Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 763
Der Paritätische
Berlin (Weltexpresso) - Die aktuelle Debatte um eine Rückkehr syrischer Geflüchteter nach Syrien schafft ein Klima der Verunsicherung und Angst unter syrischen Geflüchteten und beeinträchtigt die Aufnahmebereitschaft der deutschen Gesellschaft. Für den Paritätischen Gesamtverband ist hingegen klar: Die syrischen Geflüchteten sind Teil der deutschen Gesellschaft. Eine nachhaltige Migrationspolitik sollte ihren Ausgang von dieser Tatsache nehmen und sich an den Bedürfnissen der syrischen Geflüchteten sowie der syrischen Gesellschaft orientieren.
Forderungen nach einer (erzwungenen) Rückkehr nach Syrien entbehren angesichts der dort derzeit herrschenden Lage nach wie vor jeglicher Grundlage. Auch nach dem Sturz des Assad-Regimes ist die Lage in Syrien aufgrund weiterhin bestehender bewaffneter Kämpfe, v.a. im Norden des Landes, gefährlich. Insbesondere das Vorgehen, das sich gegen Minderheiten im ganzen Land richtet, ist besorgniserregend. Zudem benötigen Millionen von Syrer*innen auf Grund der prekären humanitären Lage Unterstützung bei der Sicherung elementarer Bedürfnisse. So sind nach Angaben der Vereinten Nationen derzeit rund 90 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Nach dem Beginn der Offensive der Opposition in Syrien Ende des letzten Jahres sind viele Menschen aufgrund von weiterhin stattfindenden Kampfhandlungen innerhalb Syriens neuen Fluchtbewegungen ausgesetzt. Die Vereinten Nationen gehen derzeit von rund 7 Millionen Binnenvertriebenen im Land aus. Die Rückkehr einer großen Anzahl von Syrer*innen zum jetzigen Zeitpunkt könnte das Land daher u.U. noch stärker destabilisieren. Diese menschenrechtlichen Bedenken müssen im Übrigen auch für die Abschiebung von Straftätern gelten. Angesichts dieser Lage sollten auch die aktuell ausgesetzten Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger zeitnah wieder aufgenommen werden, insbesondere für Personengruppen, für die Syrien auch auf absehbare Zeit nicht sicher sein wird.
Die Debatte um eine schnelle Rückkehr nach Syrien geht darüber hinaus auch deshalb fehl, da einer Person nicht ohne weiteres der Schutzstatus aberkannt werden kann. Vielmehr muss in einem Widerrufsverfahren stets im Einzelfall geprüft werden, ob es wirklich keine - möglicherweise neue - Gründe für eine Schutzgewährung gibt. Das gebieten menschen- und völkerrechtliche Verpflichtungen. Groß angelegte Widerrufsverfahren würden daher absehbar zu enormen Belastungen der zuständigen Behörde und den Verwaltungsgerichten führen. All das zeigte sich bereits nach dem Sturz Saddam Husseins, als das BAMF 2004 bei Personen, die aus dem Irak geflohen waren, den Schutzstatus widerrief. Eine Abschaffung der Einzelfallprüfung würde Verwaltungseffizienz über die Einhaltung von Menschenrechten stellen und wird vom Paritätischen daher in aller Deutlichkeit zurückgewiesen, ebenso wie alle anderen Formen der Beschleunigung oder Vereinfachung der Verfahren, die auf Kosten der Rechte der Betroffenen gehen. Doch selbst ein Widerruf des Schutzstatus würde nicht notwendig auch das Erlöschen eines Aufenthaltsrechts bedeuten. In vielen Fällen wird die Verwurzelung in Deutschland so stark sein, dass ein Aufenthaltsrecht unabhängig vom Schutzstatus existiert.
Stattdessen braucht es nun eine besonnene Debatte und eine nachhaltige Politik, die sich an den Bedürfnissen der Geflüchteten in Deutschland sowie der syrischen Gesellschaft orientiert. Ein Element einer solchen Politik ist das gezielte Engagement Deutschlands, bei dem die Stabilisierung und der Wiederaufbau Syriens Priorität haben. Dabei sollte dem BMZ, zusammen mit der GIZ und KfW, eine tragende Rolle zukommen. Mit den Erfahrungen der letzten Jahre, besonders in den Sektoren Bildung und Gesundheit, aber auch der einkommenschaffenden Maßnahmen, kann das Engagement nun endlich auch langfristig ausgerichtet und mit nachhaltigem Wiederaufbau verknüpft werden. Unabhängig von den menschenrechtlichen und humanitären Bedingungen könnte die (erzwungene) Rückkehr einer großen Zahl von Syrer*innen das Land, in dem die Infrastruktur stark beschädigt oder zerstört ist, die wirtschaftliche Lage desolat ist, keine Regierung existiert und gesellschaftliche Konflikte drohen, hingegen destabilisieren. Auch die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern kann die fragile Situation in Syrien bedrohen.
Mit Blick auf die syrischen Geflüchteten hierzulande gilt: Eine wirklich freiwillige und nachhaltige Rückkehr nach Syrien braucht aufenthaltsrechtliche Sicherheit in Deutschland. Die Rückkehr darf entsprechend weder erzwungen werden, noch sollte sie aufgrund politischen, finanziellen oder gesellschaftlichen Drucks individuell notwendig erscheinen. Eine solche Politik würde bspw. dem Bedürfnis der Geflüchteten entsprechen, ohne Sorgen um den Aufenthalt in Deutschland nach Syrien reisen zu können. Viele von ihnen wissen nicht, was während des Krieges mit ihnen nahestehenden Personen geschehen ist oder ob das eigene Haus noch steht. Um sich nach Jahren der Abwesenheit Klarheit über die Lage vor Ort zu verschaffen oder nahestehende Personen zu suchen, sollten syrische Geflüchtete ohne Verlust ihres Schutzstatus oder Aufenthaltsrechts bzw. mit einem Recht auf Rückkehr nach Deutschland nach Syrien reisen dürfen. Die Bereitschaft der Bundesregierung, hier Möglichkeiten zu eröffnen, begrüßt der Paritätische Gesamtverband, gibt jedoch zu bedenken, dass es in der Regel mehrmalige und auch längerfristige Besuche brauchen dürfte, um fundiert prüfen zu können, ob eine Rückkehr nachhaltig und sicher möglich ist. Auch langfristig dürfte eine gesicherte Mobilität zwischen Deutschland und Syrien, ohne Verlust des Schutz- oder Aufenthaltsstatus, im Interesse beider Gesellschaften sein.
Teil einer nachhaltigen Migrationspolitik wird auch die Unterstützung von Personen sein, die aus freien Stücken nach Syrien zurückkehren wollen. Seit Mitte Januar fördert das BAMF die Rückkehr nach Syrien durch die Programme REAG und GARP. Im Rahmen dieser Programme können Personen Geld für die Reise nach Syrien, medizinische Unterstützung sowie eine einmalige finanzielle Förderung erhalten. Der Paritätische Gesamtverband ist jedoch der Auffassung, dass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt auch im Rahmen dieser Programme nicht möglich ist.
Ein weiterer Aspekt wird die Aufenthaltsverfestigung unabhängig von einem Schutzstatus sein. In der politischen Debatte wird häufig Arbeit als entscheidendes Kriterium genannt. Die Bleibeperspektive syrischer Geflüchteter darf allerdings nicht allein an ihrer Erwerbstätigkeit gemessen werden, denn Zugehörigkeit und Teilhabe realisieren sich in unserer Gesellschaft nicht allein auf dem Arbeitsmarkt. Das gilt für alle Mitglieder dieser Gesellschaft und somit auch syrische Geflüchtete. Aspekte wie Ausbildung, Schulbesuch, Erziehung und Pflege von Angehörigen, anderweitige Integrationsleistungen oder die Situation von Personen mit besonderen Schutzbedürfnissen wie behinderten, alten oder psychisch beeinträchtigten Menschen, müssen unbedingt berücksichtigt werden. Dies ist im Übrigen mit Blick auf bestehende Bleiberechte schon geltende Rechtslage. In diesem Zusammenhang sollten auch die Möglichkeiten zum Spurwechsel aus dem Asylverfahren heraus erleichtert werden, denn viele tausende Syrer*innen warten derzeit noch auf die Entscheidung in ihrem Asylverfahren.
Im Paritätischen Gesamtverband engagieren sich weit über hundert Mitgliedsorganisationen für Geflüchtete und Migrant*innen, unter anderem in den Bundesprogrammen Asylverfahrensberatung, Migrationsberatung für Erwachsene Zugewanderte und die Psychosozialen Zentren.
Weiterführende Links
Fachinfo zur aktuellen Situation in Syrien
Fachinformation zur rechtlichen Einschätzung der politischen Debatte