Der Bücherzettel für den Sommer 2019 bietet spannenden Lesestoff, Teil 2
Thomas Scheben
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Während in unseren frankophonen Nachbarländern der Comic-Strip längst über die Grenzen der leichten Unterhaltungslektüre in das Reich der Sachliteratur vorgedrungen ist und von ausgewiesenen Fachautoren zur unterhaltsamen, aber seriösen historischen Bildung eingesetzt wird, steckt dieses Genre hierzulande noch in den Kinderschuhen. Seinen zweiten Versuch in diese Richtung unternimmt das Autoren-Duo Christopher Tauber und Annelie Wagner nun mit einem Blick auf das Ende des Ersten Weltkrieges und den Aufbruch der Frauenbewegung in Frankfurt am Main.
Zwar haben darin auch Ikonen der Frauenbewegung wie Tony Sender und Meta Quark-Hammerschlag ihren Auftritt und werden im Anhang mit kurzen Porträts gewürdigt. Da der Band sich aber in erster Linie an ein junges Lesepublikum richtet, wird die Geschichte auch aus der Perspektive der jugendlichen Protagonisten erzählt. Vor dem Hintergrund des von Sorgen um Angehörige und materieller Not geprägten Alltags finden sich einige Mädchen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten zusammen, um sich den Drangsalierungen durch Jungens-Banden zur Wehr zu setzen, die sich vor allem in Städten gebildet hatten. Sie setzen dabei freilich nicht auf Gewalt gegen Gewalt, sondern – unterstützt von erwachsenen Frauenrechtlerinnen – auf Solidarität und Überzeugung.
Auch wenn viele der komplexen Zusammenhänge zwangsläufig ausgeblendet oder nur angerissen werden, gelingt es Zeichner und Texterin auch bei diesem Band, die Aufbruchstimmung dieses historischen Augenblicks einzufangen, als vielen Frauen und eben auch Mädchen klar wurde, dass nun der Moment gekommen war, etwas zu ändern , wenn sich die Frauen in den sich anbahnenden gesellschaftlichen Umwälzungen behaupten und ihre Lage verändern wollten.
Christopher Tauber / Annelie Wagner: Heraus aus der Finsternis, Zwerchfell-Verlag 2018, 51 S, 12 Euro
Handwerker in der Handelsstadt
Im Allgemeinen hatte sich Frankfurt seit dem Mittelalter einen Ruf als Stadt des Handels, der Messen und des Geldes erworben. Tatsächlich aber ging ein beträchtlicher Teil seiner damals rund 10.000 Einwohner einer breiten Palette von Handwerksberufen nach, die in den berufsständischen Organisationen der Zünfte zusammengeschlossen waren. Der Rolle dieser Zünfte im Frankfurt des 14. und 15. Jahrhunderts geht die Autorin anhand mittelalterlicher Originalquellen nach.
Diese geben Aufschluss über die Stellung und den Einfluss dieser bis ins 19. Jahrhundert fortbestehenden Korporationen auf das Wirtschaftsleben, die Betriebsorganisation der Handwerker bis hinein in das Privat- und Familienleben und das politische Gefüge der Stadtgesellschaft. Dabei arbeitet die Autorin sehr nahe an ihren Quellen, über deren Aussagekraft man dabei einiges erfährt, lässt diese auch selbst zu Wort kommen und macht ihre Analysen mit zeitgenössischen Illustrationen, Tabellen und Grafiken anschaulich.
So entsteht ein ebenso lebendiges wie authentisches Bild mittelalterlichen Wirtschafts- und Alltagslebens sowie der politischen Verfassung und Organe der spätmittelalterlichen Mainmetropole, das trotz seiner wissenschaftlichen Exaktheit obendrein eine ausgesprochen kurzweilige Lektüre bietet.
Ellen Diehm: Handwerkerzünfte im spätmittelalterlichen Frankfurt, Societäts-Verlag 2019, 349 S., 30 Euro
Die Puppe, der Krieg und der Mord
Im dritten Jahr des Ersten Weltkriegs wird in einer Frankfurter Pension eine Puppe in einem Sarg gefunden. Sie ist einer dort lebenden Schauspielerin täuschend ähnlich. Ein übler Scherz? Oder gar eine Morddrohung? Eine ebenfalls in der Pension wohnende Ärztin ruft ihre kriminalistisch versierte Freundin aus Wien zu Hilfe; dort hatte sich das Duo schon in früheren Büchern der Autorin als Ermittler betätigt. Während die zwei Frauen den Fall eher von der psychologischen Seite angehen, setzen die Polizisten auf die klassischen Mittel ihres Milieus, um sich aus unterschiedlichen Perspektiven gemeinsam der schließlich überraschenden Lösung des Falles anzunähern.
Der Autorin gelingt ein atmosphärisch glaubwürdiges Stadtbild Frankfurts im Kriegsjahr 1917, das sich auf das jüdisch geprägte Ostend, das pazifistisch ausgerichtete Kunst- und Literatenmilieu und die Theaterszene fokussiert. Erscheint der Krieg zunächst noch wie ein Hintergrundrauschen, wird im Laufe der Lektüre immer deutlicher, dass er erst die Bedingungen geschaffen hat, die diesen Fall überhaupt erst in die Welt gesetzt haben. Eine Welt, in der vor allem Frauen fernab der Front zusehen mussten, wie sie mit dessen Nöten, Hunger, Knappheiten, Tod und Verwundung der Männer fertig werden und ihre Familien über die Runden bringen mussten – und wie manchen von ihnen darob ihr Leben entgleitet und in einem Kriminalfall mündet.
Ulrike Ladnar: Frankfurter Szenen, Gmeiner 2017, 408 S., 14,99 Euro
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