Bildschirmfoto 2020 10 07 um 02.33.47Kommentar im aktuellen Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes

Hans-Jürgen Schulke

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vereine gehen zur Schule Deutschland ist das Land der Stiftungen. Es gibt tausende, die einen gesellschaftlich guten Zweck fördern – Soziales, Bildung, Kultur, Sportliches. Kleine und große, feine und großartige. Eine der Bekanntesten ist die Körber-Stiftung in Hamburg, Nachlass eines kinderlos gebliebenen Inhabers einer Zigarettenmaschinenfabrik mit Milliardenumsätzen. Er hat sich Kultur und Bildung verschrieben, Museen und Bildungsstätten tragen seinen Namen.

Und Preise gestiftet, einen mit einem Millionenbetrag für medizinische Spitzenforschung. Einen anderen, nicht weniger bekannten, als Schulwettbewerb für alle Schulen. Hunderttausende an Heranwachsenden haben sich mit ihren Lehrkräften bei ihm engagiert. Das Konzept heißt „Spurensuchen“ und will Schulklassen motivieren, in einer Gruppe mehrere Monate ein übergreifendes Thema auf ihre Lebenswelt zu beziehen und historisch zu erforschen. Arbeit und Freizeit, Migration, Religion, Verkehr, Wiedervereinigung, Freiheitsbewegungen und Protest waren einige der bislang 20 Dachthemen. Der seit bald 50 Jahren durchgeführte Wettbewerb steht unter dem Patronat des Bundespräsidenten, herausragende Arbeiten werden auf Landesund Bundesebene gewürdigt – eine Schatzkammer von Einfällen, Engagement und Erkennen.

Erstmals hat sich der Wettbewerb dem Sport gewidmet und nominiert als Thema „Bewegte Zeiten – Sport macht Gesellschaft“. Das bestätigt Bedeutung, Bekanntheit und Betroffenheit des Sports für die heutigen Schüler – immerhin sind alle im Schulsport aktiv, weit über die Hälfte in Sportvereinen, im Fernsehen und sozialen Medien oder in Stadien wird Sport verfolgt, zunehmend mehr sind beim sportartigen Gaming mit Kassenkameraden dabei. Allein diese Aufzählung deutet an, wie oft und wie unterschiedlich Schüler Zugang zum Sport finden, emotionale Erfahrungen zwischen Leiden und Leidenschaft finden.

Wie aber findet man Brücken aus persönlichen Geschichten zur großen Geschichte, aus der begeisternden Bewegung im Hier und Jetzt zur bewussten Reflektion? Die Ausschreibung ist optimistisch:“Sport war zu allen Zeiten ein Abbild der Gesellschaft und ist es bis heute, zeigte immer die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Gesellschaft auf“. Dafür liefert die anregende wie instruktive Ausschreibung des Wettbewerbs zahlreiche Zugänge: Elitäre und populäre Sportarten, traditionsreiche Sportstätten, Sport und Religion, Behindertensport, politischer Mißbrauch des Sports und selbstverständlich die Geschichte der Olympischen Spiele. Illustriert wird das vor allem biografisch, indem erfolgreiche Sportler und Sportlerinnen nach ihren Prägungen im Sport befragt oder die Tragik verfolgter Sportler („Verstoßene Helden“) geschildert werden.

Weniger beachtet wird der organisatorische Hintergrund des modernen Sports, obwohl er für viele Jugendliche das Scharnier zwischen Ich und Gesellschaft bildet, prägende Erfahrungen und Haltungen hier erwachsen: Die Turn- und Sportvereine. Der Historiker Michael Krüger verweist richtigerweise auf die neuartige demokratische Organisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts, doch wird das geschichtsdidaktisch (noch) nicht weiter aufgegriffen. Eine Chance für die 90.000 Turn- und Sportvereine hierzulande, die alle ihre ganz eigene Geschichte haben – rund 20.000 von ihnen sind über einhundert Jahre alt! – und von Jubiläumsschriften über Vereinszeitungen,  alten Fotografien und Urkunden bis zu behördlichen Akten und Zeitzeugen eine lokale Fundgrube für historische Studien bilden.

Die selbsterfahrenen Übungen am Reck können auf den seinerzeit revolutionären Turnplatz des Turnvaters Jahn, die Anerkennung des Schiedsrichters bei hitzigen Ballspielen bis zum sich selbst disziplinierenden „Gentlemansport“ in England, der sportliche „Wettkampf“ mit den Geldwetten, die Hygieneräume in den Sporthallen mit der Einrichtung getrennter Umkleiden als Voraussetzung für das Damenturnen vor 150 Jahren verfolgt werden. Nicht zuletzt auch das ehrenamtliche Engagement, das seit 200 Jahren über viele Generationen von gewählten Vorständen eine beeindruckende Stabilität und Innovationsfähigkeit hervorgebracht hat. Viele sehen im egalitären wie solidarischen Vereinswesen die DNA unserer heutigen Demokratie.

Dabei muß man nicht unbedingt bis in die Entstehungsgeschichte des modernen Vereinssports zurückgehen. Die Suche nach vereinsbetriebenen Fitnessstudios, der Angebotswandel von der Frauengymnastik zu Zumba- und Yogakursen, die Ausbildungswege vom klassischen Turnlehrer zum Fitnesscoach, die Spielbeobachtung des Trainers von der Tribüne bis zur digitalen Torlinientechnik mit Drohnen mögen je nach Erfahrung und Neigung zu Zeitreisen in die Vereine einladen. Sie alle sind die Brücke zwischen der unmittelbar erlebten Gemeinschaft und der großen Gesellschaft.

Und sie bieten die Möglichkeit, dass Schulsport und Vereinssport, Geschichtsprojekte und Sportorganisation, letztlich Kultur und körperliche Bewegung sich gegenseitig aufmerksamer wahrnehmen. Dem heutigen oft hektisch be- und getriebenen Sport würde Reflektion gut tun. Dazu wäre es hilfreich, wenn die Trainer- und Sportlehrerverbände wie die GEW-Sportkommission die Chance aufgreifen würden, den Wettbewerb der Körber-Stiftung zu unterstützen. Erfreulich ist, dass das Deutsche Sportmuseum sich aktiv beteiligt und einen Sonderpreis ausgelobt hat. Die Aufforderung gilt selbstverständlich auch für Landessportbünde, DVS, Deutsche Olympische Akademie, die Führungsakademie des DOSB, das BISP, die JahnGesellschaft oder die Arbeitsgemeinschaft der Sportmuseen (DAGS), nicht zuletzt auch die Zunft der Geschichtslehrer. Sie alle können dazu beitragen, das Gedächtnis des Sports in ganz Deutschland zu stärken. Stärken könnte das auch die an den deutschen Universitäten zunehmend marginalisierten Sporthistoriker, denn das gilt auch für den organisierten Sport: Wer nichts hinter sich hat, hat auch nichts vor sich.

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Info:
Die wichtigsten Informationen zum Geschichtswettbewerb 2020/2021 „Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft“ im Internet. Einsendeschluss ist der 28. Februar 2021.