c traurigkeitEine Geschichte von Buffalo Bill Cody, Matthes & Seitz Berlin

Thomas Adamczak

Wiesbaden (Weltexpresso) - »Es geschah etwas noch nie Dagewesenes. Es scheint, als hätten sich all die armen Schlucker der Welt plötzlich hier .... verabredet«

Wovon ist die Rede? Von welchen armen Schluckern? Nein, es geht nicht um die Menschen, die versuchen nach Europa zu fliehen.

Die Rede ist vielmehr von Amerika: »1870 waren es vierzig Millionen Amerikaner; aber 1880 sind es schon fünfzig Millionen; und 1900 gibt es siebenundsechzig.« Das ist »eine binnen dreißig Jahren verdoppelte Bevölkerung, etwas, das sich ausdehnt, ein riesiges Volk, das ankommt und drängelt und seine Fehler weit von sich weist. In Minnesota, Missouri, Arkansas ist der Wahnsinn ausgebrochen. Vorbei die netten Sonntage, los, auf nach Oklahoma! Nach Kansas!«

Der französische Autor Éric Vuillard, als Schriftsteller und Regisseur bekannt dafür, dass er »große Momente der Geschichte neu erzählt und damit ein eigenes Genre begründet« (»Kongo« und »Ballade vom Abendland«), dekuvriert in seiner Erzählung »Traurigkeit der Erde« den amerikanischen Gründungsmythos. Erst mit der Eroberung des amerikanischen Westens wurde »America great«, um an die Worte des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten zu erinnern.

Vuillards Buch erhellt, wie das Massaker an den amerikanischen Ureinwohnern, den Indianern, umgedeutet, ja geradezu in verlogener Weise umerzählt wurde: Die Inszenierung des Genozids an den Indianern als Massenvergnügen in einer aufwendigen Wild West Show.

Der Autor stellt ins Zentrum seiner Erzählung den Aufstieg und Niedergang von Buffalo Bill, der entscheidend zum Erfolg des gigantischen Spektakels der Wild West Show beitrug, die zwei Jahrzehnte in der ganzen Welt aufgeführt wurde, bis die Erfindung des Kinos diese Art der Massenbelustigung ablöste.

1893 fand die Weltausstellung in Chicago statt. Damit sollte der vierhundertste Jahrestag der Reise Columbus‘ gefeiert werden. 21 Millionen Menschen sollen diese Weltausstellung besucht haben, deren Glanzpunkt und Zuschauermagnet die Vorstellungen der Wild West Show waren.

Pro Tag gab es zwei Vorstellungen, die bei 18 000 Zuschauerplätzen meist ausverkauft waren. Das Perfide dieser Wild West Show war die Beteiligung von Indianern als Statisten. Die Indianer waren für das Spektakel unentbehrlich. Auch Häuptling Sitting Bull, der die entscheidende Niederlage der Indianer bei der Schlacht am Wounded Knee überlebt hatte, wurde für sage und schreibe fünfzig Dollar pro Woche für die Show engagiert. Sitting Bull war ein Zuschauermagnet.

Für die erste Inszenierung musste er wie auch Buffalo Bill Modell sitzen. Vuillard interpretiert das dabei entstandene Foto, mit dem auf riesigen Plakaten für die Vorstellungen geworben wurde. Buffalo Bill streckt übertrieben seine Brust nach vorn, um Respekt gebieten zu wirken und bemüht sich, den Indianer »königlich« zu mustern. Der Blick Sitting Bulls geht ins Leere.

Das heute schwer Begreifliche ist, dass mit dieser Wild West Show das Massaker an den Indianern konsumierbar war und damit die Zerstörung eines Volkes, dem Land und Eigentum geraubt, das dezimiert und anschließend in Reservate eingesperrt wurde.

Die Teilnahme der Indianer an der Vorstellung war die einkalkulierte Sensation, nach der das Publikum lechzte. Das Publikum war, so stellt es der Autor dar, gekommen, um die Rothäute hassen zu können und sterben zu sehen, unabhängig davon, dass nach dem gespielten Tod die Indianerstatisten die Derivate ihres Genozids und sonstigen Wildwest-Nippes in den Pausen verkauften.

General Sherman, der heute an bevorzugter Stelle im Central Park in Bronze thront, hatte mehrfach die Ausrottung des Sioux gefordert, von Männern, Frauen, Kindern. Er hatte gelobt, so lange im Westen zu bleiben, »bis alle Indianer, absolut alle Indianer - und das sind seine eigenen Worte - getötet oder verschleppt wären« (S. 76).

»Traurigkeit der Erde« ist ein wichtiges Buch, ein besonders heute bemerkenswertes Buch.

Der amerikanische Präsident ruft seinen Landsleuten und der übrigen Welt zu: »America first«. Und: „Make America great again.«

Eine lohnende Frage wäre, ob der Sieg der amerikanischen Armee über die militärisch in jeder Hinsicht unterlegenen Indianer bei Wounded Knee ein Beispiel für Amerikas Größe ist, das im Wörtchen »again« mitschwingt.

Dann schon lieber die Entgegnung des neuen französischen Präsidenten Macron, der Donald Trump entgegenhält: »Make our planet great again.«

Info: http://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/traurigkeit-der-erde.html