kpm Evangelisches Frankfurt Mai 18 TitelDie Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hält an FACEBOOK fest

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die aktuelle Nummer der Zeitschrift „Evangelisches Frankfurt“ berichtet, dass die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) seit längerem das kommerzielle Netzwerk FACEBOOK nutzt und daran trotz dessen Datenschutzverstößen auch weiterhin festhalten wird.

Das Blatt zitiert den Pressesprecher der EKHN, Volker Rahn, der diese Absicht ausdrücklich bekräftigt und dabei auf die 30 Millionen Menschen in Deutschland verweist, die diese Plattform nutzten, die (auch) er als „soziales“ Medium verharmlost. Mir persönlich erscheint diese Zahl als extrem hoch; denn das wären ca. 36 Prozent aller Bundesbürger. Angesichts einer solchen Dichte müsste ich nach allen statistischen Erfahrungen mindestens einen FACEBOOK-Nutzer kennen. Doch in meinem relativ großen Freundes-, Bekannten- und Kollegenkreis, der sich über die gesamte Bundesrepublik erstreckt, ist buchstäblich kein einziger darunter. Vielleicht liegt das daran, dass sich unter den Zielgruppen von FACEBOOK die aufgeklärten unter den Gottlosen, die Linken, die Kulturbewussten, überhaupt die Nachdenklichen, nicht befinden. Also exakt jene Gruppen, aus denen allein noch eine Erneuerung der Kirche hervorgehen könnte.

Zudem bedeutet Quantität nicht automatisch auch Qualität. Selbst wenn quantitative Veränderungen tendenziell in qualitative übergehen können. So sah es Karl Marx, der Hegels idealistische Dialektik übernahm, „vom Kopf auf die Füße“ stellte und die jeweilige Wirklichkeit als Motor aller Veränderungen begriff. Zu den Zeiten, als sich die evangelische Theologie noch mit den Anfragen der philosophischen Religionskritik auseinandersetzte, wären solche Vereinfachungen und Engführungen unmöglich gewesen. Denn die „Intelligenten unter den Verächtern“ (Friedrich Schleiermacher) erwiesen sich immer als fruchtbar, wenn es um neue Ansätze für zeitgemäßes und wirkungsvolles Predigen ging.

Besonders verwundert bzw. verärgert hat mich, dass die EKHN leichtfertig in eine sprachliche Fallgrube gestürzt ist, obwohl den Verkündigern des „Wortes“ und der „Schrift“ deren Problematik klar sein müsste. Denn in dem Artikel ist von „sozialen Medien“ die Rede. Das Attribut „sozial“ auf die Tätigkeiten eines professionellen Datensammlers mit unseriösem Geschäftsgebaren anzuwenden, ist ein Euphemismus, ein bewusstes Schönreden von Sachverhalten, deren halbseidener Charakter eindeutig ist.

Denn Folgendes lässt sich nicht leugnen: Das amerikanische Unternehmen (das der Bundesrepublik erhebliche Steuern schuldet) stellt im Internet ein Forum bereit, das sich der Nutzer mit der Preisgabe seiner persönlichen Daten erkauft. Und die Sammelsucht von FACEBOOK geht sogar über die Besitzer eines Accounts hinaus. Letztere werden angehalten, ihre privaten Adressbücher in das System einzuspeisen. Dass dazu das Einverständnis der Betroffenen notwendig ist, wird galant verschwiegen.

Statt dass die Kirche eine Deutungshoheit über die Dinge des Lebens anstrebt, die sie aus ihrem eigenen theologischen Selbstverständnis zieht, unterwirft sie sich Definitionen, die von anderen kreiert wurden und die der gesellschaftlichen Verblödung und der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche dienen. Spontan fällt mir in diesem Zusammenhang die Tempelreinigung ein, von der in allen vier Evangelien berichtet wird. Selbst wenn nach den Erkenntnissen der historisch-kritischen Erforschung der Bibel davon auszugehen ist, dass es sich nicht um historische Berichte handelt, wird doch deutlich, dass sich der jüdische Prediger Jesus und seine Anhänger nicht gemein machen wollten mit jenen, die das Religiöse aus geschäftlichen Eigeninteressen instrumentalisierten.

Bei objektiver Betrachtung sieht die EKHN ihre Tätigkeitsfelder allem Anschein nach vor allem dort, wo sie bereits alles verloren hat. Verloren, weil sie mit ihrer Verkündigung nicht überzeugen konnte. Und weil sie in Punkten, die für Menschen wichtig sind, nämlich in den wirklichen sozialen Bereichen, weder klare Positionen aufgezeigt noch Standfestigkeit bewiesen hat – allem sonstigen diakonischen Engagement zum Trotz.
Der Evangelischen Kirche im Allgemeinen und der EKHN im Besonderen ist ihre Glaubwürdigkeit verloren gegangen, weil sie sich zu häufig am Mittelmaß orientierte, weil sie stets einen Weg um die Probleme herum suchte, anstatt sich ihnen zu stellen. Jesus wird nachgesagt, dass sich die Menschen über seine Worte entsetzten. Bei den Worten der Kirche hingegen scheinen sie einzuschlafen.

Als unlängst die neue Frankfurter Altstadt zur Begehung freigegeben wurde, habe ich den Stadtdekan als Vorsitzenden des Regionalverbands Frankfurt und den Kirchenpräsidenten vermisst. Denn ich hätte mir - vor dem Hintergrund der Diskussionen, welche diese Bauten auslösten - von ihnen etwa folgende Worte gewünscht:

„Ihr Bürger von Frankfurt, Jesus würde sich in dieser Altstadt weder ein Zimmer und schon gar nicht eine Wohnung leisten können. Denn er besaß bereits zu seiner Zeit kein Vermögen und würde mutmaßlich auch heute über keines verfügen. Damit teilte er das Schicksal von mindestens der Hälfte aller Frankfurter. Diese Hälfte kann, selbst wenn sie im engeren Sinn des Worts nicht arm sein sollte, nur davon träumen, hier zu wohnen. Auch im neu errichteten Henninger Turm fände sie keine Herberge, die ihren finanziellen Möglichkeiten entspräche. Ebenso nicht im Europa-Viertel oder im Westhafen, nicht in vielen Quartieren in Sachsenhausen, im Westend oder in Bockenheim. Wenn der Mensch kein Zuhause findet, kann er sicht nicht entfalten, kann nicht zu einer Persönlichkeit heranreifen. Diese ungerechten Lebensverhältnisse sind nicht gottgewollt. Sie sind von Menschen gemacht. Und diesem Treiben wollen wir, die Kirche, jetzt ein Ende bereiten.
Ihr Bürger von Frankfurt, folgen Sie uns zur Katharinenkirche. Dort werden wir Ihnen die Aktionen vorstellen, mit denen wir die Menschen dieser Stadt solange wachrütteln und aktivieren wollen, bis das Reich Gottes auf Erden, und das meint soziale Gerechtigkeit, endlich Realität geworden ist – zunächst in Frankfurt, wo wir ein Beispiel für alle anderen geben wollen.“

Meine Erwartung entspricht einer Ermahnung des Theologen Dietrich Bonhoeffer, die dieser aus dem Konzentrationslager an seinen Neffen schrieb: „Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt“ (aus „Widerstand und Ergebung“).

Die synthetische, von Verlogenheiten durchsetzte Welt von FACEBOOK hingegen ist nicht dazu geeignet, Authentizität und Glaubwürdigkeit der Kirche zu vermitteln.

Foto:
Titelseite der aktuellen Ausgabe von „Evangelisches Frankfurt“
© Evangelischer Regionalverband Frankfurt am Main