Aus dem Corona-Newsletter des hr
Sven-Oliver Schibat
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - "Keiner kann im Moment sagen, was da auf uns zukommt" - das sagte Virologe Christian Drosten gestern Abend im ZDF über die neue Coronavirus-Variante Omikron. Seit dem Bekanntwerden dieser neuen Virusvariante überschlägt sich die Berichterstattung. Und das ist auch der Grund für diesen Newsletter Anfang der Woche- wir ordnen den aktuellen Wissensstand ein.
Das wissen wir bisher über Omikron
Bereits seit vergangenem Dienstag ist die neue Coronavirus-Variante B.1.1.529 dokumentiert: Südafrikanische Wissenschaftler haben sie in Proben von Mitte November gefunden. Erstmals nachgewiesen wurde sie im afrikanischen Botswana. Am Samstag wurden dann die ersten Fälle in Deutschland gemeldet, darunter eine Person aus dem Rhein-Main-Gebiet, die zuvor von einer Südafrika-Reise zurückgekehrt war. Laut Sandra Ciesek, Leiterin des Instituts für medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt, werden am Montag vier weitere Verdachtsfälle in Frankfurt untersucht. Unter anderem registrierten auch Hongkong, Israel, Belgien, Australien und Dänemark Fälle.
Die Weltgesundheitsorganisation stuft die sogenannte Omikron-Variante als "besorgniserregend" ein. Um die Ausbreitung einzudämmen, ist seit gestern die Einreise aus acht Ländern des südlichen Afrika nach Deutschland stark eingeschränkt. Südafrika, Namibia, Simbabwe, Botsuana, Mosambik, Eswatini, Malawi und Lesotho gelten als Virusvariantengebiete. Andere Länder schlossen sich an. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dagegen warnte vor übereilten Reisebeschränkungen.
Die Omikron-Variante unterscheidet sich deutlich von den bisherigen und weist im Vergleich zum ursprünglichen SARS-CoV-2 über 30 Mutationen allein am Spike-Protein auf. Diesen Baustein auf seiner Oberfläche braucht das Virus, um in die menschlichen Zellen einzudringen und sie zu infizieren. Mutationen am Spike-Protein machten bereits die Delta-Variante ansteckender. Außerdem sorgen die bisher zugelassenen Impfstoffe gegen Corona dafür, dass das Immunsystem das Spike-Protein erkennt. Wenn es sich verändert, könnte das die Wirksamkeit einschränken. Die Sorge: dass Omikron die erste "Immunescape"-Variante sein könnte, die die Immunantwort umgeht.
Es gibt aber auch eine positive Nachricht: Aktuell gehen Experten davon aus, dass die Variante B.1.1.529 gut mit PCR-Tests zu erkennen ist.
Das wissen wir noch nicht
Während die Infektionszahlen in Südafrika in den vergangenen Wochen auf einem relativ niedrigen Niveau waren, deuten die zuletzt gestiegenen Fallzahlen darauf hin, dass die Omikron-Variante schneller übertragbar ist. Man muss aber deutlich sagen: Es gibt derzeit noch keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob die gestiegenen Infektionen damit zusammenhängen. Und auch nicht darüber, ob Omikron schwerere Verläufe hervorruft oder die Wirksamkeit der Impfstoffe einschränkt.
Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer warnte am Wochenende im Deutschlandfunk vor Alarmismus: Es fehlten bislang labortechnische Bestätigungen. Falls die Impfstoffe angepasst werden müssten, seien die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna aber eine gute Basis. Man könne technisch schnell auf mögliche Veränderungen eingehen. Sowohl Biontech als auch Moderna erforschen die neue Coronavirus-Variante bereits. In spätestens zwei Wochen rechne man mit Erkenntnissen, teilte Biontech mit. Parallel dazu arbeite man vorbeugend an der Entwicklung eines neuen angepassten Impfstoffs. Auch der Impfstoff-Hersteller AstraZeneca gab bekannt, die Wirksamkeit seines Vakzins gegen Omikron zu prüfen.
Lage auch ohne Omikron schon kritisch genug
Ob nun Omikron oder Delta: "Es ist besser, wenn man geimpft ist und noch besser, wenn man geboostert ist", sagte Christian Drosten im ZDF. Und damit sind wir beim nächsten Problem - die Impflücke ist weiterhin nicht geschlossen, die vierte Welle hat Deutschland fest im Griff. Dagegen sei Omikron im Moment nur ein "Mini-Problem", so Drosten. Laut der amerikanischen Johns Hopkins Universität verzeichnete Deutschland in den letzten 28 Tagen weltweit die zweitmeisten Neuinfektionen: rund 1.120.000 Menschen haben sich danach infiziert. Nur in den USA gab es im selben Zeitraum noch mehr Neuinfektionen.
In Hessen liegt die Inzidenz am Montag bei 278,2, die Hospitalisierungsrate ist leicht gesunken und liegt aktuell bei 4,12. Einige hessische Krankenhäuser reagieren bereits auf die angespannte Situation und verschieben planbare Operationen oder verbieten Besuche. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, warnte heute davor, man laufe in eine "Katastrophen-Medizin" hinein.
Die Forderungen nach härteren Maßnahmen wie einer Impfpflicht oder dem Verbot von Großveranstaltungen werden angesichts dieser Entwicklung immer lauter. Am Samstag veröffentlichte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina einen Brandbrief mit der Empfehlung, Kontakte drastisch einzuschränken. Einige Verbände und Politikerinnen und Politiker schlossen sich an.
Schaffen wir es ohne Lockdown?
Kann ein Lockdown noch verhindert werden? Ja, urteilt eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern um die Physikerin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut. Dafür müssten aber unter anderem zwei Prozent der Bevölkerung geimpft oder geboostert werden - täglich. Das wären mehr als 1,6 Millionen Impfungen pro Tag, deutlich mehr als je zuvor.
Amheutigen Dienstag wollen die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem wohl künftigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) über die Corona-Lage beraten. Dann urteilt auch das Bundesverfassungsgericht, ob die Bundesnotbremse aus dem Frühjahr mit unter anderem Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen angemessen war. Es wird erwartet, dass die Karlsruher Richter damit Leitplanken für künftige Beschränkungen geben.
Foto:
©www1.wdr.de