Aus dem Corona-Newsletter des hr
Sven-Oliver Schibat
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ich muss mich gleich mal bei Ihnen entschuldigen: Im ersten Teil dieses Newsletters geht es heute nicht unbedingt um Hessen, denn vieles, was sich diese Woche rund um Corona abgespielt hat, fand außerhalb unseres schönen Bundeslandes ab.
Es fühlt sich an wie 2020
Zum Beispiel kam es bei einem Kinder-Musical in Siegen in dieser Woche zu einem Corona-Ausbruch. Nach der Aufführung war bei 14 Mitwirkenden der PCR-Test positiv. 100 Kinder und Jugendliche waren an der Aufführung beteiligt, ein Großteil der 300 Gäste stammte aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis der Kinder, dürfte also näheren Kontakt mit den Kindern gehabt haben. Und auf der Donau wurde eine Fluss-Kreuzfahrt abgebrochen, nachdem 80 Gäste auf dem Schiff positiv auf das Corona-Virus getestet wurden und man das Schiff zunächst unter Quarantäne gestellt hatte. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich erinnern diese Meldungen an die erste Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 - nur dass wir jetzt eine Sieben-Tage-Inzidenz haben, die deutlich höher ist als damals. Bundesweit liegt die Inzidenz heute bei 139,2 - vor genau einem Jahr lag sie bei 99,0. Auch die hessische Inzidenz ist erneut gestiegen: auf 111,6. Zudem zeigt auch die Kurve der Belegung der Corona-Intensivbetten nach oben und die Hospitalisierungs-Inzidenz steigt ebenfalls seit einigen Tagen. Aktuell liegt sie bei 3,62.
Ende der Epidemischen Lage
Da fühlt es sich irgendwie komisch an, wenn SPD, Grüne und FDP sich einig sind, dass die epidemische Notlage im November auslaufen soll. Zwar mit einer Übergangsregelung bis zum 20. März 2022, aber immerhin. Kritik für diese Entscheidung gab es unter anderem von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Holetschek sagte, es gebe weiterhin eine "Notlage von internationaler Tragweite". "Der Winter kommt. Die Infektionszahlen steigen. Die Pandemie bleibt unberechenbar. Ob sie am 20. März 2022 vorbei sein wird, weiß heute niemand." Auch Kretschmer sieht die pandemische Lage von nationaler Tragweite noch nicht zu Ende. "Im Gegenteil. Sie gewinnt gerade wieder an Kraft und Gefährlichkeit."
Zustimmung hingegen kam vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Er hält den vorgeschlagenen Weg für richtig. Er sagte, dieses Konzept sei "ein guter Kompromiss aus weiterhin möglichen Maßnahmen für die Länder und einer Absage an harte Einschnitte wie Lockdowns oder Ausgangssperren". Dass ein weiterer Lockdown keine gute Idee als Maßnahme gegen die steigenden Infektionszahlen im Winter ist, haben übrigens die Kollegen von Quarks bei Instagram gezeigt.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus bekräftigte gestern noch einmal die Entscheidung: "Wir ignorieren nicht, dass das Virus noch vorhanden ist. Aber wir sind in einer anderen Situation als noch vor anderthalb Jahren." Und FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann betonte, dass es auch im Winter Maßnahmen brauche und niemand behaupte, die Gefahr sei schon vorbei.
Kein "Freedom Day" im November
Die klare Antwort auf die Frage, ob es im November einen "Freedom Day" wie in England und Dänemark geben werde, lautet daher ganz klar: Nein. Es wird wohl auch weiterhin Maßnahmen geben - und das ist vermutlich auch sehr sinnvoll. Schaut man nämlich zum Beispiel auf Dänemark, so lag die Inzidenz dort gestern bei 174,9 - so hoch wie seit Januar nicht mehr. Und Großbritannien hatte gestern eine Inzidenz von 452,9. Entsprechend schlimm sieht es dort in den Kliniken aus. Der britische Gesundheitsdienst NHS meldete, die Kliniken seien durch den rasanten Anstieg der Corona-Neuinfektionen überlastet. In Worcester starb ein Patient im Krankenwagen während einer fünfstündigen Wartezeit vor der Tür der Klinik.
UKE warnt vor steigenden Zahlen
Der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Prof. Stefan Kluge, warnt auch bei uns vor deutlich steigenden Corona-Zahlen in den kommenden Wochen. Ein Grund dafür seien nicht nur die Reiserückkehrer und die Witterung, sondern auch, dass sich die Menschen in scheinbarer Sicherheit wiegen würden. Davor warnte auch die Virologin Sandra Ciesek im NDR-Info-Podcast "Coronavirus-Update". "Ich habe das Gefühl, dass es im Moment nicht wirklich jemanden mehr interessiert, weil ein Gewohnheitseffekt eingetreten ist, man gewöhnt sich an diese Zahlen", sagt Ciesek. Für problematisch hält sie dabei vor allen Dingen 2G- und 3G-Veranstaltungen, die eine falsche Sicherheit vermitteln würden.
Bislang nur wenig Booster-Impfungen in Hessen
Und damit sind wir bei den sogenannten Booster-Impfungen, also der dritten Impfung (oder zweiten, falls man mit Johnson&Johnson geimpft wurde) nach sechs Monaten. Für die hat gestern Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch einmal geworben und sich demonstrativ eine Spritze geben lassen. Wichtig ist diese dritte Impfung vor allen Dingen für ältere Menschen, da bei diesen der Impfschutz schneller nachlässt. Impfdurchbrüche finden dementsprechend häufig in dieser Altersgruppe statt. Auch darum geht es in dem oben bereits erwähnten Podcast. Der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) Detlef Haffke hat allerdings auch Gelassenheit angemahnt: Die Booster-Impfung sei zwar wichtig. Es sei aber nicht nötig, exakt ein halbes Jahr nach der zweiten die dritte Impfung zu bekommen. "Es gibt keinen Grund, nervös zu werden. Der Impfschutz verschwindet nicht auf Knopfdruck", sagte Haffke dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Hessen wurden bislang nur 127.456 Booster-Impfungen verabreicht. Da ist also noch Luft nach oben. Auf hessenschau.de haben wir alles Wichtige rund um die Booster-Impfung zusammengefasst.
Impfquote steigt nur noch langsam
Übrigens: Noch wichtiger als eine Booster-Impfung sind die Erst- und die Zweitimpfung. Die Impfquote steigt nur noch langsam. In Hessen liegt sie aktuell bei 69,09 Prozent. Daran hat auch das Ende der Gratis-Tests nichts geändert. Und die Mehrheit der Ungeimpften will einer Umfrage zufolge auch nichts an ihrem Impfstatus ändern. Als Begründung wird häufig fehlendes Wissen über Langzeitnebenwirkungen angeführt. Warum ihre Sorge in der Form aber unbegründet ist, erklärt dieser Faktenfinder von tagesschau.de im Detail.
Für Kinder bis 12 Jahre gibt es derweil auch weiterhin keinen Impfstoff. Das könnte sich aber noch in diesem Jahr ändern: Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA will bis Weihnachten entscheiden, ob sie eine Empfehlung für Kinder zwischen fünf und elf Jahren ausspricht.
Wo wir gerade bei Kindern sind: Wussten Sie eigentlich, dass für Kinder unter sechs Jahren und für Kinder, die noch nicht in die Schule gehen, keine Testpflicht besteht? Bedeutet: Eigentlich müsste sich laut der hessischen Coronaverordnung ein sechsjähriges Kind testen lassen, damit es ins Schwimmbad gehen darf. Geht es aber noch in den Kindergarten, ist es von der Testpflicht befreit. Darauf hat mich diese Woche unser Leser Stefan aufmerksam gemacht, dessen sechsjähriger Sohn noch in die Kita geht und regelmäßig bei Freizeitaktivitäten an dieser Klausel scheitert, weil man dort oft nur nach dem Alter geht und nicht nach dem Schulstatus. Da jedoch immer weniger Menschen die Testzentren nutzen, verschwinden diese nach und nach und für Menschen wie Stefan wird es immer schwieriger, seinen Sohn testen zu lassen, damit der ins Schwimmbad darf.
Und jetzt habe ich noch diese drei Themen für Sie:Einer Studie zufolge ist eine Corona-Reinfektion alle 16 Monate möglich. Über das, was das für Corona-Maßnahmen und -Beschränkungen bedeuten könnte, haben die Kollegen vom SWR hier nachgedacht.Die Zahl der Arbeitslosen ist in Hessen weiter gesunken. Doch der Fachkräftemangel macht Hessen weiter zu schaffen.Die Hessen haben während der Corona-Pandemie ihre Liebe für die Gartenarbeit entdeckt - und das nicht nur in der Stadt, sondern auch in sehr ländlichen Regionen.
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