Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Wenn jemand das dritte Mal dabei ist, jetzt auf Platz 5, dann weiß man schon, daß demnächst Schluß ist mit einem Platz auf der Krimibestenliste. Deshalb wollen wir noch einmal LIZA CODY groß herausstellen, die eine so eigene Schreibe hat, bzw. deren Protagonisten so in der Welt schweben, daß man um sie ganz schön Angst haben muß. So auch Amy in BALLADE EINER VERGESSENEN TOTEN, Ariadne Argument Verlag, Amy, deren Einführung im Buch die Autorin unter der Überschrift ..“Der Stamm der Ausrangierten“ uns sofort traurig sein läßt: „ Es war einmal eine Frau, weder alt noch jung, weder klein noch groß, weder hinreißend noch häßlich. Wobei sie besser aussehen kann als heute. Ihre Haut ist trocken und stumpf, denn sie hat keinen Nerv für Peelings und Cremes. Ihre Haltung ist schlecht, denn sie kann der Welt nicht mit gehobenem Kinn und geraden Schultern entgegentreten. Ein neuer Büstenhalter stünde ihr gut, aber sie bringt es nicht fertig, in eine Umkleidekabine zu gehen und ihren ungeliebten Körper zu sehen. Heute immerhin ist Amy tapferer also sonst...“ Und dann erfahren wir und, aha, verstehen: „ Das ist die Frau, die Graig ausrangiert hat, ha-ha. Er hatte sie satt. Er hat jetzt eine Jüngere, schicker, begabter. Heißer.“(Seite 18)
Noch trauriger allerdings werden wir, wenn wir das Schicksal des jungen, im besten Sinn des Wortes unschuldigen Mädchens erfahren, über die Amy schreiben will und tatsächlich ihre eigenen Probleme weithin vergißt: Elly Astoria mit der 25 Jahre früher der Roman beginnt. Da sind wir in der Thatcher Ära und es geht hart zu. Doch das Private mit dem Politischen zu verbinden, geht hier unter der Hand. Beim Lesen wird einem wieder in Erinnerung gerufen, wieviel wichtiger als heute damals Popstars waren und daß man sie kannte und eine gegenseitige Konkurrenz darstellten. Denn es gab hier wie in Großbritannien – der Roman spielt in London – noch die Bestenlisten der Schlager, der Songs, der Gruppen, denn meist waren es damals Gruppen, die die Massen begeisterten.
Während des Lesens fällt es noch nicht so auf, wie im Nachhinein, daß man hier eine hervorragende Darstellung der damaligen musikalischen Welt erhält. Und in diese Welt plumpst mit Karacho die kleine Elly Astoria, die von sich sagt, sie sei schon 18 Jahre, aber noch in allem ein Kind ist. Aber ein begabtes und selbstloses und von daher in der Darstellung ein kleiner Engel mit einer wunderschönen Stimme, vor allem einer umfassenden Musikalität, die natürlich das absolute Gehör einschließt. Sie ist nur auf das Bessermachen der Welt aus, die zu Hause mit der Pflege ihrer kranken, nämlich alkoholkranken Mutter anfängt. Und dann eher zufällig gerät sie an diese Frauenband.
Schon alleine wie subtil diese Frauen dargestellt sind, mit allen Klischees wie Lesben und dunkelhäutige Mutterfiguren, die aber als individuelle Personen dargestellt sind. Sie alle buhlen um Elly – aber, um es gleich zu sagen, denn es paßt nicht zu diesem überhaupt nicht konkurrenten, liebevollen und musikgetränktem Mädchen, sie wird gleich zu Beginn auf die allerschlimmste Weise, also bestialisch ermordet. Das ist schwer zu ertragen. Und auch, wenn es 25 Jahre her ist, schaudert es einem beim nochmaligen viel späteren Lesen genauso, daß dieser extrem blutige Mord geschehen ist. Und nie aufgeklärt wurde. Zwar gab es Verdächtige und einer wurde auch schuldig gesprochen, doch er war es nicht.
Amy will über Elly Astoria unbedingt schreiben. Aber nicht über den Mord, sondern über die Sängerin, die aus dem Nichts kam, mit einem Schlag die Musikwelt durcheinanderwirbelte, einen Song schrieb und sang, der sie ganz vorne auf die Hitliste brachte und den Amy zufällig diese 25 Jahre später wiederhört, sich an damals erinnert und sich wundert, wie nahe ihr das Gehörte heute so viele Jahre später geht: Was Elly hört, trifft genau ihr verwundetes Herz. Das ist aber nur die Ausgangssituation. Der Roman handelt davon, wie sie das Leben und die kurze musikalische Karriere von Elly recherchiert, um diese Biographie schreiben zu können. Dazu muß sie natürlich die Menschen, die Elly kannten, aufsuchen. Die sind aber großenteils verschwunden, denn die Band löste sich schnell auf.
Das sind aber nur die Frauen, die interessanten; eine Hauptrolle spielt dann aber ein Geschwisterpaar, die unglaublich gut dargestellt sind, gerade in ihrem Aufeinanderbezogensein. Ein glaubwürdig als Charmeur beschriebener Bruder, der sich mit allen Tricks der Rechte des jungen musikalischen Talents versichert, sie, die Unbedarfte, Verträge unterschreiben läßt, nein schlimmer, er läßt sie leere Papiere unterschreiben, worauf er später die Inhalte schreibt, die ihn begünstigen und sie fast leer ausgehen lassen. Unglaubliche Zustände, die man sofort glaubt.
Die Verführung, die Liza Cody mit uns treibt, liegt darin, daß sie, die keinen Krimi schreiben will und nichts mit der Klärung des Mordes an Elly zu tun haben will, noch kurz vor Schluß schreibt sie das ausdrücklich, dann doch immer darauf zurückgeworden wird, es tun zu müssen. Denn ihre Recherchen entwickeln sich dorthin – gegen ihren Wunsch und Willen sozusagen. Das ist ein spannender Vorgang, wie überhaupt der ganze Roman eine Freude ist, die auch deshalb wirkt, weil wir ja mit sehr traurigen Verhältnissen zu tun haben.
So, das mußte gesagt werden, bis es mit der diesjmonatlichen Krimibestenliste in den nächsten Artikeln weitergeht.
KRIMIBESTENLISTE AUGUST
1(–) Garry Disher Kaltes Licht
Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, 314 Seiten, 22 Euro
Melbourne. Nach fünf Jahren Langeweile als Pensionär ist Alan Auhl zurück im Polizeidienst. Mit der Lässigkeit der Erfahrung lotet er die Grenzen des Gesetzes aus, packt zu, wo Solidarität fehlt. Heiteres Lob eines coolen Alten, der menschliche Bosheit stellt, wie immer sie getarnt sei. Brillant.
2(2) Friedrich Ani All die unbewohnten Zimmer
Suhrkamp, 495 Seiten, 22 Euro
München. Die Augenzeugen stumm, die Täter glauben sich im Recht, die besorgten Rassisten bereiten den nächsten Schritt vor. Zwei tote Polizisten, verdächtigte Flüchtlingskinder, da braucht es alle Ermittler: Tabor Süden, Polonius Fischer, neu Fariza Nasri. Der Irrsinn nimmt zu, Ani hält dagegen.
3(–) Max Annas Morduntersuchungskommission
Rowohlt, 352 Seiten, 20 Euro
DDR, 1983. Ermittlungen im geschlossenen System. An der Bahnstrecke zwischen Jena und Saalfeld liegt der Leichnam eines afrikanischen Vertragsarbeiters, zerfetzt, geköpft. Otto Castorp, MUK Gera, lässt nicht los, trotz politischen Ermittlungsverbots. Und entdeckt, was es in der DDR nicht geben kann: Nazis.
4(–) Nicholas Searle Der Sprengsatz
Aus dem Englischen von Jan Schönherr.
Kindler, 304 Seiten, 20 Euro
Nordengland. Einmal hat Jake Winter einem V-Mann getraut: 63 Tote hat der in die Luft gesprengt. Beim zweiten Mal soll es anders laufen. Doch während Jake Muster islamistischer Verschwörung analysiert, übersieht er, dass ihm selbst die Rolle des Sündenbocks zugedacht ist.
5(3) Liza Cody Ballade einer vergessenen Toten
Aus dem Englischen von Martin Grundmann. Ariadne im Argument-Verlag, 416 Seiten, 22 Euro.
London, Las Vegas, achtziger Jahre, heute. Elly, absolutes Gehör, Komponistin für die halbe Popwelt, mit fünfzehn Jahren bestialisch ermordet. Amy rekonstruiert ihre Geschichte: kindliches Genie in wahnwitziger Musikindustrie. Egoistische Schwestern, bizarre Mütter, scheinmächtige Kerle. Faszinierend.
6(7) Georges Simenon Maigret im Haus der Unruhe
Aus dem Französischen von Thomas Bodmer. Kampa, 220 Seiten, 16,90 Euro
Paris. Kommissar Maigrets allererster Fall, noch von einem „Georges Sim“ verfasst, erstmals auf Deutsch. Nächtens gesteht eine junge Frau einen Mord, als Maigret sich umdreht, ist sie verschwunden. Mit großer Geduld belagert Maigret eine Familie in ihrem Wahn, bis die Wahrheit aufbricht.
7(–) Adrian McKinty Cold Water
Aus dem Englischen von Peter Torberg. Suhrkamp Nova, 378 Seiten, 15,95 Euro
Carrickfergus, Stranraer 1990. Frau und Kind sind schon in Schottland, Duffy arbeitet an seinem letzten Fall. Er will das Verschwinden eines 15-jährigen Travellermädchens aufklären – verdächtig sind Männer der Oberschicht. Doch so sozialpathetisch geht es nicht aus. Komplex, schlau: die Duffy-Serie.
8(–) Tawni O’Dell Wenn Engel brennen
Aus dem Englischen von Daisy Dunkel. Ariadne im Argument-Verlag, 350 Seiten, 21 Euro
Pennsylvania. Leicht mit Problemen umgehen kann Chief Carnahan. Seien es verschreckte Mütter, renitente Redneckfamilien oder Mädchen, die in brennenden Minen stecken. Hat sie doch selbst ihr Gewaltpotential nicht immer kontrolliert. Feministisch, realistisch: Matriarchat kann Elend verschärfen.
9(5) Mike Nicol Sleeper
Aus dem Englischen von Mechthild Barth. btb, 512 Seiten, 10 Euro
Kapstadt. HEU, waffenfähiges Uran, ist es, was Isis, die Iraner, die Amerikaner, die Chinesen, die Russen wollen. Und die Südafrikaner verkaufen es gerne, illegal. Glimmender Hintergrund, vor dem all die schlafenden Geheimdiensthunde erwachen und Fish Pescado und Vicky Kahn um ihr Leben kämpfen.
10(–) George Pelecanos Prisoners
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Ars Vivendi, 230 Seiten, 18 Euro
Washington, D.C. Michael Hudson, Leseratte dank Knastbibliothek, glaubt an ein besseres Leben. Privatdetektiv Ornazian lotst ihn raus. Dafür soll Michael die Fluchtwagen steuern, wenn er und sein Kumpel Ward Kriminelle ausnehmen. Mann auf der Kante unter Dealern, Neonazis und Überlebenskämpfern.