Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 703
Der Paritätische
Berlin (Weltexpresso) - Der Paritätische Gesamtverband hat zum Entwurf des SGB III-Modernisierungsgesetzes sowie zu den geplanten Verschärfungen im Bürgergeld, die in das Gesetz einbezogen werden sollen, eine Stellungnahme abgegeben. Am 4. November 2024 findet die öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag statt, zu welcher der Paritätische Gesamtverband als Sachverständiger eingeladen ist.
Die zentrale Kritik des Paritätischen Gesamtverbandes setzt nicht an den ursprünglich geplanten Regelungen des SGB III-Modernisierungsgesetzes an, sondern insbesondere an den Verschärfungen im Bürgergeld, die über Formulierungshilfen in Änderungsanträge der Regierungsfraktionen münden sollen und ins parlamentarische Verfahren eingespeist werden:
- Als zumutbar gelten Jobangebote mit Pendelzeiten von insgesamt drei Stunden. Sie müssen angenommen werden.
- Auch Umzüge können zur Aufnahme einer – auch vorübergehenden oder nicht bedarfsdeckenden – sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verlangt werden.
- Die Karenzzeit für Vermögensfreigrenzen wird von einem Jahr auf ein halbes Jahr reduziert.
- Bei Meldeversäumnissen wird die Sanktion, die Kürzung der Regelleistung, von bisher zehn Prozent auf 30 Prozent für einen Monat erhöht.
- Das bisher abgestufte Sanktionssystem bei Pflichtverletzungen (bei ersten 10 Prozent, beim zweiten 20 Prozent, bei dritten 30 Prozent) wird durch eine sofortige Kürzung um 30 Prozent ersetzt.
- Die Dauer der Minderung (Kürzung der Sozialleistung um 30 Prozent) wird pauschal auf drei Monate ausgeweitet (davor abgestuft von einem Monat bei der ersten Pflichtverletzung, zwei Monate bei der zweiten und drei Monate beim dritten Verstoß).
Diese Veränderungen stellen einen Rückfall in die sanktionierende Hartz IV-Logik dar.
Generelle Bewertung:
Der Paritätische Gesamtverband bewertet das ursprüngliche SGB III-Modernisierungsgesetz und die Formulierungshilfe wie folgt:
SGB III-Modernisierungsgesetz:
Der Gesetzentwurf zum SGB III–Modernisierungsgesetz nimmt wichtige Weichenstellungen vor: Sie betreffen eine wirksame Unterstützung und Beratung junger Menschen im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf sowie eine starke Kooperation der Rechtskreise in den Jugendberufsagenturen. Der Ausbau der Maßnahmen und die Kooperation mit anderen Rechtskreisen (SGB II, SGB VIII, SGB XI) sollten die Situation junger Menschen insgesamt verbessern. Die grundsätzliche Erweiterung des Auftrags der Bundesagentur für Arbeit und infolgedessen der Agenturen für Arbeit darf jedoch nicht die bestehende Beratung, Betreuung und Unterstützung junger Menschen durch die Jugendhilfe und Jobcenter ersetzen oder die Verdrängung dieser anderen Rechtskreise befördern.
Formulierungshilfe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS):
Am 27. September 2024 hat das BMAS den Verbänden eine Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zum vorliegenden Gesetz zur Stellungnahme übermittelt. Die Frist für die Stellungnahme war von Freitagnachmittag bis Montag, 16 Uhr, und damit so knapp bemessen, dass eine sachgerechte Befassung mit den Änderungsvorschlägen nicht möglich war. Aktuell liegt noch kein Änderungsantrag der Regierungsfraktionen vor. Daher orientiert sich die vorliegende Stellungnahme an der Formulierungshilfe und bewertet diese.
Die Formulierungshilfe setzt im Kern Vorhaben aus der sog. Wachstumsinitiative um. Unter der Überschrift "Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland" wurden massive Einschränkungen für Bürgergeld-Beziehende angekündigt. Wesentliche Anliegen der Bürgergeldreform – ein vertrauensvoller Umgang mit den Leistungsberechtigten sowie eine Stärkung der Förderung und Qualifizierung für eine nachhaltige Integration in Erwerbsarbeit – werden wieder zurückgenommen. Insbesondere werden Sanktionen wieder deutlich verschärft, die Zumutbarkeit in Bezug auf Pendelzeiten und die Verpflichtung zu einem Umzug erhöht und die Karenzzeiten beim Schonvermögen von zwölf auf sechs Monate verkürzt. Dadurch solle „(…) das Prinzip der Gegenleistung wieder [gestärkt werden]“, so die Ansage in der Wachstumsinitiative.
Die Bundesregierung setzt mit den Maßnahmen wieder vorrangig auf mehr Druck auf die Leistungsberechtigten und kehrt damit zu den alten Rezepten von Hartz IV zurück. Sanktionsverschärfungen, Verschärfungen der Meldeverpflichtungen und ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber den Leistungsberechtigten prägen den Inhalt der Formulierungshilfe. Diese Politik geht an den tatsächlichen Problemen der Langzeiterwerbslosen und den Notwendigkeiten für eine gelingende soziale und berufliche Integration weitgehend vorbei. Auf die konkrete soziale Situation der Leistungsberechtigten wird nicht eingegangen; es werden keine Maßnahmen vorgelegt, die konkrete “Vermittlungshemmnisse” individuell oder strukturell abbauen könnten. Auch die Strukturen und Angebote der Arbeitsförderung werden nicht verbessert. Im Gegenteil: Es werden Ausgaben für die Arbeitsförderung der Jobcenter parallel stark gekürzt, was zu Lasten einer nachhaltigen Qualifizierung und Begleitung der Leistungsberechtigten geht sowie die sozialen Träger und Organisationen, die Projekte bspw. für die Betreuung und Qualifizierung von langzeitarbeitslosen Menschen umsetzen, erheblich in ihrem Bestand gefährdet.
Der Paritätische Gesamtverband kritisiert den politischen Kurswechsel mit Nachdruck. Mit dem begleitenden Diskurs und den Maßnahmen wird die Verantwortung für eine unzureichende Erwerbsintegration den betroffenen Erwerbslosen zugeschoben. Die Opfer des Arbeitsmarktes werden zu Tätern umgedeutet (“blaming the victim”).
Am 4. November 2024 findet im Deutschen Bundestag im Ausschuss für Arbeit und Soziales die öffentliche Anhörung zum Thema statt. Dr. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, nimmt als Sachverständiger an der Anhörung teil. Die Anhörung beginnt um 14 Uhr. Der Link zur öffentlichen Anhörung ist dieser Fachinformation beigefügt.
Die vollständige Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes ist in dieser Fachinformation als Anlage zu finden.
Dokumente zum Download
Weiterführende Links
Internetseite des Deutschen Bundestages zur Anhörung am 4.11.2024
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