BundesärztekammerVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 612

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Die Bundesrepublik Deutschland kommt ihrem Auftrag zur medizinischen Notfallversorgung ihrer Bürger*innen nur unzureichend nach und stellt kein flächendeckendes und mit gleichen Qualitätsstandards ausgestattetes, funktionierendes Rettungsdienst-System zur Verfügung. Zu diesem Ergebnis kommt ein jüngst veröffentlichtes Gutachten der Björn Steiger Stiftung.

Erstellt wurde das Gutachten durch den langjährigen früheren Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Bund über die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz verfüge, für die Notfallrettung Qualitätsmaßstäbe vorzugeben.


Die Kompetenz folge im Wesentlichen aus dem Titel über die Sozialversicherung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG) und werde ergänzt durch die entsprechenden Kompetenztitel für die private Krankenversicherung und die Beihilfe. Die bisherige Ausgestaltung der Notfallrettung durch die Länder mit der indirekten Finanzierung durch die Gesetzlichen Krankenkassen erreiche allerorts und flächendeckend nicht das pflichtgebotene Ziel eines effektiven und gleichheitsgerechten Schutzes von Leben und Gesundheit der Bürger*innen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Die erheblichen Kosten der Infrastruktur verleiten einzelne Länder dazu, die Parameter des Rettungsdienstes so zu verändern, dass die von Länderseite haushaltspolitisch zugeordneten Budgets eingehalten werden können. Die Parameterveränderung gehe zu Lasten der Qualität. Diese Qualitätsunterschiede verletzten den Anspruch insbesondere der GKV-Versicherten auf gleiche Leistung, wofür der Bund über seine Sozialversicherung eine Garantenstellung übernommen habe.

Auch die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung sieht im Rahmen bundeseinheitlicher Qualitätsvorgaben die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für eine umfassende Reform der Notfallversorgung gegeben und schlägt zur Verankerung rettungsdienstlicher Leistungen die Aufnahme der Notfallbehandlung als eigenständiges Leistungssegment ins SGB V vor. Damit sollen tragfähige Rahmenbedingungen für transparente und verbindliche Entgeltverhandlungen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern geschaffen werden.

Die Sicherstellung einer bundeseinheitlichen Struktur- und Versorgungsqualität bei der Notfallversorgung ist auch nach Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags  von der Sozialversicherungskompetenz des Bundes umfasst. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wäre die Voraussetzung zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes laut Sachstand die Festlegung bundeseinheitlicher Pauschalen für die Erfüllung von Strukturqualitätsparametern.

Zum Hintergrund – aktueller Stand des Gesetzgebungsprozesses:

Das Bundeskabinett hat am 17. Juli 2024 den Gesetzentwurf zur Reform der Notfallversorgung beschlossen. Gegenüber dem Referent*innenentwurf wurden keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen mehr vorgenommen. So ist auch die Rettungsdienstreform nach wie vor nicht Bestandteil des derzeitigen Gesetzentwurfs. Allerdings kündige Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung erneut an, dass aktuell bereits Inhalte für eine Reform des Rettungsdienstes erarbeitet würden, die im parlamentarischen Verfahren aufgegriffen und über Änderungsanträge in das Gesetz mit aufgenommen werden sollen. Dabei ginge es insbesondere um die Aufnahme des Rettungsdienstes als eigenständiger Leistungsbereich ins SGB V, die digitale Vernetzung des Rettungsdienstes mit den anderen Akteuren der Notfall- und Akutversorgung sowie die Schaffung bundeseinheitlicher Versorgungsstandards. Die Notfallreform soll nach derzeitigem Kenntnisstand bereits zum Jahreswechsel (mehrheitlich) in Kraft treten, insofern müsste die parlamentarische Beschlussfindung zügig nach der Sommerpause vonstattengehen.

Weiterführende Links

Gutachten der Björn Steiger Stiftung

Empfehlungen der Regierungskommission

Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags

Kabinettsbeschluss zur Notfallreform

Stellungnahme des Forums Rettungswesen und Katastrophenschutz

Stellungnahme des Arbeiter-Samariter-Bundes

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