Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 1025Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Das Bundeskabinett hat den 7. Armuts und Reichtumsbericht beschlossen. Damit kommt die Bundesregierung dem Auftrag des Deutschen Bundestages nach, in jeder Legislaturperiode einen Bericht über die Entwicklung von Armut und Reichtum vorzulegen. Im Folgenden finden Sie ein paar relevante Befunde aus dem umfangreichen Bericht.
Der Berichtszeitraum umfasst die COVID-19-Pandemie sowie die Inflations- und Energiepreiskrise infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Die Auswirkungen auf die sozialen und materiellen Lebensverhältnisse werden auf Grundlage der amtlichen Statistik und von Forschungsergebnissen dargestellt.
Zu den neuen Schwerpunkten des Siebten Armuts- und Reichtumsberichtes gehört nach der Pressemittlung des BMAS die Auseinandersetzung mit der Nichtinanspruchnahme von Mindestsicherungsleistungen, da diese die Wirksamkeit von Armutsbekämpfung und sozialpolitischen Maßnahmen einschränkt. Ebenfalls neu war die Durchführung eines eigenständigen Beteiligungsprozesses, mit dem Menschen mit Armutserfahrung einbezogen wurden. Zudem werden erstmals in einem Armuts- und Reichtumsbericht die sozialen Herausforderungen und Chancen im Kontext von Klimawandel und Dekarbonisierung thematisiert.
Relevante Befunde des Armuts- und Reichtumsberichts
Armut
Laut Bericht liegt die Armutsquote seit Jahren auf viel zu hohem Niveau zwischen 14 und 18 Prozent. Besonders betroffen sind Arbeitslose, Alleinerziehende und kinderreiche Familien, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen mit Behinderungen. Die Armutsquote unter den arbeitslosen Personen liegt nach dem Bericht bei 68,1 Prozent. Selbst Erwerbstätigkeit schützt längst nicht zuverlässig vor Armut (9 Prozent). 15,9 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Jeder sechste Job ist ein Niedriglohnjob. Hinzu kommt, dass die Reallöhne in den Krisenjahren trotz Mindestlohnerhöhungen gesunken sind.
Die sog. materielle Deprivation – ein Indikator für Entbehrungen bei Alltagsgütern - hat seit Beginn der Corona Pandemie und Inflation zugelegt.
Aufsteige aus der „Lebenslage“ Armut erfolgen weiterhin eher selten.
Einkommensentwicklung (2010 bis 2020 untersucht)
Der Bericht konstatiert für den Zeitraum bis 2020 insgesamt eine positive Entwicklung, diese ist aber sozial ungleich verteilt: „Die Einkommen im untersten Zehntel der Einkommensverteilung sind aber im Zeitverlauf nur geringfügig angestiegen, während höhere Einkommen stärker Zuwächse erzielten“.
Die Bruttoeinkommen sind dabei deutlich ungleicher verteilt als Nettoeinkommen. Die sozialstaatliche Intervention durch Steuern und Transfers wirkt insofern. Der Sozialstaat sichert und reduziert Einkommensungleichheit – allerdings zu wenig zielgerichtet.
Seitdem: Corona und Inflation
Seit dem Angriff von Rußland auf die Ukraine sind die Verbraucherpreise zuletzt erheblich angestiegen. Mit den Haupttreibern Energie und Nahrungsmittel sind insbesondere existenzielle Güter betroffen. Dies belastet insbesondere Haushalte mit geringerem Einkommen, da diese einen höheren Anteil für existenzielle Güter ausgeben müssen; ärmere Haushalte haben zudem kaum oder kein Ersparnisse, auf die sie zur Kompensation zurückgreifen könnten.
Der ARB berichtet von Umfragen 2023 und 2024, nach denen 17% aller Haushalte laut eigenen Angaben auf Erspartes zurückgreifen mussten, um ihre Ausgaben zu decken. Bei den untersten Haushalten lag der Anteil dagegen bei 32 Prozent. „Gleichzeitig gelang es nur knapp 19 Prozent der Haushalte im untersten Einkommensquintils zu sparen und mindestens ein Drittel der Haushalte gab an, seinen Lebensmittelkonsum durch teilweisen Verzicht oder Umstieg auf günstigerer Produktkategorien anzupassen.“
Einsparungen gehen dabei insbesondere auf Kosten der sozialen Teilhabe.
Einkommensunterschiede zwischen Geschlechtern
Die Verdienstunterschiede zwischen den Geschlechtern haben sich kaum verändert. Das durchschnittliche Jahreseinkommen von Frauen ab Mitte 30 liegt relativ stabil etwa 20.000 Euro unter dem der Männer - trotz eines nennenswerten Anstiegs der Erwerbstätigkeit der Frauen.
Das Vermögen ist deutlich ungleicher verteilt als Einkommen. Das reichste Zehntel der Bevölkerung verfügt über 54 Prozent des Nettovermögens, während die untere Hälfte der Bevölkerung nur 3 Prozent des Nettovermögens besitzt.
Wohnen zu einem Schlüsselfaktor der sozialen Lage geworden: Fast jeder achte Haushalt muss mehr als 40 Prozent seines Einkommens fürs Wohnen aufwenden. Bei Menschen in Armut ist es sogar mehr als jeder dritte Haushalt.
Mindestsicherung und Erwerbsarbeit
Der Armuts- und Reichtumsbericht dokumentiert: die Löhne sind zwischen 2021 und 2024 stärker gestiegen als Grundsicherungsleistungen. Entgegen der zwischenzeitlich intensiven Debatte ist der Lohnabstand zwischen Sozialleistungen und Löhnen demnach gewachsen. Dies ist insbesondere auf die deutliche Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zurückzuführen.
In dem entsprechenden Kapitel des Berichts werden leider die Kaufkraftverluste von Grundsicherungsbeziehenden bis Ende 2023 nicht thematisiert (vgl. dazu: Expertise Irene Becker).
Negative oder positive Lebensereignisse korrelieren mit der sozialen Lage
Eine neue Untersuchung im Rahmen der Berichterstattung hat sich mit dem Zusammenhang von belastenden oder fördernden Lebensereignissen beschäftigt und wie sich diese auf die soziale Ungleichheit auswirken. Ergebnis: Einkommen und Vermögen erhöhende Ereignisse wie Erbschaften und Schenkungen finden eher bei Wohlhabenden statt, bei Menschen, die sowieso bereits ein hohes Einkommen haben. Gleichzeitig gilt, dass Krankheiten, Trennungen, Einkommensverluste / Jobverluste eher mit geringen Einkommen korrelieren.
Bewertung durch den Paritätischen:
Der Paritätische Gesamtverband bewertet den Entwurf des Siebten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung als ernüchterndes Dokument der sozialen Schieflage in Deutschland. „Der Bericht zeigt glasklar: Armut bleibt in Deutschland ein Massenphänomen, das sich zunehmend verfestigt. Gleichzeitig wird das Thema Reichtum weitgehend ausgeblendet – das ist ein fatales politisches Signal“, erklärt Joachim Rock. „Diese soziale Spaltung ist Sprengstoff für unsere Demokratie“, fasst Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverband, den 683-seitigen Bericht zusammen.
Der Bericht dokumentiere zudem nicht nur eine extreme Vermögensungleichheit, sondern zeige auch, dass soziale Ungleichheit in ungleicher politischer Teilhabe münde und so Demokratie und Zusammenhalt gefährde. Schon jetzt schwinde das Vertrauen in Institutionen. „Diese Kluft gefährdet den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie. Wer über Armut spricht, darf über Reichtum und Privilegien nicht schweigen“, mahnt Rock. „Es reicht nicht, nur Armut zu bilanzieren. Was fehlt, ist der politische Wille zu einer Umverteilung von oben nach unten. Armut ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen. Der Bericht liefert die Daten – nun ist es Aufgabe der Politik, endlich entschlossen zu handeln.“
Ein aus dem Bericht abgeleitetes politischen Maßnahmenprogramm zur Bekämpfung von Armut sucht man in dem Bericht leider vergeblich. Der Paritätische fordert als Leitlinien einer Politik gegen wachsende soziale Ungleichheit die stärkere Beteiligung von Superreichen an der Finanzierung des Gemeinwesens, die solidarische Finanzierung der Sozialversicherungen durch ihren Ausbau zu einer sozialen Bürgerversicherung, eine gerechtere Erbschafts- und Einkommensteuer, eine armutsfeste Grundsicherung und massive Investitionen in sozialen Wohnungsbau, Bildung, Inklusion und Gesundheit.
Der vom Kabinett verabschiedete Bericht findet sich hier.
Auf der Seite "Armuts- und Reichtumsbericht" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales finden sich zahlreiche hilfreiche Materialien rund um den Bericht, wie etwa zahlreiche Daten zu den verschiedenen Indikatoren der sozialen Ungleichheit, den Auftrag des Bundestags zur Berichterstattung, alle bisherigen Berichte sowie die jeweils begleitenden Auftragsstudien.
Weiterführende Links
Pressemitteilung des Paritätischen zum Entwurf des Berichts
Christoph Butterwegge zum 7. ARB
Irene Becker: Entwicklung der Kaufkraft in der Grundsicherung
Foto:
©Deutschlandfunk