„Slow Horses“von Mick Herron bei Diogenes
Von Hannah Wölfel
London (Weltexpresso) - Mick Herrons vermeintlicher Spionagethriller „Slow Horses“, frei übersetzt mit „Lahme Gäule“, ist ein seltsames Buch. Bis zur Hälfte des Romans, also auf über 230 Seiten, passiert fast NICHTS - aber das wird mächtig literarisch und mit viel schwarzem britischen Humor erzählt.
„Wo haben sie ihn hingeschickt? Irgendein Drecksloch, wo es richtig schrecklich ist?“ „Schlimmer geht’s nicht.“ „O mein Gott, doch nicht in das Drecksloch, nicht Slough House?“ „Könnte sein...“ An diesen Ort werden Spione des britischen Geheimdienstes Secret Service verbannt, die in Ungnade fielen, Opfer eine Intrige wurden oder einfach mal einen Fehler begingen. Von ihrem fetten, miesrattigen Chef Jackson Lamb werden die „Lahmen Gäule“ erniedrigt und mit stumpfsinnigem Spionagekleinkram geschurigelt - ohne Hoffnung, jemals rehabilitiert zu werden. Der Autor nimmt sich sehr viel Zeit, um detailliert die heruntergekommene Bruchbude, die desillusionierten Agenten und ihre spröden Kontakte untereinander zu beschreiben. Über ihre Verfehlungen erfährt man als Leser nur wenig, für die Betroffenen selbst bleiben die Hintergründe ihrer Verbannungen kafkaesk und oft im Dunkeln. Gelegentlich blitzen melancholische Erinnerungen auf, warum die Spione, gerne Spione werden wollten...
Deren tristes Arbeitsleben ändert sich jedoch dramatisch, als ein junger pakistanischer Mann von britischen Neonazis entführt wird. Ein Videoclip mit ihm kursiert im Internet, in dem seine öffentliche Enthauptung nach 48 Stunden angekündigt wird. Auch wenn die „Lahmen Gäule“ damit gar nichts zu tun haben und erst recht nicht eingreifen dürfen, verändert die Geiselnahme ihr Verhalten und ihre Beziehungen zueinander: Einmal wird es sogar etwas erotisch zwischen einem Spion und einer Spionin. Dann läuft die Entführung aus dem Ruder, ein Agent wird enthauptet und sämtliche Pläne des Secret Service versagen. Nun galoppieren die wieder agilen Pferde - um im Bild zu bleiben - auf eigenen Hufen. Mehr wird hier nicht von den Wendungen des plötzlich sehr spannenden Romans verraten.
Die Geschichte wird aus vielen Perspektiven erzählt - aus der einzelner Agenten, des Entführten und dessen Geiselnehmern. Der Autor beschreibt dabei ein Pandämonium von dreisten Schweinereien (nicht nur) des britischen Geheimdienstes, das man sich kaum vorzustellen wagt, aber allen Beteiligten im Zeitalter des islamistischen Terrors angemessen erscheint.
Übrigens verließ ein gewisser John le Carré 1964, im „Kalten Krieg“ zwischen Ost und West, aus ähnlichen Gründen den Secret Service und schrieb fortan nur noch Agententhriller.
Foto:
© Diogenes-Verlag
Info:
Mick Herron: Slow Horses, gebunden, ca. 480 Seiten, Diogenes-Verlag, 24 Euro