Deutsche Philosophie; Ein Dialog; Verlag Matthes& Seitz, 2017
Thomas Adamczak
Wiesbaden (Weltexpresso) - Solange die Menschen sich Gott zu dem Existierenden hinzudenken, gehen sie davon aus, dass dieser sich für das interessiert, was wir tun und was uns geschieht.
Unser Schicksal hätte, wenn wir die Perspektive dieses Gottes einnähmen, einen Sinn, den wir verfehlen können, wenn wir die angenommene göttliche Intention in unserem Leben und durch die Lebensführung verneinen.
Wird das Sein ohne göttliche Existenz gedacht, hat das Sein als solches, schlussfolgert Badiou, »streng genommen keinen Sinn«. Und er fährt fort: »Die Seinsfrage bedeutet ganz im Gegenteil, endlich den Mut zu finden, sich in rationaler Weise mit dem auseinanderzusetzen, was keinen Sinn hat.« Der französische Philosoph bringt seine Überzeugung auf den Punkt: Die »Wahrheit ist, dass das Sein keinen Sinn hat, das ist alles«.
Im Zentrum der Philosophie stehe die Frage, ob trotz des fehlenden Sinns des Seins etwas existiere, das einen universellen Wert hat oder ob so etwas nicht existiert.
Diese Fragestellung ist für die Philosophie und deren Rezeption von einiger Bedeutung. Wenn die Existenz eines universellen Werts negiert wird, wird es schwierig mit der Begründung ethischer Normen, steht das Bemühen, die Verbindlichkeit eines Rechtssystems mit Verweis auf universelle Werte durchzusetzen, auf wackeligen Füßen.
Während Nancy den kategorischen Imperativ beispielsweise plausibel findet, überzeugt dieser Badiou in keiner Weise. Der kategorische Imperativ ist für ihn »etwas rein Formelles«, weil er »eine Universalität der Moral erschafft«. Badiou bezweifelt, dass so etwas »Formelles« existiere. Nancy dagegen sieht im kategorischen Imperativ »die Vernunft, die sich selbst befiehlt, die Sachen, so wie sie sind, unendlich zu transformieren, und zwar so, dass jede Handlung sich wie ein universelles Gesetz der Natur verstehen lässt«. Immanuel Kant begebe sich mit dem kategorischen Imperativ in die »Position eines Gottes ohne Gott«. Kant gehe es um Zwecke, »Endzwecke genannt«, er verdeutliche aber nicht, so Nancy, dass »der Mensch das Wesen der Zwecke« sei.
Marx und Freud versuchten den »Abgrund« zwischen Sein und Sinn dadurch zu überwinden, dass sie im Menschen einen Wert an sich sehen.
Allerdings sind Denker wie Marx und auch Freud für Badiou keine Philosophen, denen es darum gegangen sei, ein philosophisches Werk zu schaffen. Vielmehr ging es ihnen um einen Beitrag zur Realisierung einer bestimmten organisierten und kodifizierten Praxis. Das aber sei nicht die Aufgabe einer recht verstandenen Philosophie.
Marx sei es um eine kommunistische Internationale mit einem Ensemble revolutionärer Praktiken gegangen, Freud um die Psychoanalyse mit der Definition der Kur. („Ihre Absicht ist ja, das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so daß es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden.“ Freud 1933)
Auch für Marx stellt der Mensch einen absoluten Wert dar, der »Mensch als Produzent seiner Existenz und darüber als sozialer und kollektiver Produzent«.
Die amerikanische Politologin Wendy Brown stimmt hinsichtlich der Entscheidung für Werte einer Prioritätensetzung zu, denn sie ist überzeugt, dass »Werte gewählt werden und nicht vorgegeben sind«.
Vor solcherart Konkretisierungen und Festlegungen scheut Badiou zurück. Als Negativbeispiel für Ideen, die auf eine bestimmte Praxis fixiert sind, kommt er auf Stalin zu sprechen, unter dem die Idee dominierte, „dass man zur Lösung eines Problems die Feinde und Saboteure suchen – wenn nötig auch erschaffen – müsse, die uns daran hindern, es zu lösen. Anders gesagt, das Wesentliche der Aufgabe ist der gewalttätigen Negation anvertraut.“
Badiou plädiert für eine »neue Figur der Arbeit des Denkens«, »eine Figur, von der ich glaube, dass es sich um folgendes Problem drehen wird: Wie lässt sich, auf der Basis einer Ontologie, die die Indifferenz des Seins akzeptiert, eine affirmative Dialektik rekonstruieren?«
Hegel ist für ihn ein Vorbild, weil dieser »der wahre Denker der Negativität« ist, nicht der traurigen negativen Negativität im Sinne Adornos, sondern der affirmativen Negativität, der schöpferischen Negativität«.
Wie man sich eine solche »affirmative«, »schöpferische Negativität« vorzustellen hat, bleibt in diesem Gespräch der beiden französischen Philosophen, das von Jan Völker, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter am „Institut für Kunstwissenschaft und Ästhetik“ (Universität der Künste Berlin) am 30.1.2016 an der „UdK“ umsichtig moderiert wurde, leider ausgespart.
Das hätte man, wäre man bei diesem spannenden Gespräch zwischen den beiden Philosophen anwesend gewesen, gern gefragt. Also muss man sich wohl deren frühere und künftige Veröffentlichungen anschauen, um entsprechende Hinweise zu erhalten.
Den Talkshow-Machern und Verantwortlichen in den Fernsehanstalten sei dieses Bändchen von Matthes&Seitz, Bd. 100 der vorzüglichen Reihe »Fröhliche Wissenschaft«, empfohlen. Ein solches ernsthaftes Nachdenken im Gespräch über philosophische Fragen im Medium Fernsehen wäre eine erfrischende Alternative zu dem schlagwortartigen Austausch mehr oder weniger bekannter Meinungen in den gängigen Talkshows.
Solche Gespräche im Fernsehen sehen und hören zu können, Gespräche, bei denen man der Entwicklung verblüffender und allemal lohnender Gedanken folgen kann, ohne befürchten zu müssen, durch unpassende Fragen irritiert oder gar gestört zu werden, wäre einem Fernsehpublikum zu wünschen, das der gängigen Talkshowformate zu Recht häufig überdrüssig ist.
Foto: Umschlagabbildung
Info: http://www.matthes-seitz-berlin.de/reihe/froehliche-wissenschaft.html