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Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, Teil 348

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Die Bundesregierung hat im Kabinett das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) beschlossen. Die Maßnahmen zur Unterstützung und Entlastung sind jedoch nicht ausreichend. Der Paritätische hebt als besonders besorgniserregend hervor, dass mit diesem Gesetzentwurf erneut keine dringend notwendige Strukturreform der sozialen Pflegeversicherung, vor allem im Bezug auf die Finanzierung von Pflege erfolgt.


Um die soziale Pflegeversicherung langfristig auf eine tragfähige Basis zu stellen, ist eine ernsthafte Debatte über die zukünftige Finanzierung der Pflegeversicherung zwingend notwendig. Der Paritätische spricht sich für den Ausbau der Pflegeversicherung zu einer Pflegevollversicherung aus.

Der für die Pflegereform vorgesehene Finanzrahmen (Anhebung Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung zum 1. Juli 2023 um 0,35 Prozentpunkte) wird als zu gering angesehen, um die selbst im Koalitionsvertrag vorgesehenen Vorhaben umzusetzen. Der Referentenentwurf bleibt hier hinter den selbst gesteckten Zielen der Bundesregierung deutlich zurück. Zu nennen wären hier z. B. handfeste Strukturelemente zur Begrenzung der Eigenanteile und die Herausnahme der Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen (siehe auch PM des Paritätischen vom 05.04.2023), aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, wie Abschaffung geteilter Dienste usw. Um alleine diese Herausforderungen meistern zu können, werden dringend Bundesmittel für die Pflegeversicherung gebraucht. Weitere erforderliche Reformschritte in der Pflege zur Stärkung der häuslichen Pflege sind zudem nicht erkennbar.

Im Einzelnen wird er Kabinettsentwurf wie folgt bewertet: 

  1. Die dringend erforderlichen Leistungsverbesserungen in der häuslichen und stationären Pflege erfolgen mit dem 01.01.2024 zu spät und mit 5 Prozent zu gering, um wenigstens die Inflationsrate auszugleichen. Darüber hinaus werden nur das Pflegegeld, die Pflegesachleistungen und die prozentualen Zuschüsse zu den Eigenanteilen nach § 43c zum 01.01.2024 angehoben und nicht alle Leistungen der Pflegeversicherung. Nicht hinnehmbar ist insbesondere, dass der Entlastungsbetrag für Pflegebedürftige des Pflegegrads 1 nicht angehoben wird.
  2. Kritisiert wird darüber hinaus, dass auch die vorgesehene Dynamisierung in den Jahren 2025 und 2028 nur anhand der „Kerninflationsrate“ erfolgen soll, sodass die Preissteigerungen für die gegenwärtigen Preistreiber Energiekosten und Lebensmittel unberücksichtigt bleiben. Das Problem einer andauernden Unterfinanzierung löst zudem eine Dynamisierung nicht. Für die angekündigte Entlastung der Beitragszahler mit Kindern wird zum großen Erstaunen eine Grenze eingezogen, indem keine niedrigeren Beitragssätze mehr möglich sind, wenn das Kind oder die Kinder über 25 Jahre alt sind.
  3. Vollkommen unverständlich ist, dass der noch im Referentenentwurf vorgesehene gemeinsame Jahresbetrag für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege wieder gestrichen wurde. Begrüßt wird hingegen, dass ein jährliches Pflegeunterstützungsgelds im Umfang von 10 Arbeitstagen analog zum Kinderkrankengeld gewährt werden soll.
  4. Mit den ergänzenden Regelungen zur Personalbemessung nach § 113c SGB XI können voraussichtlich die bisher fehlenden Pflegeassistenzkräfte mit dem Qualifikationsniveau 3 angemessen mit vorhandenen und geeigneten Mitarbeiter*innen in einem begrenzten Zeitraum substituiert werden. Dies entspricht unserer begründeten Forderung, für fehlende Assistenzkräfte des Qualifikationsniveaus 3 eine gesetzlich verankerte, verantwortungsvolle und fachlich abgesicherte Übergangslösung zu schaffen. Die explizite Aufnahme zur Anerkennung von bestandenen „Externenprüfungen“ wird als Signal an die Bundesländer gewertet, dort die entsprechenden Verfahren schnell zu befördern. Im Gesetzesentwurf wird die weitere Umsetzung der Personalbemessung etwas mehr konkretisiert, es bleibt aber weiterhin offen, wie es nach der aktuellen Ausbaustufe weitergeht. Wir vertreten nach derzeitiger Faktenlage die Auffassung, dass perspektivisch die Ergebnisse aus PeBeM und somit der Algorithmus 1.0 zu 100 % umgesetzt werden müssen. Die aus Gründen der Kohärenz beabsichtigte bundeseinheitliche Festlegung von Zielwerten für eine mindestens zu vereinbarende personelle Ausstattung, welche dem Grunde nach mit weiteren Ausbaustufen korrespondieren müssten, ist inhaltlich nachvollziehbar, stellt aber eine Herausforderung dar. Hier ist darauf zu achten, dass das Vorgehen wegen der benötigten Daten nicht zu einem Bürokratiemonster ausartet, welches vollstationäre Pflegeeinrichtungen ausbaden müssen. Größere Sorgen bereitet dem Paritätischen weiterhin die Auswirkung des § 113 Absatz 6 SGB XI, wodurch die Zusatzstellen in die regulären Pflegesätze überführt werden sollen, was zu Mehrkosten der Heimbewohner*innen mtl. im niedrigen dreistelligen Bereich führt. Solange diese Entwicklung nicht durch eine entsprechende Kompensation der Eigenanteile eintritt, fordern wir die ersatzlose Streichung der § 113c Absatz 6 SGB XI.
  5. Kritisiert wird, dass die Verlängerung der Förderung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf nach § 8 Absatz 7 SGB XI aus dem Referentenentwurf wieder gestrichen wurde. Begrüßt wird hingegen die Entfristung der Anschubfinanzierung zur Digitalisierung nach § 8 Absatz 8 SGB XI. Sehr praxisnah ist die Einführung der Möglichkeit, auch WLAN und IT förderfähig zu machen. Gleichzeitig steht den Fördermöglichkeiten häufig der hohe Eigenanteil und fehlende Flexibilität in der Inanspruchnahme der Fördermittel entgegen; diese Hürden sollten gesenkt werden.
  6. Ein weiterer Nackenschlag liegt in der Streichung der Innovationsregelung des Referentenentwurfs zu Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen im Quartier.
  7. Nach wie vor fehlt eine bundesweite Strategie zur Digitalisierung in der Pflege. Diese muss die Grundlagen für die Einrichtung eines Kompetenzzentrums festlegen. Die im Gesetzesentwurf genannten Aufgaben des zu gründenden Kompetenzzentrums Digitalisierung und Pflege misst der Paritätische eine hohe Relevanz bei. Ein solches Zentrum wurde im Rahmen des Verbändebündnis “Digitalisierung in der Pflege” gefordert. Die Kernfunktion eines solchen Zentrums soll die Unterstützung der Digitalisierung in der Praxis der beruflich Pflegenden, der Einrichtungen und Dienste, aber auch der pflegbedürftigen Menschen und ihrer Familien sein. Ein wirkungsvolles Kompetenzzentrum muss an neutraler Stelle angesiedelt werden. Zu begrüßen ist, dass die Frist zur verpflichtenden Anbindung ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen an die Telematikinfrastruktur (TI) auf Mitte 2025 verlängert werden soll.
  8. Es wird eine begrüßenswerte Neustrukturierung des Begutachtungsverfahren vor-genommen. Darüber hinaus bedarf es dringend gesetzlicher Maßnahmen, die den gegenwärtigen Fristüberschreitungen und Begutachtungsdauern von sechs bis neun Monaten entgegenwirken und den Rechtsanspruch des Versicherten auf einen Bescheid nach 25 Tagen sicherstellen.  
  9. Die im Referentenentwurf vorgesehenen Meldepflichten zu einem neuen Informationsportal zu Pflege- und Betreuungsangeboten wurden wieder gestrichen, was angesichts der Komplexität und zahlreicher ungelöster Fragen begrüßt wird. Allerdings bedarf es weiterhin dem Erfordernis, dass die Suche nach Leistungsangeboten unterstützt wird. Es kann nicht sein, dass bspw. Pflegekassen oder Pflegestützpunkte einen Auftrag zu Beratung haben, sich aber dann bei der Suche und Vermittlung rausziehen können.  
  10. Der Kabinettsentwurf soll endlich dem Thema Personalpools oder vergleichbare betriebliche Ausfallkonzepte zur Vermeidung des Einsatzes von Fremdpersonal den Weg ebnen. Bei der Leiharbeit selber gelingt dem Entwurf nichts entscheidend. Im Gegenteil, die Träger werden vor den Kopf gestoßen, indem die Verantwortung und die Mehrkosten (die i.d.R. heute schon nicht übernommen werden) für Leiharbeit ausschließlich den Pflegeeinrichtungen übertragen werden. Dies wird dem Problem Leiharbeit in keiner Weise gerecht. 
  11. Es soll ein neuer § 42b SGB XI (Versorgung Pflegebedürftiger bei Inanspruchnahme von Vorsorge- oder Rehabilitationsleistungen durch die Pflegeperson) eingeführt werden. Damit soll auch der Zugang zu stationären Vorsorgeleistungen erfasst und der Zugang zu Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erleichtert werden, in dem unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zur Mitaufnahme des Pflegebedürftigen in die stationäre Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung der Pflegeperson erweitert und weiterentwickelt wird. Hierfür wird mit § 42b SGB XI ein eigener Leistungstatbestand im Pflegeversicherungsrecht eingeführt.

Der vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet nur isolierte Einzelmaßnahmen, stellt keine ganzheitliche Systemverbesserung dar und auch die Versorgungssicherheit wird durch diese Reform nicht verbessert (weiter Unterfinanzierung der Pflegeleistungen, Pflegekräfte fehlen, weiter Überlastung des Systems der Pflegeversicherung und der Selbstverwaltung, Bewohnende rutschen in Sozialhilfe). Weiterhin verstärken Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege (insbesondere Lohnerhöhungen) direkt die finanzielle Krise der pflegebedürftigen Menschen und ihrer An- und Zugehörigen. So sind keine grundlegenden Verbesserungen in den Einrichtungen möglich.