proasylVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, Teil 214

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Das Bundesverfassungsgericht hat heute erklärt, dass die 2019 eingeführte Regelung, nach der die Leistungen für alleinstehende und alleinerziehende Asylsuchende und Geduldete in Sammelunterkünften um zehn Prozent gekürzt werden, verfassungswidrig ist.

Diese Leistungskürzung war seinerzeit damit begründet worden, dass die in einer Gemeinschaftsunterkunft lebenden Alleinstehenden doch wie in einer Ehe oder Partnerschaft gemeinsam wirtschaften und dadurch Ausgaben einsparen könnten.  Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass der Gesetzgeber zwar verlangen könne, alle erforderlichen und zumutbare Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Hilfebedürftigkeit zu vermindern.  Eine pauschale Absenkung existenzieller Leistungen könne jedoch nur verlangt werden, wenn diese Pflichten tatsächlich erfüllbar sind und der Bedarf auch nachweisbar gedeckt wird. Leistungen dürfen nicht auf der Grundlage einer reinen Vermutung von Einspareffekten abgesenkt werden, ohne dies für die konkreten Verhältnisse hinreichend tragfähig zu belegen.

Es lägen aber keinerlei Erkenntnisse vor, wonach alleinstehende Bedürftige in den Sammelunterkünften gemeinsam wirtschaften und dadurch relevante Einsparungen erzielen. Dies kann auch nicht von ihnen erwartet werden.
Diese Entscheidung ist sehr zu begrüßen – auch wenn sie zunächst nur diejenigen betrifft, die sich schon länger als 18 Monate hier aufhalten und höhere AsylbLG-Leistungen beziehen.

Wichtig ist daher zunächst, dass die Regierung die notwendige Änderung nicht nur für diesen Personenkreis, sondern für alle Bezieher*innen von Leistungen nach dem AsylbLG anwendet.

Aber das reicht natürlich nicht. Das Urteil sollte als Weckruf aufgefasst werden, um nun auch die anderen diskriminierenden Regelungen im AsylbLG aufzuheben: das insgesamt deutlich geringere Leistungsniveau, die Einschränkungen bei der Gewährung medizinischer Leistungen, die zahlreichen Sanktionsmöglichkeiten.

Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, das Asylbewerberleistungsgesetzt „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fortzuentwickeln“.  Das Bundesverfassungsgericht hatte schon früher klargestellt, dass Leistungskürzungen keinesfalls aus migrationspolitischen Gründen („Abschreckung“) erfolgen dürften, sie wären nur zu rechtfertigen, wenn es nachweisbar für die entsprechende Gruppe einen geringeren Bedarf gäbe. Ein solcher Nachweis fehlt bis heute- und dass die Kürzungen vor allem migrationspolitisch motiviert sind, ist offensichtlich. Alles andere ist Augenwischerei. Das AsylbLG im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fortzuentwickeln sollte also konsequenterweise zur Abschaffung dieses Gesetztes führen. Zumindest aber müssen die oben genannten grundsätzlich diskriminierenden Maßnahmen aufgehoben werden.
Eine Minikorrektur des AsylbLG, die nur die sich aus dem heutigen Urteil ergebenen Korrekturen umsetzt, reicht keinesfalls.

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