Giorgio Agamben; Das Abenteuer, Der Freund; Matthes & Seitz, Berlin 2018
Thomas Adamczak
Otzberg/Odenwald (Weltexpresso) - Dem Verlag Matthes & Seitz verdanken an Philosophie interessierte Leserinnen und Leser die anspielungsreiche Reihe »Fröhliche Wissenschaft«. In dieser Reihe erscheint mittlerweile der dritte Band des italienischen Philosophen Giorgio Agamben. Nach »Geheimnis des Bösen« und »Pilatus und Jesus« eine Veröffentlichung mit den beiden Essays »Das Abenteuer« und »Der Freund«.
So viel vorneweg: sehr empfehlenswert dieses Bändchen (Band 94 der Reihe) des Autors G. Agamben, dem ehemaligen Direktor am College international de philosophie in Paris.
In »Das Abenteuer« geht Giorgio Agamben auf die vier Gottheiten ein, die nach altägyptischem Glauben jeden Menschen von Geburt an begleiten: Daimon, Tyche, Eros, Ananke (Dämon, das Schicksal, die Liebe und die Notwendigkeit).
Ihrem Dämon, so die in den »Saturnalien« des Macrobius überlieferte Legende, verdanken die Menschen Charakter und Wesen. Eros wird als zuständig für Fruchtbarkeit und Erkenntnis angesehen, während Tyche wie auch Ananke für die Lebenskunst stehen, »sich dem Unausweichlichen in rechtem Maße zu fügen«.
Das Verhältnis, in dem wir zu diesen Mächten stehen, bestimme unsere ethische Haltung.
Für das verständliche Bemühen, das eigene Leben zu begreifen, können solche vorgestellten Quasigottheiten durchaus hilfreich sein, zumal, wenn sie in philologischer und philosophischer Hinsicht so überzeugend präsentiert und erörtert werden.
Agamben verweist auf die Urworte« Johann Wolfgang von Goethes, in denen dieser, achtundsechzigjährig, sein eigenes Leben bilanziert und dabei auch die Gottheiten des Macrobius berücksichtigt. Goethe ergänzt diese um eine weitere, nämlich Elpis, die Hoffnung. Er huldigt in seinen »Urworten« vor allem dem Dämon, der, wirft Agamben ein, für eine »Nichtverantwortlichkeitserklärung« taugt, falls sich ein Individuum durch das Eingreifen wie immer auch gearteter »dämonischer« Instanzen schicksalhaft gefesselt sieht.
Für Goethe, schlussfolgert Agamben, ist die »Hoffnung« lediglich eine Maske des Dämons. Agamben selbst geht auf die Hoffnung im letzten Kapitel des Essays »Das Abenteuer« ein und versucht anhand des Pandora-Mythos zu verdeutlichen, dass die Hoffnung deshalb in der Büchse verschlossen bleibt, »weil sie ihre wirkliche Erfüllung in der Welt gar nicht erwartet«, denn sie war, so der verblüffende Gedanke Agambens, in »gewisser Weise schon immer erfüllt«.
Hoffnung und Einbildungskraft seien nämlich »auf Unerfüllbares gerichtet«, nicht etwa, »weil sie nicht wünschten, den von ihnen begehrten Gegenstand zu erlangen, sondern weil das Eingebildete und das Erhoffte als solche ihren Wunsch immer schon erfüllt haben«. Wir könnten nämlich nur als »Unrettbare – schon Gerettete – auf Rettung hoffen«.
Agamben vergleicht in einem anderen Kapitel des Essays das mittelalterliche Verständnis von »Aventure« mit dem sich davon deutlich unterscheidenden modernen Verständnis des Abenteuers, welches er als ein dem gewöhnlichen Leben gegenüber »Fremdes«, »Abweichendes« sieht, das aus dem Zusammenhang des Lebens herausfällt, dem aber Sinn und Notwendigkeit eignet.
In dem Essay »Der Freund« spricht Agamben seinen gescheiterten Versuch an, sich brieflich mit seinem Freund Jean Luc Nancy über das Thema Freundschaft auszutauschen, weil es sich der analytischen Betrachtung »zu entziehen schien«.
Nach zwei Briefen war das Projekt allerdings beendet. Es führte sogar, wie Agamben einräumt, zu einer kurzzeitigen Trübung der Freundschaft.
Im Rückgriff auf Aristoteles (»Wer viele Freunde hat, hat keinen Freund.«) erörtert Agamben, dass Sätze wie »Ich bin dein Freund« und/oder »Ich liebe dich« keine befriedigende Antwort auf die Frage nach der Bedeutung der Sätze bieten.
Mit dem Freund verhält es sich nämlich ähnlich wie z.B. mit dem Schimpfwort »Pissnelke«. Beiden Personen, die derartig bezeichnet werden, ist in keiner Weise anzusehen, dass sie das, womit sie bezeichnet werden, tatsächlich wären.
Es handelt sich bei dem Freund, dem Schimpfwort sowie bei dem Menschen, dem die Liebe gestanden wird, um Spracherfahrungen, wobei die implizit behaupteten Qualitäten für den Außenstehenden keinen Bezug zur Wirklichkeit haben.
Über den Bezug auf Aristoteles versucht Agamben dann doch noch, dem Wesen der Freundschaft nahe zu kommen. Das Dasein sei für die Menschen ein Gut, und es sei, insgesamt gesehen, begehrenswert. Deshalb sei es angenehm, leben zu können.
Das gelte für jeden Menschen und natürlich auch für den jeweiligen Freund. Im Zusammenleben und durch das Teilen von Worten und Gedanken zeige sich das.
Was für den Freund im Besonderen gelte, gelte auch für das Zusammenleben der Menschen im Allgemeinen. Anders als die Tiere, die lediglich dieselbe Weide teilen, teilen Menschen mit anderen Menschen Worte und Gedanken und sind zum »Mit-Empfinden« in der Lage.
Das sei, schließt Agamben seinen Essay, Konsens in den Demokratien, über den in diesem von ihm entwickelten Zusammenhang nachzudenken er den Leserinnen und Lesern »überlassen möchte«, also empfiehlt.
Fazit des Rezensenten: Intellektuell anregende, teilweise zudem vergnügliche philosophische Überlegungen zu grundlegenden Erfahrungen des Daseins.
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