DUNKLE GEWÄSSER von Joe R. Lansdale im Verlag Tropen/ Klett-Cotta
Claudia Schulmerich
Hamburg (Weltexpresso) – Nein, Hamburg liegt nicht auf der Lesetour des amerikanischen Autors und Hamburg wäre in seiner Größe, Aufgeräumtheit und Zivilisiertheit auch so etwa das Gegenteil von dem texanischen Gladewater, in dem Joe R. Lansdale geboren ist und wo er in DUNKLE GEWÄSSER seine vier Getreuen Zuflucht finden läßt, bevor sie sich ins offene Land der Vereinigten Staaten trauen.
DUNKKLE GEWÄSSER ist ein sich von alleine weiterlesender Roman, der dahinfließt wie der träge Fluß Sabine, der auf einmal zum reißenden Strom wird, tödliche Strudel bildet und dann wieder zum Bilderbuchfluß wird. DUNKLE GEWÄSSER ist nur eines nicht, ein Kriminalroman. Aber was heißt das schon? Tote gibt es genug, vor allem aber ein derart poetisches Abgehobensein von eins, zwei, drei Jugendlichen und dann dieser wunderbaren Mutter, Helen, die erst die letzte Schnepfe ist, süchtig und ihre Tochter dem Liebhaber ausliefernd, den die Tochter noch dazu für ihren leiblichen Vater halten muß, und die dann aus eigener Kraft sich selbst aus dem Bett erhebt, flieht und ihren eigenen Weg geht und die Menschlein um sich herum zum Guten bewegt. Kein Wunder, daß jeder sie um sich haben will, diese schöne und gute Frau, der noch ein Wunder gelungen ist: eine Tochter, die rotznäsig Weisheit mit Zivilcourage verbindet und Tatkraft, genau, denn sie überlegt nicht nur, sondern sie handelt, diese Sue Ellen.
Und mit ihr beginnt dieser Sommerroman, der statt der Helden Tom Sawyer und Huckleberry Finn nun zwei Mädchen und einen schönen schwulen Knaben zu jugendlichen Helden hat. Und außerdem ist das Trio, dem sich die Mama der Sue Ellen anschließt, was im Geschehen wichtig wird, wie aus einem US-amerikanischen Film entsprungen, wenn diese nämlich so etwas wie Märchen der Brüder Grimm verfilmen, etwa wie gegenwärtig HÄNSEL & GRETEL. Es wird also nicht nur geflucht, was die Schwarte kracht, sondern mit Beil und Pistole sowie Messer das eigene Leben verteidigt, denn alle Morde, besser Totschläge, die geschehen und das sind etliche, geschehen in Notwehr und auch, um die Welt zu einem besseren, heileren Ort zu machen, denn es sind immer die Schlimmen, die dran glauben müssen. Nur der Reverend, aber das ist eine andere Geschichte...
Die richtige Geschichte erzählt Joe R. Lansdale in einem so lakonischen wie grausig selbstverständlichen Ton, in der die pubertierende Sue Ellen, durchgehend Icherzählerin, beginnt: „In jenem Sommer hörte Daddy auf, Fische mit dem Telefon oder mit Dynamit zu fangen, stattdessen vergiftete er sie mit grünen Wahlnüssen.“ Das ist ein Prinzip der Erzählerin, daß sie den Teufel mit dem Beelzebub austreibt und wir von einem Schock in den nächsten fallen, wenn die Phantasie die Worte in Bilder umsetzt. Und es ist ein weiteres Prinzip der Erzählerin, daß sie uns geschickt in den Fluß ihrer Geschichte mitnimmt, in dem sie selbst den anderen Personen, oft Autoritätspersonen, denen sie gehorchen müßte, weil sie sonst geschlagen wird, daß sie diesen Personen immer heftig zustimmt, was diese geneigt macht, um mit dem eigenen Vorschlag fortzufahren, der in der Regel just das Gegenteil dessen ist, was diese Personen sagten.
Die sind aber erstens schon vom Lob eingelullt und zweitens viel dümmer als unsere gescheite auktoriale Erzählerin und merken gar nicht, wie sie ihr auf den Leim gingen, diesem frühreifen Früchtchen, das so mutig und selbstvergessen für ihre Lieben ficht, daß man sie schon deshalb lieb gewinnt, genauso wie für ihre hintertrieben-ehrliche Art, wo ihr der Autor gehörig Vorlagen liefert und wohl öfter auch gute Ratschläge gab, denn sie kommt durch, durch die Finsternis ihrer Welt.
Worum es geht? Na, gut, auch die Geschichte, aber in Kurzfassung. Wir lernen May Lynn kennen, allerdings leider nur als Tote. Sie war das schönste Mädchen der Gegend und wäre sicher morgen in Hollywood gelandet. Geld spielt auch eine Rolle, das niemand in der gottverlassenen Gegend überhaupt hat und das als Schatz nun von Sue Ellen gefunden wird und ihrem schwulen Freund Terry und der herrlichen Jinx, einem schwarzen Mädchen, das verbal sogar unserer Sue Ellen noch den Schneid abkauft.
Da gab es mal im Fernsehen vor einer Ewigkeit eine alte amerikanische Serie mit einer kleinen schwarzen Hauptdarstellerin, die schob sich beim Lesen immer über Jinx, was befeuernd wirkte, weil das Antiautoritäre so durchschlägt. Und wir sind wieder in unsere eigene Falle getappt und wollen pausenlos über die Protagonisten spekulieren und über den wundersamen Stil, in dem Joe R. Lansdale die Geschichte und die Psyche der Personen vor uns ausbreitet. Denn tatsächlich ist das das Eigentliche am Buch. Aber die Geschichte tut's auch. Sie ist herrlich skurril und nie geträumt, sondern immer nachvollziehbar. Selbst mit der Fabelfigur Skunk, einem sagenumwobenen Killer, der es dann tatsächlich gibt und der zur eigentlichen Herausforderung wird.
Also, das Trio zieht die Leiche der Freundin aus dem Wasser, beerdigen sie, buddeln sie wieder aus, weil sie ihren Lebenswunsch der Toten erfüllen wollen: nach Hollywood, wozu sie die Leiche verbrennen und die Tasche wie ihre Augäpfel genauso wie die über 1000 Pfund, die sie getreu dem Tagebuch der Verblichenen ausbuddeln. Beides, die Asche und das Geld, wird in Gläsern im Schmalztopf durch unglaubliche Widrigkeiten durch die Welt getragen, mit lieben Pfarrern und bösartigen Schurken, durch Wind und Wetter und Sturm und was die Natur noch leisten kann, um Sue Ellen und die ihren vom Wege abzubringen. Aber das gelingt nicht, stattdessen endet das Buch damit, daß nun der Weg für die vier ins freie Leben - und das heißt erst mal, Asche ausstreuen in Hollywood - geebnet ist.
Wir kannten Joe R. Lansdale von KAHLSCHLAG, GAUKLER SOMMER, WILDER WINTER und RUMBLE TUMBLE: Richtig; geschrieben hat er noch viel mehr, aber allein diese vier von uns gelesenen Bücher bewirkten, daß wir inmitten der neuen Krimis sofort zu diesem griffen und ihn als ersten Roman lasen. Ein größeres Lob können wir ihm nicht zollen und daß er auf Anhieb auf Platz 2 der KrimiBestenliste geriet, das hat eben Gründe, die Sie oben nachlesen können.
Info:
Lesereise Joe R.. Lansdale mit Live-Musik von seiner Tochter Kasey Lansdale im März 2013
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März, English Theatre Berlin 20 Uhr
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März, naTo Kulturzentrum Leipzig, 22 Uhr
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März, Kulissen der SOKO Stuttgart – ausverkauft!,.17 Uhr
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März, Posthof – Zeitkultur am Hafen, Linz/Österreich, 20 Uhr
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März, Situation Kunst KUBUS, Bochum, 19 Uhr
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März, Amerikahaus München, 20 Uhr
Joe R. Lansdale, DUNKLE GEWÄSSER, Verlag Tropen/ Klett-Cotta