Monika Schwarz-Friesel, Judenhass im Internet. Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl ,im Verlag Hentrich & Hentrich
Elvira Grözinger
Berlin (Weltexpresso) - Der schmale Band hat es in sich! Knapp und bündig wird eine Auslese an geistiger Finsternis, wie sie sich im digitalen Zeitalter präsentiert und in zehn Kapiteln anschaulich, zuweilen lakonisch, aber nicht minder eindrücklich, analysiert.
Monika Schwarz-Friesel, die Kognitionswissenschaftlerin an der TU Berlin, nicht mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung verbunden, ist heute die führende Antisemitismusexpertin Deutschlands. Während sich das ZfA entgegen seinem Gründungsziel immer mehr von der Erforschung des Antisemitismus entfernt und auf die „vergleichende Vorurteilsforschung“ verlegt, legte die Autorin in den letzten Jahren in Buchform mehrere grundlegende Forschungsergebnisse zum Antisemitismus dar, die das Zentrum in den Schatten stellen. Finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, konnte Prof. Schwarz-Friesel empirische Studien zum Thema „Artikulation, Tradierung, Verbreitung und Manifestation von Judenhass auf World Wide Web“ durchführen, die einen normativen Charakter haben. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind weder erfreulich noch beruhigend. Sie bestätigt das, was die jüdische Gemeinschaft in Deutschland seit einigen Jahren subjektiv und zunehmend empfindet: Das gefühlte Unbehagen und die reale Bedrohung gehen Hand in Hand.
Schwarz-Friesel und ihr Team haben die täglich und unaufhörlich in den sozialen Netzwerken und im gesamten Kommunikationsraum verbreiteten antisemitischen Texte, Bilder, Audiodateien und Videos systematisch untersucht und ausgewertet – ihr Fazit: „Jeden Tag werden Tausende neue Antisemitismen gepostet und ergänzen die seit Jahren im Netz gespeicherten und einsehbaren judenfeindlichen Texte, Bilder und Videos. Es gibt kaum noch einen Diskursbereich im Netz 2.0 in dem Nutzer nicht Gefahr laufen, auf antisemitische Texte zu stoßen, auch wenn sie nicht aktiv danach suchen [...] Antisemitismen haben im digitalen Zeitalter zugenommen: Im Zehnjahres-Vergleich hat sich etwa die Anzahl der antisemitischen Online-Kommentare zu Ausgaben der Mainstreampresse zwischen 2007 und 2018 vervierfacht [...] Die klassische Judenfeindschaft ist nach wie vor die primäre Basis des aktuellen Judenhasses [...]“. (S. 16)
Die Forscherin stellt fest, dass über 50 aller Antisemitismen in den großen Datensammlungen der alltäglichen Kommunikationsprozesse klassische Stereotype aufweisen, wie wir sie aus der klassischen Judenfeindschaft kennen: Judeophobe Verschwörungsphantasien gehen einher mit dem israelbezogenen Antisemitismus (Israel als Landräuber, als Unrechts-, Kolonial- oder Apartheidstaat, als rassistisches Regime, Land der Kindermörder, usw.). Hier findet der Leser eindeutige Hinweise auf den Ursprung dieser Hassattribute, nämlich auf die arabische und muslimisch-geprägte antiisraelische Propaganda, die aber bemerkenswerter Weise ausgerechnet hierzulande auf besonders empfänglichen Boden fällt. Der Selbstentlastungsdrang eines mit der eigenen geschichtlichen Last nicht ins Reine gekommenen Volkes ist in Mails wie diesen an den Zentralrat der Juden in Deutschland vom 16. Mail 2018, mit Namen und Anschrift, offensichtlich: „Lieber Zentralrat, Sie sind ja die Institution, die bei geringsten Vorkommnissen in Deutschland mahnend den Finger hebt... Aber ihr, die Juden, die Blut an den Händen habt, Frauen und Kinder umbringt, ... habt kein Recht Deutschland zu verurteilen.“ (S. 20)
Das erschreckende dabei, die allgemeine Enthemmung, die in den Netzforen zu sehen ist, sich hier potenziert und auf ein einziges Hassobjekt konzentriert, die Juden: „Ein ausgeprägter Vernichtungswille in Bezug auf den jüdischen Staat, der die Dimension des eliminatorischen Antisemitismus weiterträgt, ist zu erkennen.“ (S.17) Und das kollektive Gefühlswert des Judenhasses ist faktenresistent, zudem bewegen sich Antisemiten „kognitiv und emotional wie in einem Hamsterrad, in das sie die Fakten der realen Welt nicht hineinlassen wollen. Gleichzeitig sind massive Abwehr- und Relativierungsstrategien integraler Bestandteil des antisemitischen Diskurses.“ (S.18)
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Info:
Monika Schwarz-Friesel, Judenhass im Internet. Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl, Hentrich & Hentrich 2019, 167 Seiten.