibt es eine Besonderheit: Gleichsam intellektuell und künstlerisch ausgeklügelt ist nämlich Dederers Idee der beiden Sitze am Tisch. Die sind nämlich so angeordnet, daß zwar jeder sitzen kann, aber daß man im Gespräch unmöglich das Ohr des anderen erreicht. Diese Sitze führen das Nichtkommunizierenkönnen schon in ihrer Form mit sich. Das ist echt raffiniert und man wünscht sich, daß möglichst viele Frankfurter hier im vierten Stock diese Installation sehen und buchstäblich begreifen können. Denn es ist keine Sperre und auch kein akustisches Signal, das verhindert, daß man die Gegenstände berührt.
Und daß hier doch mehr Menschen vorbeikommen, als man es bei einem Gesundheitsamt erwartet, hat auch mit den Veranstaltungsreihen des Gesundheitsamtes zu tun, die mindestens zweimal jährlich in Broschüren zusammengefaßt von den vielfältigen Aktivitäten des Gesundheitsamtes zeugen. Stefan Majer ist der Dezernent für Personal und Gesundheit der Stadt Frankfurt am Main und er kann auf seine Mitarbeiter in der Breiten Gasse wirklich stolz sein. Im Juni 2017 hatte ein Tag der offenen Tür anläßlich des 100jährigen Bestehens des Gesundheitsamtes dies vielen Besuchern zeigen können. Aber man ist nicht auf einmalige Aktionen aus, sondern auf das breite Angebot an Veranstaltungen das ganze Jahr hindurch.
Hinter uns liegen Themen wie Epilepsie und Arthrose, aber vor uns gibt es Aufklärungsveranstaltungen zu Krebsvorsorge in der Zahnartzpraxis (10. Januar) , über den zu umfangreichen Medikamentencoctail (Polypharmazie) bei älteren Menschen (14. Februar), Aktiv in den Frühling (14. März oder sogar Gekonnt Flirten – ein Schnupperkurs am 11. April. Wissen Sie, was Resilienz ist? Sie erfahren es und auch, wie man sie erwirbt und nutzt am 16. Mai. Und am 13. Juni heißt es Gemeinsam lesen – macht Literatur gesund?, was wir sofort bejahen täten, ohne über statistische Angaben zu verfügen, einfach aufgrund persönlicher Erfahrung.
Und am Mittwoch, 31. Januar 2018 gibt es von 16 bis 17.30 Uhr die Möglichkeit FRANKFURT AM MAIN, 25. NOVEMBER 1901, VORMITTAGS 10 ½ Uhr – was ist mit Auguste D.? als Autorenlesung von Rudolf Deterer zu erleben, wozu wir nur auffordern können.
Und am Mittwoch, 7. Februar, wie immer von 16 bis 17.30 Uhr gibt es die Kunstführung mit Rudolf Dederer zu seine Installation DENK MAL AN AUGUSTE! - SCHERBEN DER ERINNERUNG.
Was aber in der Veranstaltung am 20. September in Frankfurt von Rudolf Dederer vorgetragen wurde, das wollen wir anhand seiner Schrift FRANKFURT AM MAIN, 25. NOVEMBER 1901, VORMITTAGS 10 ½ Uhr. WAS IST MIT AUGUSTE D.?iin der Folge wiedergeben.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto: ©
Info:
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Der andere Alzheimerpatient der Neuzeit in
Olivia Rosenthal, Wir sind nich da um zu verschwinden, Ulrike Helmer Verlag
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