Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Beschwingt kommen nicht alle. Eher die, denen dann doch nicht so wichtig ist, welcher und welche der sechs ausgewählten Schriftsteller diesmal der primus inter pares ist, oder bei vier Frauen und nur zwei ( so wenige gab es in der Auswahl noch nie) die prima inter pares. Und da sich die Personen und ihre Romane – hierin gehören nur Romane, keine Sachbücher, keine Essays, keine Gedichte – jedes Jahr ändern, hat es schon etwas Sicheres und Heimeliges, daß das Verfahren sich in jedem Jahr gleich.
Das einzige, was sich außer den wechselnden Autoren und der Publikumszusammensetzung, die allerdings auch zu ca. 95 Prozent gleich bleibt, änderte, ist die Moderatorin, die nach über zehn Jahren Gert Scobel abgelöst hat und nun Cécile Schortmann ist, die tatsächlich auch die Funktion der Gastgeberin übernehmen darf. Also ein wichtiges Amt, das sie in flaschengrünem Kleid locker bewältigte. Obwohl wir sonst natürlich ablehnen, daß ausgerechnet bei Frauen von Kleiderfarben gesprochen wird, wo es doch um Literatur geht, hat diese Aussage deshalb eine Bedeutung, weil die auf die Bühne gebetene Sprecherin der diesjährigen Jury des Deutschen Buchpreises Christine Lötscher in einem feuerroten Kleid auftrat, was in dem ehrwürdigen Kaisersaal doch wie ein Fanal erschien: Rot und Grün und natürlich politisch gemeint ist, schließlich sind demnächst hessische Landtagswahlen.
Wer sich politisch und in Wien auskennt, muß bei Rot und Grün allerdings an den dortigen Kinderreim denken: Rot, gelb, grün sind die Narr‘n von Wien, was eindeutig auf den Kasperle und sein Kostüm geht. Der Österreichische Buchpreis, der kommt erst noch. Bisher sind 13 Titel nominiert, am 9. Oktober werden diese ausgedünnt und am 5. November zur BUCH WIEN wird der Gewinner bekanntgegeben.
Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig kam in ihrem Grußwort auf Elias Canetti zu sprechen und seinen Aufenthalt in Frankfurt. Seltsam, wie wenige das wissen, auch in der Stadt selbst. Er sagte: „In einer wirklich schönen Stadt lässt sich auf die Dauer nicht leben - sie nimmt einem die Sehnsucht.“ Schon mit 16 Jahren war er mit der verwitweten Mutter und zwei Brüdern ins Frankfurter Westend gezogen, was vornehm war. Das Vorübergehende, was mehr als drei Jahre einschließlich des Abiturs am Wöhler-Gymnasium hielt, kam auch dadurch zum Ausdruck, daß die Familie in eine Pension zog, woraus später das Hotel Palmenhof wurde. Eine Gedenktafel erinnert daran.
Um Canettis Wohnen ging es auch in den Zitaten von Ina Hartwig, die den Anwesenden wünschte, die Hotels mögen den literarischen Energien nicht abträglich sein. Der politisch Wache hatte allerdings hier noch ganz andere Assoziationen. Denn der Bewerber um das Amt des Hessischen Ministerpräsidenten, Thorsten Schäfer-Gümbel hatte gerade Wien ob seines historisch einmaligen sinnvollen und formschönen sozialen Wohnungsbaus besucht und dabei auch die neu entstehende sogenannte Seestadt Aspern als Modell bewundert. Ganz neu sind die Studien, daß Hessen unter den Flächenstaaten das Bundesland ist, in dem am wenigstens gebaut wurde und die Wohnungsnot für bezahlbaren Wohnraum am höchsten ist. Doch das sind die Gedanken der Zuhörerin.
Denn im Kaisersaal waltete nun Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, der, der Buchhandel, nicht nur Auslober des Preises, Besteller der Jury des Buchpreises, sondern auch Inhaber und Veranstalter der Frankfurter Buchmesse ist, es waltete also Riethmüller seines Amtes und hielt die Ansprache zur Preisverleihung. Dazu muß einfach die Aufforderung zum Lesen und zum Mehr-Lesen gehören. Interessant: Wie man weiß, nimmt die Zahl der Buchkäufe ab, was Riethmüller aber so erklärte: Es gibt weniger Käufer, aber die kaufen mehr Bücher, was ja positiv klingt.
Im Gespräch zwischen Moderatorin und Sprecherin der Jury ging es dann hauptsächlich um die Dialektik Vergangenheit und Gegenwart in den ausgewählten Romanen. Was hier nicht mehr thematisiert wurde und auch im Vorfeld nicht angegriffen wurde, war die Tatsache, daß die Jury für ihre diesjährige Sechserliste doch eine inhaltliche Vorgabe gemacht hatte, ohne die die Auswahl auf diese Sechs nicht zu erklären wäre: das Heimische in der Fremde, die fremde Heimat, die Gegenwart durch die Vergangenheit erklären, die Vergangenheit als Spiegel des Gewordenen zu nutzen, um schärfer das Heutige zu erkennen und einordnen zu lassen. Also mit einem Wort: Sicherheit der Gegenwart durch den historischen Raum des Gewordenen. Zusammenfassend die Frage von Cécile Schortmann: „Was ist gegenwärtig in diesen Romanen?“ und der Antwort von Christine Lötscher: „Die Vergangenheit ist eine Art Raum, in dem die Gegenwart lebt.“
Wie angenehm Rituale sind, manchmal sein können, zeigte sich dann wieder einmal in der Würdigung der sechs nominierten Romane. Denn dies geschieht auf doppelte Weise: Zum einen werden die Anfänge der jeweiligen Bücher vorgelesen, was souverän wieder Marc Oliver Schulze, Schauspieler und Hörbuchsprecher leistete. Zum anderen gibt es zu jedem Autor einen durch die Deutsche Welle hergestellten Film, in dem einer der Jurymitglieder das Buch und seinen Verfasser vorstellt. Das geschieht leicht, luftig, oft witzig und gibt wirklich Einblicke in das Geschehen der Bücher sowie eine Ahnung von den Autoren.
Hier ging es um die nominierten Romane und ihre Verfasser
María Cecilia Barbetta, „Nachtleuchten“ (S. Fischer)
Maxim Biller, „Sechs Koffer“ (Kiepenheuer & Witsch)
Nino Haratischwili, „Die Katze und der General“ (Frankfurter Verlagsanstalt)
Inger-Maria Mahlke, „Archipel“ (Rowohlt)
Susanne Röckel, „Der Vogelgott“ (Jung und Jung) und
Stephan Thome, „Gott der Barbaren“ (Suhrkamp).
Fünf von ihnen werden den Trostpreis von 2 500 Euro erhalten. Bei den Verlagen sind buchpreisbewährte dabei: Suhrkamp hat ihn schon viermal erhalten, Thome ist das dritte Mal nominiert. Der Salzburger Verlag Jung und Jung hatte schon zwei Buchpreisträgerinnen, S.Fischer, Frankfurter Verlagsanstalt und Rowohlt bis dato einen Buchpreisträger, Kiepenheuer & Witsch, immer bei den langen und kurzen Buchpreislisten dabei, noch keinen Gewinner, denn 2011 hatte die Jury DAS MÄDCHEN von Angelika Klüssendorf nicht mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, was von heute her erst recht ein Fehler ist, so gut ist das Buch. Das ihre Trilogie abschließende JAHRE SPÄTER blieb bei den zwanzig Ausgewählten zurück.
Zurück zur Veranstaltung: Dann kommt erst die Stille, die Verkündung des diesjährigen Preisträgers, ganz ganz kurze Stille, dann lauter Beifall und teils glückliche, teils betroffene Gesichter. Die Preisträgerin Inger-Maria Mahlke mit ARCHIPEL aus dem Rowohlt Verlag blieb souverän und kam bei der äußerst kurzen Ansprache und Dankesrede auf das buchpolitisch derzeit wichtigste Thema zu sprechen. Wie nämlich der Holtzbrinckkonzern, dem der Verlag Rowohlt gehört, sich seiner noch dazu erfolgreichen Verlagschefin entledigt hat und einen...das ist ein anderes Thema und natürlich wurden hier vor dem Mikrophon (leider) keine Konzernnamen genannt. Nur den der nun geschaßten, bisherigen verlegerischen Geschäftsführerin Barbara Laugwitz.
Ihr „Ich möchte Barbara Laugwitz danken“ war auch deshalb so eindrucksvoll, weil sie es inhaltlich begründete mit deren Einsatz für Bücher und ihre Autoren, denn Barbara Laugwitz wisse um die fragilen Zustände von Autorenleben und dem Schreiben von Büchern. Dem setzte sie unter lautem Beifall noch eins drauf: „Ein Buch ist kein Joghurt, ein Buch ist.... und „Ich möchte allen danken, die wissen, daß es einen Unterschied gibt zwischen Büchern und Joghurt.“
Foto:
Die Preisträgerin im Kaisersaal
© deutschlandfunk.de
Die Preisträgerin im Kaisersaal
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