Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) - Es gibt Dinge, die freuen einen einfach. Wie die, daß dieses 402 Seiten dicke und absolut starke Buch direkt Platz 1 der Krimibestenliste eroberte. Denn wir hatten es schon - dank einer klugen Rezensionspolitik des Verlags - bei der Veröffentlichung der Augustliste gelesen und sofort bei Jurysprecher Tobias Gohlis am 4. August nachgefragt: "Kleine Rückfrage, lieber Tobias! Las gerade schwer beeindruckt Tom Franklin, KRUMME TYPE, KRUMME TYPE, pulp master und war sicher, daß er auf der Liste ist. Noch nicht oder überhaupt nicht? Herzlich Elisabeth".
Und bekam umgehend die Antwort: "Liebe Elisabeth, vermutlich noch nicht. Deine Begeisterung teile ich absolut. Herzlich Tobias"
Daß wir beide mit dem 'noch nicht' recht hatten, das sieht man auf dieser Liste, auf der nun für September KRUMME TYPE, KRUMME TYPE den Rang Eins aus dem Stand errungen hat. Das Buch gehört übrigens in die Kategorie von Romanen, wo eine Beschreibung, um was es geht, wer darin vorkommt und was einen erwartet, fast ins Leere geht. Denn als ich anfing, war ich nicht sofort begeistert. Erstens geht mir auf den Wecker, daß wir uns immer mit amerikanischen Zuständen beschäftigen - wobei "wir uns" bevorzugt auf Filme, Krimis und die Politik gemünzt ist, - zweitens hat mich der ländliche Mississippi und der fernsehschauende und fast-food essende Larry Ott nicht vom Hocker gerissen, zumal er ewig auf seiner vorderen Veranda sitzt, "während der Tag sich aus den Bäumen über das Feld verströmte und die Nacht herabsank, immer anders, immer gleich." (7) Ganz schön prätentiös dachte ich noch und las weiter - und als ich das nächste Mal 'dachte', da war ich von den Fallstricken dieses Meisters schon längst gefesselt. Was es ist, warum man das Buch so toll findet, ich find's nicht raus, in diesem Leben nicht.
Aber es geht ja nicht nur mir so: Krumme Type, krumme Type( original 2010: Crooked Letter, Crooked Letter) vom in Dickinson, Alabama 1963 geborenen Tom Franklin, steht ja nicht alleine da. Der Mann ist ein Star der Krimibestenliste. Alle drei Bücher, die bisher von ihm auf Deutsch erschienen sind, zählten zu den besten Kriminalromanen des Monats. Die Gefürchteten (2005) handelt von Gewalt in den Südstaaten, Stoff war der historische „Mitcham-War“ in Franklins Herkunfts-County um 1860. Smonk (2017) handelt von Gewalt in grotesker Klarzeichnung, und Krumme Type, krumme Type handelt von Gewalt im rassistischen Mississippi von 1982 bzw. 2007. Dort kennt jedes Schulkind die Formel Crooked Letter, denn mit dem Merkvers "M I crooked letter crooked letter I crooked letter crooked letter I humpback I" lernen sie ihren Bundesstaat zu buchstabieren. Das steht im Vorblatt zum Anfang: "M - i - Schlangen-s - Schlangen-s - i - Schlangen-s - Schlangen-s - i - hartes b - hartes b -i." Und schon hat man den Mississippi.
Die Orte, an denen der Roman spielt – Amos, Chabot, Gerald County – sind alle fiktiv, aber in Mississippi gelegen. Und es geht um eine Vergangenheitsbewältigung, die gut, zumindest halbgut ausgeht. Und das hofft man das Buch hindurch, denn zwischen den Zeilen, die von Furchtbaren künden, sind immer Zipfelchen von Hoffnung, für den Leser versteht sich, für den Leser, der der Empathie fähig ist. Und die Position dessen nimmt in Chabot nun ausgerechnet Constable Silas Jones ein. Der ist zurück zu den Anfängen, dort wo er Kind war, und hört mit Schrecken, daß auch ein anderer zurückgekommen ist, sein ehemaliger Kinder- und Jugendfreund Larry, der vor 25 Jahren für das Verschwinden der jugendlichen Cindy Walker verantwortlich gemacht wurde und dies sühnen mußte. Erst einmal Anlaß für Silas, die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen, was ihm nicht gefällt, denn er der schwarze Junge, hatte es nicht leicht und rettete sich in den Sport, Baseball, um auch etwas zu sein, um dazugehören zu dürfen. Den Karrierknick versucht er zu vergessen und kommt zurück und beim Vergangenheitsrausch erlebt er diese Zeit mit Larry intensiv als Zusammensein zweier Außenseiter in dieser 500 Seelen-Gemeinde, in der echte Seelen gar nicht vorhanden waren, nur zurechtweisende und in Wort und Tat gewalttätige Menschen, die über einem oder unter einem einsortiert wurden.
Die beiden Jungen waren beide unten, da half Larry auch seine weiße Haut nicht. Er läßt sich von jedem zu den dümmsten Sachen überreden, wobei er in jede denkbare Grube fällt. Sein Vater hilft ihm nicht raus, sondern prügelt ihn rein. Nur die Mutter, die betet zu Gott um Hilfe, denn der Junge stottert und ist einsam. Bei dieser Schilderung amüsieren den Leser solche Skurillitäten wie, daß die Hühner der hilflosen und herzensguten Mutter von Larry nach den First Ladies der USA benannt sind: Eleanor Roosevelt, Rosalynn Carter, Barbara Bush, die da im Garten herumgackern und herumkacken.
Ach ja, der liebe Gott soll ihrem Sohn doch bitte einen Freund schicken, das betet sie auch, was ja für einen Sommer mit Silas auch geschah. Nun sind die Eltern tot, Larry kommt deshalb heim ins Familienhaus, geht tagsüber in die Autowerkstatt seines Vaters, wo aber niemand vorbeikommt, erst recht niemand eine Reparatur erbittet. Eine Lähmung liegt über allem. Und dann verschwindet Tina Rutherford, Kind reicher Eltern, ein hübsches junges Mädchen. Natürlich denken alle: "Der war's", denn der war es ja auch vor 25 Jahren und der Volkszorn regiert. Er wird überfallen, angeschossen. In seinem eigenen Haus. Auf seiner eigenen Terrasse. Von einem Monster. Denn Monster gibt es. Sie nehmen körperliche Gestalt an, wenn die Masse dies möglich macht.
Das kann Constable Silas Jones nicht verhindern, der sehr zögerlich in die Ermittlungen zum Verschwinden des Mädchens einsteigt und erst spät Gas aufnimmt, denn die Vergangenheit und die nie stattgefundene Ausspräche mit Larry hindern ihn. Er lebte damals unter Streß mit seiner Mutter und dem von der Polizei gesuchten Ersatzvater in einer Waldhütte, die Larrys Vater gehörte. Daher die Verbindung, daher aber auch die Abhängigkeiten und das Schweigen über Untaten der Kindheit. Und die Kunst des Tom Fanklin liegt nun darin, wie er mit der Gegenwart die Vergangenheit bloßlegt, in der die beiden Freunde sooft gegeneinander gearbeitet hatten, daß sich jeder als Feind des anderen fühlt: Verräter wie wir, hätte John le Carré dazu gesagt.
Mehr wollen wir gar nicht erzählen, denn - wie gesagt - wie Tom Franklin Wunden heilen kann und wenigstens ein Zipfelchen Gerechtigkeit in die Welt bringt, geht unter die Haut! Das braucht man angesichts der Wirklichkeit im Süden der USA von heute: Rassismus pur, denn die gesellschaftlich zurückgebliebenen Weißen brauchen Schwarze, auf die sie herabsehen können. Das ist die Mentalität des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten, auf die sich solche Leute auch noch berufen können. Ein Buch zur rechten Zeit. Aber die war schon vor 50 Jahren genauso und wird hoffentlich in 50 Jahren düstere Vergangenheit sein. Aber leider spricht dafür heute nichts.
KRIMIBESTENLISTE SEPTEMBER
1(–)
Tom Franklin
Krumme Type, krumme Type
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Pulp Master, 416 Seiten, 15,80 Euro
„Chabot“, Mississippi. Alle nennen ihn „Scary Larry“. Hat er wieder, wie vor 25 Jahren, ein Mädchen umgebracht? Constable Silas, einst eine schwarze Baseball-Hoffnung, zweifelt. Einen Sommer lang waren die beiden Außenseiter Freunde. Schweigen, Angst, Rassismus – gelähmte Gesellschaft, tolles Buch.
2(1)
Lisa McInerney
Glorreiche Ketzereien
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 448 Seiten, 24 Euro
Cork, Irland. Seniorin Maureen erschlägt einen Einbrecher mit einem Heiligen Stein. Die Leiche muss weg. Wie überhaupt alles, was den Anschein von Wohlanständigkeit stören könnte. Poetisch, direkt, kalt servierter schwarzer Humor: endlos die Spirale von gekränkter Ehre, Demütigung und Gewalt.
3(–)
Mercedes Rosende
Krokodilstränen
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, 224 Seiten, 18 Euro
Montevideo. Die sicherste Stadt Lateinamerikas, ins Chaos gestürzt von Rechtsanwältin Rosende. Heldin Úrsula frisst, Knasti Germán ist Paniker. Sie heult, er kotzt. Ihre Familie hat sie schon fast verschlungen, jetzt erbeutet sie souverän mit rosa Tasche Millionen. Leider gibt es auch Polizei.
4(6)
Claudia Piñeiro
Der Privatsekretär
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, 320 Seiten, 22 Euro
Buenos Aires, La Plata. Politiker Rovira will die Provinz Buenos Aires teilen, um dem Alsina-Fluch zu entkommen. Denn nur so kann er Präsident werden. Diesem Ziel wird alles geopfert: Frau, Freundschaft, Moral. Der Fluch Argentiniens: skrupellose Machtgier. Die frisst sogar Kinder. Ausgeklügelt böse.
5(8)
Gianrico Carofiglio
Kalter Sommer
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull.
Goldmann, 352 Seiten, 20 Euro
Bari, 1992. Während eines Bandenkriegs wird der Sohn von Mafiaboss Dreizylinder entführt und stirbt. Ein Mafioso wird Kronzeuge, die Cosa Nostra ermordet in Sizilien Borsellino und Falcone, die Polizei von Bari tappt durch Grauzonen. Zufall, Schicksal? Roman und Reflexion einiger Geschehnisse.
6(10)
Max Annas
Finsterwalde
Rowohlt, 400 Seiten, 22 Euro
Berlin, Finsterwalde. Wer nicht weiß ist, wurde vertrieben oder kaserniert, deutscher Pass hilft gar nichts. Um Kindern das Leben zu retten, flieht Ärztin Marie aus dem Lager Finsterwalde, riskiert das eigene Leben in einem Deutschland, in dem Schwarze Freiwild sind. Schöne neue Zukunft mit „Politik für Euch!“
7(–)
J. G. Ballard
Millennium People
Aus dem Englischen von Jan Bender.
Diaphanes, 352 Seiten, 20 Euro
London. David Markhams Frau wurde von einer Bombe zerrissen. Bei der Tätersuche gerät er in einen Aufstand der Mittelschicht. Sie hat den
Gesellschaftsvertrag „Verantwortung gegen gehobenen Lebensstil“ aufgekündigt. Und jagt alles Schöne/Gute in die Luft. Den Volvo und das National Film Theatre.
8(–)
D. B. Blettenberg
Falken jagen
Pendragon, 384 Seiten, 18 Euro
Thailand, Leros. Kaltes, spätes Nachspiel zum Zweiten Weltkrieg: Farang Surasak Meier soll den „Falken“ töten. Der Grieche liquidiert die Nachfahren deutscher Kriegsverbrecher, die 1943 in seinem Heimatdorf 320 Menschen umgebracht haben. Endstation der Mörderjagd: Bunkerruinen auf einer Insel in der Ägäis.
9(–)
Jo Nesbø
Macbeth
Aus dem Englischen von André Mumot.
Penguin, 624 Seiten, 24 Euro
Schottland. SWAT-Führer Macbeth und Casinochefin Lady, am Drogen-Bändel von Gangster Hecate, schalten die Polizeiführung aus. Macbeth, „Mann aus dem Volk, für das Volk“, bringt Freunde, Feinde, Kinder um. Aktuelle, atmosphärisch schlüssige Transposition des Shakespeare-Stoffs. Nesbøs bestes Buch.
10(–)
Jane Harper
Ins Dunkel
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und
Klaus Timmermann.
Rowohlt, 416 Seiten, 14,99 Euro
„Giralang Mountains“, Melbourne. Erfolgsautorin Harper ist von der Wüste („Dry“) in den kalten Regenwald gewechselt. Fünf Frauen allein in der
Wildnis, Teambuilding in einer dubiosen Wirtschaftsberatung, alte Wunden: Kann nicht gut gehen, geht nicht gut. Toxisches Aerosol: nasse Luft und Detektion.
In Klammern die Plazierung vom August oder (-) neu auf der Liste.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
cover © Verlag
Info:
Seit längerem erscheint nun in der FAS, der SONNTAGSZEITUNG der FAZ an jedem ersten Sonntag im Monat die Krimibestenliste:
Die zehn besten Kriminalromane des Monats September 2018, diesmal am 2. September
An jedem ersten Sonntag des Monats geben also 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.
Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
| Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank, „Sonntagszeitung“
| Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter Eggenberger,
„Tagesanzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ | Jutta Günther,
„Nordwestradio“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Polar Noir“ | Hannes Hintermeier,
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“| Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering,
„Spiegel Online“, „Krimi-Welt“ | Ulrich Noller, „Deutsche Welle“,
WDR | Frank Rumpel, SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |
Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“
Die Krimibestenliste ist auch auf Deutschlandfunk Kultur zu hören
www.deutschlandfunkkultur.de
Die beiden Jungen waren beide unten, da half Larry auch seine weiße Haut nicht. Er läßt sich von jedem zu den dümmsten Sachen überreden, wobei er in jede denkbare Grube fällt. Sein Vater hilft ihm nicht raus, sondern prügelt ihn rein. Nur die Mutter, die betet zu Gott um Hilfe, denn der Junge stottert und ist einsam. Bei dieser Schilderung amüsieren den Leser solche Skurillitäten wie, daß die Hühner der hilflosen und herzensguten Mutter von Larry nach den First Ladies der USA benannt sind: Eleanor Roosevelt, Rosalynn Carter, Barbara Bush, die da im Garten herumgackern und herumkacken.
Ach ja, der liebe Gott soll ihrem Sohn doch bitte einen Freund schicken, das betet sie auch, was ja für einen Sommer mit Silas auch geschah. Nun sind die Eltern tot, Larry kommt deshalb heim ins Familienhaus, geht tagsüber in die Autowerkstatt seines Vaters, wo aber niemand vorbeikommt, erst recht niemand eine Reparatur erbittet. Eine Lähmung liegt über allem. Und dann verschwindet Tina Rutherford, Kind reicher Eltern, ein hübsches junges Mädchen. Natürlich denken alle: "Der war's", denn der war es ja auch vor 25 Jahren und der Volkszorn regiert. Er wird überfallen, angeschossen. In seinem eigenen Haus. Auf seiner eigenen Terrasse. Von einem Monster. Denn Monster gibt es. Sie nehmen körperliche Gestalt an, wenn die Masse dies möglich macht.
Das kann Constable Silas Jones nicht verhindern, der sehr zögerlich in die Ermittlungen zum Verschwinden des Mädchens einsteigt und erst spät Gas aufnimmt, denn die Vergangenheit und die nie stattgefundene Ausspräche mit Larry hindern ihn. Er lebte damals unter Streß mit seiner Mutter und dem von der Polizei gesuchten Ersatzvater in einer Waldhütte, die Larrys Vater gehörte. Daher die Verbindung, daher aber auch die Abhängigkeiten und das Schweigen über Untaten der Kindheit. Und die Kunst des Tom Fanklin liegt nun darin, wie er mit der Gegenwart die Vergangenheit bloßlegt, in der die beiden Freunde sooft gegeneinander gearbeitet hatten, daß sich jeder als Feind des anderen fühlt: Verräter wie wir, hätte John le Carré dazu gesagt.
Mehr wollen wir gar nicht erzählen, denn - wie gesagt - wie Tom Franklin Wunden heilen kann und wenigstens ein Zipfelchen Gerechtigkeit in die Welt bringt, geht unter die Haut! Das braucht man angesichts der Wirklichkeit im Süden der USA von heute: Rassismus pur, denn die gesellschaftlich zurückgebliebenen Weißen brauchen Schwarze, auf die sie herabsehen können. Das ist die Mentalität des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten, auf die sich solche Leute auch noch berufen können. Ein Buch zur rechten Zeit. Aber die war schon vor 50 Jahren genauso und wird hoffentlich in 50 Jahren düstere Vergangenheit sein. Aber leider spricht dafür heute nichts.
KRIMIBESTENLISTE SEPTEMBER
1(–)
Tom Franklin
Krumme Type, krumme Type
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Pulp Master, 416 Seiten, 15,80 Euro
„Chabot“, Mississippi. Alle nennen ihn „Scary Larry“. Hat er wieder, wie vor 25 Jahren, ein Mädchen umgebracht? Constable Silas, einst eine schwarze Baseball-Hoffnung, zweifelt. Einen Sommer lang waren die beiden Außenseiter Freunde. Schweigen, Angst, Rassismus – gelähmte Gesellschaft, tolles Buch.
2(1)
Lisa McInerney
Glorreiche Ketzereien
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 448 Seiten, 24 Euro
Cork, Irland. Seniorin Maureen erschlägt einen Einbrecher mit einem Heiligen Stein. Die Leiche muss weg. Wie überhaupt alles, was den Anschein von Wohlanständigkeit stören könnte. Poetisch, direkt, kalt servierter schwarzer Humor: endlos die Spirale von gekränkter Ehre, Demütigung und Gewalt.
3(–)
Mercedes Rosende
Krokodilstränen
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, 224 Seiten, 18 Euro
Montevideo. Die sicherste Stadt Lateinamerikas, ins Chaos gestürzt von Rechtsanwältin Rosende. Heldin Úrsula frisst, Knasti Germán ist Paniker. Sie heult, er kotzt. Ihre Familie hat sie schon fast verschlungen, jetzt erbeutet sie souverän mit rosa Tasche Millionen. Leider gibt es auch Polizei.
4(6)
Claudia Piñeiro
Der Privatsekretär
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, 320 Seiten, 22 Euro
Buenos Aires, La Plata. Politiker Rovira will die Provinz Buenos Aires teilen, um dem Alsina-Fluch zu entkommen. Denn nur so kann er Präsident werden. Diesem Ziel wird alles geopfert: Frau, Freundschaft, Moral. Der Fluch Argentiniens: skrupellose Machtgier. Die frisst sogar Kinder. Ausgeklügelt böse.
5(8)
Gianrico Carofiglio
Kalter Sommer
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull.
Goldmann, 352 Seiten, 20 Euro
Bari, 1992. Während eines Bandenkriegs wird der Sohn von Mafiaboss Dreizylinder entführt und stirbt. Ein Mafioso wird Kronzeuge, die Cosa Nostra ermordet in Sizilien Borsellino und Falcone, die Polizei von Bari tappt durch Grauzonen. Zufall, Schicksal? Roman und Reflexion einiger Geschehnisse.
6(10)
Max Annas
Finsterwalde
Rowohlt, 400 Seiten, 22 Euro
Berlin, Finsterwalde. Wer nicht weiß ist, wurde vertrieben oder kaserniert, deutscher Pass hilft gar nichts. Um Kindern das Leben zu retten, flieht Ärztin Marie aus dem Lager Finsterwalde, riskiert das eigene Leben in einem Deutschland, in dem Schwarze Freiwild sind. Schöne neue Zukunft mit „Politik für Euch!“
7(–)
J. G. Ballard
Millennium People
Aus dem Englischen von Jan Bender.
Diaphanes, 352 Seiten, 20 Euro
London. David Markhams Frau wurde von einer Bombe zerrissen. Bei der Tätersuche gerät er in einen Aufstand der Mittelschicht. Sie hat den
Gesellschaftsvertrag „Verantwortung gegen gehobenen Lebensstil“ aufgekündigt. Und jagt alles Schöne/Gute in die Luft. Den Volvo und das National Film Theatre.
8(–)
D. B. Blettenberg
Falken jagen
Pendragon, 384 Seiten, 18 Euro
Thailand, Leros. Kaltes, spätes Nachspiel zum Zweiten Weltkrieg: Farang Surasak Meier soll den „Falken“ töten. Der Grieche liquidiert die Nachfahren deutscher Kriegsverbrecher, die 1943 in seinem Heimatdorf 320 Menschen umgebracht haben. Endstation der Mörderjagd: Bunkerruinen auf einer Insel in der Ägäis.
9(–)
Jo Nesbø
Macbeth
Aus dem Englischen von André Mumot.
Penguin, 624 Seiten, 24 Euro
Schottland. SWAT-Führer Macbeth und Casinochefin Lady, am Drogen-Bändel von Gangster Hecate, schalten die Polizeiführung aus. Macbeth, „Mann aus dem Volk, für das Volk“, bringt Freunde, Feinde, Kinder um. Aktuelle, atmosphärisch schlüssige Transposition des Shakespeare-Stoffs. Nesbøs bestes Buch.
10(–)
Jane Harper
Ins Dunkel
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und
Klaus Timmermann.
Rowohlt, 416 Seiten, 14,99 Euro
„Giralang Mountains“, Melbourne. Erfolgsautorin Harper ist von der Wüste („Dry“) in den kalten Regenwald gewechselt. Fünf Frauen allein in der
Wildnis, Teambuilding in einer dubiosen Wirtschaftsberatung, alte Wunden: Kann nicht gut gehen, geht nicht gut. Toxisches Aerosol: nasse Luft und Detektion.
In Klammern die Plazierung vom August oder (-) neu auf der Liste.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
cover © Verlag
Info:
Seit längerem erscheint nun in der FAS, der SONNTAGSZEITUNG der FAZ an jedem ersten Sonntag im Monat die Krimibestenliste:
Die zehn besten Kriminalromane des Monats September 2018, diesmal am 2. September
An jedem ersten Sonntag des Monats geben also 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Deutschlandfunk Kultur.
Die Jury:
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
| Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank, „Sonntagszeitung“
| Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter Eggenberger,
„Tagesanzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ | Jutta Günther,
„Nordwestradio“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Polar Noir“ | Hannes Hintermeier,
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“| Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering,
„Spiegel Online“, „Krimi-Welt“ | Ulrich Noller, „Deutsche Welle“,
WDR | Frank Rumpel, SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |
Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“
Die Krimibestenliste ist auch auf Deutschlandfunk Kultur zu hören
www.deutschlandfunkkultur.de