Serie: GREGOR GYSI, Ein Leben ist zu wenig, Die Autobiographie im Aufbau Verlag, Teil 1/
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn Sie die Möglichkeit haben, noch auf der Buchmesse am Samstag oder sonst bei seinen Rundumauftritten, bei denen Gysi sein Buch vorstellt, dabei zu sein, gehen Sie hin! Geistreich, intellektuell funkelnd, selbstironisch und mit vielen Fakten und Meinungen gespickt, wissen Sie danach einfach mehr als zuvor und haben sich noch dabei amüsiert.
Also, das direkte Erleben des Gregor Gysi geht vor, auch vor dem Lesen seiner Autobiographie. Aber, das merkt man schnell, wenn man nach Lesungen oder Diskussionen dann ins Buch hineinschaut, merkt man nicht nur, was man zweimal lesen kann, weil es so wichtig und interessant ist, sondern merkt vor allem, daß die Gespräche doch zu ganz anderen Inhalten führen als dies systematisch angelegte Buch. Darum ist das Sinnvollste, ihn zu hören und ihn selber zu lesen. Denn, wenn Sie ihn erst lesen, gehen Sie sowieso zur nächsten Veranstaltung mit Gregor Gysi.
Später in der Diskussion kam die Sprache auf diesen bekannten Vorfall beim Günter Jauch. Der hatte verschiedene Personen zum Fernsehgespräch gebeten, allerdings kurz vorher den Inhalt geändert, weshalb diese Herrschaften zugunsten von anderen wieder ausgeladen wurden. Bis auf Gregor Gysi. Der durfte bleiben: „denn der kann zu allem was sagen“ oder so. Stimmt. Im Gespräch kann er einen süffig reden. Und da er auch bei dieser Vorstellung seines Buches auf der Buchmesse in einer Pressekonferenz aus dem Vollen schöpfte, ging man emotional zufrieden und mit neuem Wissen sowie Begreifen von Zusammenhängen davon, mit der Absicht das Buch sofort weiterzulesen, denn er hatte beim Vorstellen einige Themen angerissen, aber insgesamt eben auch eine Weiterschreibung seiner Biographie geleistet. Dazu gleich noch.
Eingeleitet wurden die eineinhalb Stunden durch Fragen der Pressesprecherin des Aufbauverlags, Silke Ohlenforst, bei deren Beantwortung Gysi Teile seiner Biographie zusammenfaßte und doch auch ganz Neues hinzufügte. Sie habe beim Lesen den Eindruck gewonnen, er beschreibe mehrere Leben, um wie viele Leben es ginge. Das sei richtig, antwortete Gregor Gysi, allerdings lassen sich diese Leben sehr deutlich abgrenzen. Das eine sei die Kindheit, dann seine Rechtsanwaltstätigkeit in der DDR und nach 1989 eigentlich zwei Leben. Erst eines, in dem ihm vom Westen Tag für Tag die Existenzberechtigung abgesprochen worden sei und er sich mühsam eine neue Autorität erarbeiten mußte. Aber als er dann als Gregor Gysi anerkannt worden sei, ab da sei sein Leben sehr viel leichter verlaufen als in der DDR.
Er kam auf seinen für die DDR völlig ungewöhnlichen Lebensweg zu sprechen, womit übrigens auch sein Buch anfängt. Er sei in der DDR völlig privilegiert aufgewachsen durch den Lebensstil der Eltern mit eigenem Haus und Garten, mit aristokratischen Vorfahren und Besuchern aus den USA, Frankreich, Belgien – so etwas war in der DDR ansonsten völlig undenkbar. Und wie Kinder sind, behagte ihm diese Besserstellung überhaupt nicht. Er wollte sein wie die anderen. Das führte bei ihm dann sogar dazu, daß er, als er mitbekam, daß außer ihm alle vom Vater verdroschen wurden, er aber doch nie Prügel erhielt, ihm dies peinlich war, weshalb er lieber sagte, er würde auch verdroschen. Seine herausgehobene Situation habe eben auch für das Wohnen gegolten. Aber gegenüber den Villen gab es die normalen Mietwohnungen, und als Jungens hätten sie völlig ohne Beachtung der sozialen Situation einfach miteinander gespielt.
Während seines Studiums habe es die Studentenunruhen gegeben, er sei an der Universität ein Jahr isoliert gewesen. Über sein Leben als Anwalt gäbe es viel zu sagen. Lieber sei ihm, etwas zu seinem Vorgehen, seinem Verhalten, seiner Strategie zu sagen, das gewissermaßen sein Credo sei: Wenn Du etwas erreichen willst, muß dies im Interesse des Gesprächspartners liegen. Wie er das genau meinte, führte Gysi dann am Thema China aus und einem Gespräch mit einem dortigen Würdenträger. Es ging um den Umgang des Staates mit Oppositionellen. In Deutschland habe es zwei Verfahren gegeben. In der DDR habe man Oppositionelle eingesperrt und sie dadurch weltberühmt gemacht. In der BRD habe man sie sagen lassen, was sie wollten, und das war es dann.
Seine chinesisches Gegenüber habe zurückgefragt: „Wollen Sie mir damit sagen, daß wir Ai WeiWei zum Weltstar gemacht haben? Was er nur bestätigen konnte.
Es geht also dezidiert darum, daß man es schaffen muß, daß sie das Gewollte als in ihrem eigenen Interessen liegend verstehen. Um dies überhaupt in Gang setzen zu können, ist es seiner Erfahrung nach unabdingbar, die Interessen der Gegenseite zu erkunden und klar zu analysieren.
Interessant dann der Hinweis über die Verwirrung, die 1989 durch Gorbatschows eintrat, der die ganze DDR durcheinandergebracht habe. Immer sei der Druck aus der UdSSR gekommen, vor der man Angst gehabt habe; die DDR-Nomenklatura galt eher als abhängig und weniger schlimm als die Zentrale in Moskau. Und nun auf einmal kamen Freiheitsgedanken aus der UdSSR und die DDR-Oberen wurden zu den Bösen.
Nach dem Fall der Mauer kam es sehr schnell zur Entwicklung, daß er zum Vorsitzenden der SED, später SED/PDS bestimmt wurde. Das sei die schwerste Entscheidung seines Lebens gewesen: „Ja, ich mache den Parteivorsitz“. Von heute her würde er ganz klar sagen: „Nein, das gibt nur Ärger.“ Er wäre lieber in seinem Anwaltsberuf geblieben. Er habe aber in der Folge eine neue Eigenschaft an sich entdeckt: die Sturheit. Darum könne er zu seiner politischen Karriere ganz deutlich sagen: „Wenn sie mich von Anfang an anständig behandelt hatten, wäre ich längst weg. Gysi brachte dann mehr als deftige Verhaltensunverschämtheiten von CDU-Abgeordneten zur Sprache, die ihm seine politische Existenzberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland unentwegt absprachen und ihn ausgrenzten. Wolfgang Bosbach (CDU) und auch Rechtsanwalt habe ihm einmal vom Verhaltenskodex erzählt, der den CDU-Abgeordneten auferlegt worden seien: Zuerst sollten sie bei Gysis Reden nicht lachen, wohl um ihm keine Gelegenheit zu geben, darauf einzugehen; später sollten sie dann aus dem Plenarsaal rausgehen, wenn Gysi redete.
Erst als er sich gegen diese Herabwürdigungen dadurch gewehrt habe, daß er nicht freiwillig ging, sondern blieb, sei er nach und nach als gleich akzeptiert worden. Ihm habe sein Leben ab da Spaß gemacht und ihm war wichtig, daß die, die ihn früher eingeladen hatten, geblieben sind, aber zusätzlich neue Freunde hinzugekommen sind.
Dies war die Beantwortung der ersten Frage! Fortsetzung folgt also.
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Info: Gregor Gysi, Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie, Aufbau Verlag 2017