deutschlandfunkaVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 581

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Am 20.Juni tagten die Ministerpräsident*innen der Länder mit dem Bundeskanzler. Im Folgenden werden die migrationspolitischen Beschlüsse dargestellt und eingeordnet.


Im Beschluss bestätigen Bund und Länder das gemeinsame Ziel gegen „unkontrollierte Zuwanderung“ vorzugehen und den „irregulären Zuzug“ zu unterbinden. Mit diesen Begriffen ist insbesondere die Zahl der in Deutschland um Schutz ersuchenden Personen gemeint, wie u.a. aus dem Beschluss der Bund-Länder-Beratungen vom 06. November 2023 hervorgeht. Allerdings hat sich die Wortwahl nun drastisch verschärft. In den Beschlüssen vom 06. November 2023 sowie dem 06. März 2024 sollte die „irreguläre Migration“ noch „begrenzt“ werden. Nun gilt es laut Bund und Ländern, diese zu „unterbinden“, also wohl darauf hinzuwirken, dass keine Personen mehr in Deutschland einen Asylantrag stellen.

Daran anschließend bitten laut Beschluss die Länder die Bundesregierung, konkrete Modelle für die Durchführung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten zu prüfen und entsprechende internationale Gespräche zu führen. Zudem soll die Bundesregierung auf Änderungen im europäischen wie nationalen Rechtsrahmen hinwirken.  Mit letzterem dürfte insbesondere auf eine Abschaffung des sogenannten „Verbindungselements“ im neuen GEAS-Regelwerk abgezielt werden, dass bspw. Varianten des britischen "Ruanda-Modells" entgegensteht. Gelegenheit hierzu böte die in der GEAS-Reform verankerte Evaluation der neu eingeführten Regelungen im nächsten Jahr. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund bemerkenswert, dasss bei einer Anhörung von insgesamt 23 Sachverständigen durch das BMI eine weit überwiegende Mehrheit der Expert*innen einer Umsetzung solcher Auslagerungsmodelle sowohl aus rechtlichen wie auch praktischen Gründen eine Absage erteilt hat. Gemeinsam mit über 300 zivilgesellschaftlichen Organisationen hatte sich der Paritätische Gesamtverband vor der MPK ebenfalls öffentlich gegen eine Auslagerung von Asylverfahren ausgesprochen und stattdessen auf die Notwendigkeit einer internationalen Verantwortungsteilung beim Flüchtlingsschutz hingewiesen.

Abweichend äußerten sich in Protokollerklärungen nur Bremen, Thüringen und Niedersachsen. Während Bremen und Thüringen auf die Verletzung europäischen Rechts durch die so genannten "Ruanda- oder "Albanien-Modelle" verwiesen und eine Bekämpfung von Fluchtursachen fordern, verweist Niedersachsen darauf, dass eine Feststellung des Schutzstatus außerhalb der EU einer freiwilligen Ausreise der Betroffenen in die jeweiligen Länder bedarf.

Darüber hinaus begrüßen die Länder im Beschluss das Vorhaben des Bundes, Gefährder und schwere Straftäter auch nach Afghanistan oder Syrien abzuschieben. Gegen Abschiebungen in diese Länder hatte sich der Paritätische Gesamtverband in seinem Brief an die Innenministerkonferenz u.a. mit Verweis auf die absolute Gültigkeit der Menschenrechte auch für Straftäter ausgesprochen. Gemäß Artikel 3 EMRK gilt für jede Person das Recht auf Schutz vor Folter oder erniedrigender Behandlung. Beides ist sowohl in Afghanistan wie Syrien nicht gesichert und Abschiebungen in diese Länder daher abzulehnen. Stattdessen sollte auf die rechtsstaatlichen Strafverfahren hierzulande vertraut und die Extremismusprävention gestärkt werden.

Im Beschluss begrüßen die Länder auch die vom Bund angekündigte Verschärfung der Ausweisungsregelungen für Personen, die schwere Straftaten begehen, sowie terroristische Gefährder. Hierzu legte die Bundesregierung jüngst einen Gesetzesentwurf vor, der bereits diese Woche in erster Lesung in den Bundestag gehen soll, angehängt an den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren. Nicht nur ist zu kritisieren, dass migrationspolitische Regelungen hier an ein sachfremdes Gesetz angehängt werden; wie bereits bei anderen Gesetzesvorhaben im Bereich Flucht und Migration verbleibt auch kaum Zeit für das Parlament sowie Verbände, ausführlich und den Auswirkungen des Gesetzesvorschlags angemessen Stellung zu beziehen. Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Änderungen des Aufenthaltsgesetzes lehnt der Paritätische Gesamtverband im Übrigen ab. Insbesondere die Ausweitung von schwerwiegenden Ausweisungsinteressen auf das bloße Billigen von Straftaten, u.a. in Form von Befürwortung von Beiträgen in den sozialen Medien, und die Tatsache, dass über das Vorliegen der ausgeweiteten Tatbestände zunächst nicht Staatsanwaltschaften oder Gerichte, sondern die Ausländerbehörden entscheiden, sieht der Paritätische kritisch.

Teil des Beschlusses sind auch Vereinbarungen zur Bezahlkarte. Hierzu wurde eine bundesweit einheitliche Grenze bei der Verfügung über Bargeld von 50 Euro für jede volljährige Person vereinbart. Allerdings weichen drei Länder in Protokollerklärungen von diesem Beschluss ab. Bremen und Thüringen verweisen auf einen „Korridor“ von 50 bis 120 Euro an verfügbarem Bargeld, Rheinland-Pfalz bezeichnet eine "starre Festlegung" auf einen Bargeldbetrag angesichts individuell unterschiedlicher Lebenssituationen als "nicht zielführend". Die Begrenzung der Verfügbarkeit von Bargeld sowie andere Einschränkungen bei Bezahlkarten hat der Paritätische Gesamtverband bereits mehrfach deutlich kritisiert, die Einführung der diskutierten Bezahlkartenmodelle lehnt er grundsätzlich ab. Die nun anvisierten 50 Euro an verfügbarem Bargeld werden aller Voraussicht nach zu vertiefter Armut durch den Ausschlus von günstigen Einkaufsmöglichkeiten, Einschränkungen bei der sozialen Teilhabe und erhöhtem Verwaltungsaufwand führen – denn jeglicher Bargeldbedarf über die 50 Euro hinaus sowie jede Überweisungstätigkeit wird zukünftig von der Leistungsbehörde genehmigt werden müssen.

Abschließend fordern die Länder den Bund auch dazu auf, den Abschluss von Migrations- und Rückführungsabkommen zu intensivieren und begrüßen die Einführung von Binnengrenzkontrollen im Oktober 2023. Sowohl Länder wie Bund sind der Auffassung, dass bei einer Neufassung der EU-Rückführungsrichtlinie Zurückweisungen an der Grenze weiterhin möglich und praktikabel sein müssen. Zudem sollen auch Verfahren für die Zurückweisung von Personen aus sicheren Drittstaaten entwickelt werden.

Einen deutlich schärferen Kurs verfolgen in ihren Protokollerklärungen die Länder Bayern und Sachsen. Sie fordern ein härteres Vorgehen gegenüber ausreisepflichten Straftätern und Gefährdern, u.a. mit einem "Sofort-Arrest" sowie bei wiederholtem Gesetzesverstoß einer Aberkennung eines möglichen Schutzstatus sowie der Abschiebung. Dies auch in Länder wie Syrien oder Afghanistan, wofür sie auch Verhandlungen mit den Taliban und dem Assad-Regime inkauf nehmen würden. Abschiebungen sollen zudem durch Bundesausreisezentren auch durch den Bund erfolgen. Zudem fordern sie eine Reform des subsidiären Schutzes, wohl mit dem Zweck, weniger Bürgerkriegsflüchtlingen einen Schutzstatus zuzusprechen. Mit Blick auf Sekundärmigration innerhalb Europas fordern sie entgegen der europarechtlichen Dogmatik einen Vorrang des nationalen vor europäischem Recht, um Asylsuchende auch an den Binnengrenzen zurückweisen zu können. Straftäter und Ausreisepflichtige sollen zudem nur Sozialleistungen in Höhe des physischen Existenzminimums erhalten.

Dokumente zum Download

Beschluss der Bund-Länder-Konferenz zur Bezahlkarte (12 KB)

Beschluss der Bund-Länder-Konferenz zur Migrationspolitik (75 KB)

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