DIE AOSAWA MORDE von Riku Onda (Atrium) auf Platz 1

Die zehn besten Kriminalromane des Jahres                                                    

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) - Jeden Monat bringt WELTEXPRESSO nicht nur die aktuelle Krimibestenliste des Monats, sondern darüberhinaus auch deren Einschätzung, also, ob unsere Krimiexperten derselben Meinung sind oder andere Favoriten haben. Und dann gibt es am Jahresende die Auswahl von der Auswahl, unter all den auf der Liste Gestandenen wird die Jahresbestenliste erstellt. Durch die Jury. Nicht durch die automatischen Plätze 1 der 12 Monate. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn die Kriminalromane werden nicht gleichmäßig veröffentlicht, so gibt es Monate mit einem großen Ausstoß und dann 'dünne' Monate. Da wäre eine Bestenliste nach den jeweils Ersten des Monats ungerecht. 

Aber von Gerechtigkeit kann man sowieso nicht sprechen. Denn naturgemäß haben die Rezensenten die Krimis der letzten Monate besser im Kopf, weshalb ihr Urteil immer die Krimis der zweiten Hälfte des Jahres bevorzugen. Das ist menschlich. Aber es ist schon wichtig, darauf zu verweisen, daß vom Januar bei der Bestenauswahl keiner dabei ist, obwohl darunter hervorragende Krimis waren. Dasselbe gilt auch für den Februar und auch noch für den März, wo beispielsweise mit Greg Buchanans SECHZEHN PFERDEN vom Fischerverlag ein starker Roman vorlag, ach und UND ES KOMMT EIN NEUER WINTER von Massimo Carlotta von Folio oder MEIN LEBEN ALS SERIENMÖRDER von Josef Kleindienst aus dem Verlag Sonderzahl. 

Mit dem April steigt dann die Nummer 1 der Jahreskrimibestenliste ein: Gleich auf Platz 1 Riku Onda mit DIE AOSAWA-MORDE, aber auch der Zweitplazierte auf der Aprilliste, VERTRAUEN von Dror Mishani aus dem Diogenes Verlag hat es auf die Jahresliste geschafft, als Zehnter geht er durch's Ziel, das ist auch eine tolle Geschichte. Und noch einer aus der Jahresbestenliste stammt aus dem April! Das ist WER OHNE SÜNDE IST von Åsa Larsson, bei C. Bertelsmann erschienen. Und auch hier aus der Erinnerung weiß man, ja das war ein richtig guter Krimi! Wenn man sich dann die Aprilliste weiter anschaut, denkt man sich, aber BULLET TRAIN vom Japaner Kotaro Isaka wäre doch auch für mehr gut, dieser Krimi wurde zudem erfolgreich verfilmt. Und im Mai kommt mit DER KNOCHENLESER von Jacob Ross auch als jetzige Nummer 5 auf die Jahresliste. Sybille Ruge mit DAVENPORT 160 x 90 ist im Juni das erste Mal dabei, die auf der Jahresliste nun den zweiten Platz erreicht. Dabei hält sie gar nichts von der Einrichtung dieser Kritikerauswahl in Krimibestenlisten, wie die in Frankfurt am Main lebende Autorin gerade in einem FR-Interview von sich gab. 

Aus der Juliliste kommt kein Neuer auf Jahresbestenliste. Das ist schade für DIE ANDERE MRS. WALKER von Mary Paulson-Ellis von Ariadne/Argument, auch für Val McDermid 1979 - Jägerin und Gejagte von Knaur, wobei auffällt, daß man die Jahresliste doch gleich mal nach Männern und Frauen, nach Autoren und Autorinnen anschauen sollte. AUA, sehe ich das richtig? Sechs Autoren gegenüber nur vier Autorinnen?  Andererseits sind die beiden ersten Plätze von zwei Frauen besetzt. Aber Liz Nugent, die 2022 mit zwei Krimis dabei war, hätte auch einen Platz auf der Jahresliste verdient. Schauen wir doch gleich mal, welche Verlage durch ihre Autoren dabei sind. Naja, dreimal Suhrkamp, aber dort passiert auch viel. Zweimal ist der Diogenes Verlag dabei, ein Autor aus der Ukraine und einer aus Israel. SAMSON UND NADJESCHDA von Andrej Kurkow auf Platz 7 und Dror Mishani auf dem zehnten Rang.

Im August stieg Christoffer Carlsson mit WAS ANS LICHT KOMMT ein, den WELTEXPRESSO schon zuvor besprochen hatte. So ging es uns auch mit im September kamen gleich mehrere aus der Jahresliste neu dazu: Cherie Jones' WIE DIE EINARMIGE SCHWESTER DAS HAUS FEGTE von CulturBooks und Oliver Bottinis NOCH EINMAL STERBEN von Dumont. Interessant, daß es von der Oktoberliste kein Neuer auf die Jahresbesteliste geschafft hat. Im November dann aber, nein, auch von den Neuen aus dem November ist keiner dabei, was meine Aussage am Anfang Lügen straft, daß sich das Gelesene der letzten Monate stärker einprägt. Im November kam beispielsweise mit DIE ROTE JAVA Matthias Wittekindt aus dem Kampa Verlag gerade noch als Zehnter auf die Liste. Ein ganz toller Roman! Aber seltsamerweise auf der Jahresbestenliste nicht dabei. Dafür dann von der Dezemberliste DIE STUNDE DER HYÄNEN von Johannes Groschupf aus dem Suhrkamp Verlag, der auf Platz 8 der Jahresbestenliste steht. 

Naja und dann finden wir , daß nur drei Deutsche auf der Liste einfach zu wenig sind. Schaut man sich die zehn Ausgewählten nach ihren Sprachen an, fällt auf, daß der Anteil der US-amerikanischen Autoren und Autorinnen in der Bestenliste auf Null geht, zweimal Japanisch, zweimal Schwedisch, einmal aus dem Russischen, einmal aus dem Hebräischen, die zwei englischsprachige Krimis kommen aus Barbados und den Kleinen Antillen. So eine Ausgewogenheit gab es noch nie! Sonst dominierte der amerikanische Krimi. Trotzdem vermissen wir Italien, auch Spanien, was ist eigentlich mit Österreich? Natürlich würden die zu denen gehören, die wir oft einfach falsch als Deutsche bezeichnen, wo es Deutschsprachige heißen müßte!

So wie hier nachzulesen ist, hat also die Jury gesprochen!


Die Krimibestenliste 2022


1 Riku Onda: Die Aosawa-Morde
Aus dem Japanischen
von Nora Bartels
Artrium 568 Seiten, 22 Euro

„K.“ 1973 wird die betuchte Arztfamilie Aosawa bei einem Familienfest durch Cyanid
ausgerottet. 17 Tote, eine Überlebende: die zwölfjährige blinde Hisako. „Wenn etwas
Unfassbares passiert, brauchen die Menschen Antworten.“ Doch gibt sie der gesichts-
lose Erzähler? Zettel, ein Gedicht, Zeugenaussagen – das Rätsel bleibt und fasziniert.


2 Sybille Ruge:
Davenport 160 x 90
Suhrkamp
264 Seiten, 15 Euro

Frankfurt/Main. Slanskis Geschäft: Inkasso im Luxussegment. Final die
Ausstellung, in der ihre getötete Halbschwester Luna Moon Sonjas Büro reproduziert
hat, zentral ein Davenport-Tisch von OBI. Hochfrequenz-Krimi auf dem Stand der
aktuellen Einsamkeit, Kunst und Gewalt. Unter armen Reichen. Erstaunlich.


3 Christoffer Carlsson:
Was ans Licht kommt. Aus dem
Schwedischen von Ulla Ackermann
Rowohlt, 492 Seiten, 23 Euro

Marbäck, Hallanda 1986/2019. „Ich werde es wieder tun“, versichert der anonyme
Mörder und Vergewaltiger von Stina Franzén dem Polizisten Sven Jörgensson. Am
selben Tag: Palme ermordet. Sven ermittelt besessen, macht sich schuldig. Sohn Vidar
erbt Svens Obsession. Komplex, der beste schwedische Kriminalroman seit 20 Jahren.


4 Åsa Larsson: Wer ohne Sünde ist
Aus dem Schwedischen von
Lotta Rüegger, Holger Wolandt
C. Bertelsmann, 590 Seiten, 22 Euro

Kiruna. Die Erz-Stadt Schwedens wird verlegt; Staatsanwältin Martinsson im
Clinch mit Vorgesetzten. Dabei bietet sich endlich die Chance, verzwickte Familien-
probleme zu lösen, zwei Morde aufzuklären, einen lokalen Drahtzieher und russische
Mafiosi dingfest zu machen. Boxen kommt auch nicht zu kurz. Superschwedin.


5 Jacob Ross: Die Knochenleser
Aus dem Englischen
von Karin Diemerling
Suhrkamp, 376 Seiten, 15,95 Euro

„Camoha“, Kleine Antillen. „Digger“ ist schlau, liest Stimmen und dank Forensik-
ausbildung auch Leichen, ideal für das neue CID. Er, sein Mentor Chilman,
Miss K. Stanislaus und andere suchen Verschwundene, Männer wie Frauen, die
Opfer der Machowelt wurden. Satirische, antitouristische, wortwitzige Entdeckung.


6 Oliver Bottini:
Noch einmal sterben
DuMont
476 Seiten, 25 Euro

Bagdad, München. Februar 2003: Eine Irakerin will Beweise liefern, dass der Infor-
mant der USA und der BRD über Saddams Massenvernichtungswaffen lügt. Geheim-
dienstler Jaromin soll die Übergabe sichern, gerät zwischen zwei Fraktionen im
BND. Innensicht deutscher Grabenkämpfe. Ultimativer Politthriller zum Irakkrieg.


7 Andrej Kurkow: Samson und
Nadjeschda. Aus dem Russischen
von Johanna Marx und Sabine Grebing
Diogenes, 367 Seiten, 24 Euro

Kiew 1919. Plündernde Rotarmisten, beschlagnahmte Möbel und Wohnungen. Der
arbeitslose Ingenieur Samson landet bei der Polizei und findet Gefallen an Geruchs-
spezialistin Nadjeschda und der neuen Ordnung. Die sich als zufallsbehaftete Un-
ordnung entpuppt. Abgebrühter Realismus mit märchenhaften Zügen, verfasst 2019.


8 Johannes Groschupf:
Die Stunde der Hyänen
Suhrkamp
265 Seiten, 16 Euro

Berlin. In Kreuzberg brennen Fahrzeuge. Fernfahrer Radek wird beinahe verbrannt,
lässt vom Alkohol, entdeckt Gott, wird „polnischer Messias“. Maurice zündelt und
masturbiert, so sehr will er Britta zur Frau. Doch die Ältesten der „Jünger Jahwes“
untersagen den Kontakt. Sie haben anderes vor. Schwarzes Märchen.


9 Cherie Jones: Wie die einarmige
Schwester das Haus fegt
Aus dem Englischen von Karen Gerwig
CulturBooks, 325 Seiten, 25 Euro

Barbados. Im Schatten der Reichen streben sie nach ihrem Glück, die junge Mutter
Lala, Räuber Adan, Gigolo Tone. In einer Nacht stirbt Baby, noch ohne Namen. Raub
wird zu Mord. Aberglaube, Müttermacht, schwache Männer, Armut, Liebessehn-
sucht: Jones‘ Sound verführt – auf die düstere Seite der Karibik.


10 Dror Mishani: Vertrauen
Aus dem Hebräischen
von Markus Lemke
Diogenes, 351 Seiten, 22 Euro

Tel Aviv. Zwar ist Avi Avraham befördert worden, will aber noch lieber Fälle von
nationaler Bedeutung bearbeiten. Stattdessen hat er es mit einer renitenten Groß-
mutter zu tun und mit einem verschwundenen Hotelgast. Avi wäre nicht der gefinkelte
Bulle, würde er nicht im Kleinkram große Zusammenhänge entdecken. Toll.