a auguste deterWIR SIND NICHT DA UM ZU VERSCHWINDEN von Olivia Rosenthal im Ulrike Helmer Verlag, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aber nicht nur auf dem Titel verschwindet etwas. Im Text selber schwindet, zumindest symbolisch, die Buchstabenfolge ‚lzheimer‘. Denn Alzheimer wird nur dann ausgeschrieben, wenn es um den Arzt persönlich geht. Geht es um die nach ihm benannte Krankheit, heißt die nur A. , genauso wie der zukünftige Patient Monsieur T. heißt, denn mit ihm beginnt dies Buch:

„Am 6. Juli 2004 stach Monsieur T. fünf Mal mit dem Messer auf seine Frau ein.“ Gleich auf der nächsten Seite wird in Kurzfassung das Leben, eher die berufliche Karriere des Doktor Alois Alzheimer vorgestellt, der am 14. Juni 1864 im bayrischen Marktbreit geboren wurde (ha, da hat die französische Autorin die politische Landkarte benutzt, wir würden aber Marktbreit immer als fränkisch bezeichnen) und seine erste Stelle an der STÄDTISCHEN ANSTALT FÜR IRRE UND EPILEPTISCHE in Frankfurt am Main antrat, im Volksmund IRRENSCHLOSS, wo er am 25. November 1901 in genau dieser Klinik auf dem Affenstein, dem Ort, wo heute die Universität Frankfurt residiert, seine Patientin Auguste D. stationär aufnimmt. Aber das ist eine andere Geschichte, die wir hier mit Olivia Rosenthals Buch zusammenbinden, denn mit Auguste D. wird das Patientenbild für den Arzt Alzheimer, das zur Beschreibung der Krankheit A. führt, erst geboren, weshalb wir die angekündigte Erzählung von Rudolf Dederer, wie es gewesen sein könnte, noch weitergeben werden.

Konsequent heißt es bei Olivia Rosenthal auf der nächsten Seite dann: „Die Krankheit A. ist eine degenerative Hirnerkrankung. Diese Form der Demenz, deren Ursachen noch nicht erforscht sind, weist spezifische Schädigungen des Gewebes auf: Vorkommen von senilen Plaques, Entartung der Fibrillen in den Neuronen und Schrumpfung der Hirnrinde.“(7)
Immer wieder sind fachliche Erläuterungen, Tatsachenberichte von Monsieur T., Patientenbeschreibungen verschlungen und ineinandergedreht mit Fragen an Patienten und deren, meist den Fragen nicht angemessenen, aber äußerst phantasievollen Erwiderungen, die einem vorkommen, als ob wir diejenigen sind, die nicht verstehen, während die A.Patienten eine eigene Wahrnehmung und Wahrheit besitzen, die uns leider verschlossen bleibt.

Das ist ein entscheidender Kunstgriff der Autorin, der uns quasi atemlos beim Lesen läßt, wollten wir doch unbedingt wissen, wie es weitergeht mit der Krankheit A. und dem Monsieur T., wobei, das merken wir nach und nach, es beim Lesen doch eigentlich um uns selber geht, wie das nämlich mit uns einmal wird, ob auch uns die Krankheit A. einholen wird. Das ist das Irre an der Situation, daß keiner wissen kann, was ihm die Zukunft und das Alter bringt, eben auch an Krankheiten bringen kann. „Dieses Buch hat zum Ziel, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass ich eines Tages selbst von der Krankheit A. befallen sein könnte.“, gibt Olivia Rosenthal uns zum Trost vor, spricht sie doch aus, was jeder, aber auch jeder, der dies Buch zu lesen anfängt, sich selbst unterwegs fragen muß. Es sei denn, er ist ignorant. Aber ein solcher legt das Buch beiseite oder nimmt es erst gar nicht in die eigenen Hände.

„Sagen Sie mir ihren Geburtsort?

Ich weiß nicht, Herr Doktor.

Wie alt sind Sie?

Amerika, Frankfurt, eins von beiden.

Wo wohnen Sie?

Das ist schwer zu erklären.“,

das sind solche Sentenzen, die das Buch durchziehen und in den Dschungel von Erinnern und Bewahren eine neue Ordnung des Seins konstituieren. Oft habe ich beim intellektuellen-poetischen Behagen von solchem Fragespiel mich ernsthaft gefragt, ob ich das darf, ob das Quere und buchstäblich ‚Ver-rückte‘ in den Gedanken- und Sprachgängen von A.Patienten so goutiert werden darf. Aber wenn es doch so ist, wäre es andererseits unwahr, dies nicht zuzugeben.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto: Die 51jährige Auguste Deter ©

Info:
Olivia Rosenthal
Wir sind nicht da, um zu verschwinden
Aus dem Französischen von Birgit Leib
180 Seiten, Hardcover
Ulrike Heimer Verlag
Erschienen August 2017
ISBN 973 3 897414 02 0
Ladenpreis 20,00 Euro

Rudolf Dederer, Frankfurt am Main, 25. November 1901 Vormittags 10 1/2 UHR. Was ist mit Auguste D., biographische Erzählung, Broschüre