fragt Rudolf Dederer und beschreibt ihren Gang in die Klinik am 25. November 1901, in der sie Alois Alzheimer einbehielt, der am 19. Dezember 1915 starb, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Biographische Erzählung nennt der Autor seine Würdigung des Tages, an dem die Patientin, nach der ihre Krankheit Alzheimer genannt wurde, an eben diesem Novembertag in der Frankfurter Psychiatrie ihren Arzt Alzheimer aufsuchte und in der Klinik bleiben mußte. Dieser Alois Alzheimer starb heute vor 102 Jahren, am 19. Dezember 1915 in Breslau, heute Polen.
Und da wir am 25. November unbedingt die berührende und herrlich schräge Abhandlung über den an Alzheimer erkrankten Vater der Olivia Rosenthal vorzogen (siehe Links), nehmen wir den Todestag von Alois Alzheimer zum Anlaß, um Dederers poetisch liebevolles Aufbrechen der Auguste, begleitet und beaufsichtigt von ihrem Mann Karl, zur im Volksmund Irrenschloß genannten psychiatrischen Klinik, der „Städtischen Anstalt für Irre und Epileptische“ in Frankfurt am Main, begleiten, in der sie „4 Jahr 4 Monat 14 Tage“ (S. 37) geblieben war, als sie dort am 8. April 1906 starb. Man weiß heute sehr wenig über die furchtbaren Zustände, unter denen geistig Kranke, die als Idioten bezeichnet wurden, jahrhundertelang zusammengepfercht waren mit Zwangsjacken, Zwangsfütterungen und anderen Zwangsmitteln. Den Bau dieser neuen Klinik 1859-1864 hatte Heinrich Hoffmann - ja, der Autor des Struwwelpeter, den er zu Weihnachten 1844 für seinen Sohn gedichtet und gezeichnet hatte – initiiert, weil er Luft und Licht und humane Krankenpflege in eigenen Zimmern für die Voraussetzung der Heilung der Kranken hielt, für diejenigen, die überhaupt zu heilen waren, und für die anderen zumindest menschliche Zustände garantierten.
Auguste Deter hatte schriftlich ihre Zustimmung gegeben, daß Alzheimer ihr Gehirn zu wissenschaftlichen Zwecken erhalte und tatsächlich sind seine Untersuchungen über die auffälligen Veränderungen der Anfang, diese besondere Form der Demenz als Alzheimer Krankheit zu bezeichnen, was er 1911 bei einem weiteren verstorbenen Patienten erneut vorfand und was heute ‚plaque-only‘ genannt wird. Die zusätzliche Tragik dieser Erkrankung ist, daß man bisher nur nach dem Tod durch die Untersuchung des Gehirns die vollkommene Bestätigung von Alzheimer erhält.
Aber dies ist weithin bekannt und kann nachgelesen werden. Was Rudolf Dederer aber über Auguste D. mitteilt, gilt: „Üblicherweise wird sie, wenn überhaupt, nur als bedauernswerte Nebenfigur in der Geschichte der bedeutenden Entdeckung der Alzheimer Krankheit wahrgenommen.“(5) Die Krankheit des Vergessens beginnt also mit dem Vergessen der ersten Patientin. Dagegen ist Rudolf Dederer schon einmal mit künstlerischen Mitteln angegangen. Er hat eine in sich geschlossene Installation DENK MAL AN AUGUSTE – SCHERBEN DER ERINNERUNG hergestellt, die seit 2016 Platz im Frankfurter Gesundheitsamt gefunden hat, wo man sie besichtigen kann und an den Wänden dazu in Dauerausstellung Werke des an Alzheimer erkrankten Frankfurter Künstlers Carolus Horn WIE AUS WOLKEN SPIEGELEIER WERDEN findet, was im ersten Teil ausgeführt wurde.
Zurück zum Morgen des 25. November, als in der Mörfelder Landstraße in Sachsenhausen das Ehepaar Deder aus Kassel sich anzieht, frühstückt und dann das Haus Richtung Klinik verläßt. Einen Monat zuvor hatten sie schon einmal bei Dr. Alzheimer vorgesprochen, aber keinen Platz gefunden. Doch der Zustand von Auguste hatte sich so verschlechtert, daß Karl es nicht mehr aushielt. Sie war extrem eifersüchtig, sogar gewalttätig, fühlte sich verfolgt, versteckte Dinge, fand sie nicht wieder, hatte Wortfindungsschwierigkeiten und konnte den Haushalt nicht mehr zusammenhalten. Grund genug für den Ehemann, nun ihren Aufenthalt in der Klinik einzufordern.
Alois Alzheimer gehört zu den Ärzten, die ihre Aufgabe gemäß ihrer wissenschaftlichen Ausbildung auch wissenschaftlich weiterführten. Wir sind in der Zeit, die längst begonnen hatte, Krankheiten aufgrund von Diagnosen ganz genau zu beschreiben, um sie schneller diagnostizieren und heilen zu können. Dazu gehört die genaue Beobachtung, die Patientenbefragung, was dann als Protokoll in die Krankenakte gehört. Diese spezielle der Auguste D. ist 1996 von Konrad Maurer wiederaufgefunden worden, was erklärt, daß erst danach Auguste D. als Ausgangspunkt von Alzheimer wieder bekannter wurde, was wiederum angesichts der Zunahme von Demenz und Alzheimer als Krankheiten unserer Zeit, die Erinnerung auslöscht, auf fruchtbaren Boden fiel.
Dies ist die Aufzeichnung des Protokolls der Auguste Deter:
Alzheimer fragte:
„Wie heißen Sie?“
„Auguste.“
„Familienname?“
„Auguste.“
„Wie heißt Ihr Mann?“
– Auguste Deter zögert, antwortet schließlich:„Ich glaube... Auguste."
„Ihr Mann?“
„Ach so.“
„Wie alt sind Sie?“
„51.“
„Wo wohnen Sie?“
„Ach, Sie waren doch schon bei uns.“
„Sind Sie verheiratet?“
„Ach, ich bin doch so verwirrt.“
„Wo sind Sie hier?“
„Hier und überall, hier und jetzt, Sie dürfen mir nichts übel nehmen.“
„Wo sind Sie hier?“
„Da werden wir noch wohnen.“
„Wo ist Ihr Bett?“
„Wo soll es sein?“
Man fühlt die Verwirrung und diese Antworten zu lesen, tuen einem selber weh. Es geht weiter.
Zu Mittag ißt Frau Auguste D. Schweinefleisch mit Blumenkohl.
„Was essen Sie?“
„Spinat.“ (Sie kaut das Fleisch)
„Was essen Sie jetzt?“
„Ich esse erst Kartoffeln und dann Kren.“
„Schreiben Sie eine fünf."
Sie schreibt: „Eine Frau“
„Schreiben Sie eine Acht.“
Sie schreibt: „Auguste“ (Beim Schreiben sagt sie wiederholt: „Ich habe mich sozusagen verloren“.)
FORTSETZUNG FOLGT
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Damalige Ankündigung
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Der andere Alzheimerpatient der Neuzeit in
Olivia Rosenthal, Wir sind nich da um zu verschwinden, Ulrike Helmer Verlag
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