c gartenrandlDer Deutscher Buchpreis 2019, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ungewöhnliche Bücher ziehen ungewöhnliche Rezensionen nach sich! „Was für ein Schmarr'n!“, dachte ich, als ich die ersten Seiten drei- bis fünfmal immer wieder von vorne lese, weil ich nicht verstehe, um was es da geht. Und nach ein paar Seiten will ich Lola Randl mitsamt ihrem Erstling DER GROSSE GARTEN in die Ecke schmeißen, in einem Abteil des ICE!

Und dann sagt noch eine Mitreisende: „Was lesen Sie denn da, Sie sehen so unzufrieden aus?“. Ich reiche das Buch mitsamt dem Umschlag in differierendem Grün, Grün, Grün herüber und höre: „Ach nein, das gefällt mir nicht. So naiv. Wie ein Kinderbuch.“ Doch da regt sich Widerstand in mir, denn mir gefällt das Titelbild außerordentlich gut. Noch weiß ich ja nicht, um was es geht und daß Titelbilder mit dem Inhalt zu tun haben, ist ja auch eher selten. Doch die nackerte weibliche Halbfigur mit rötlichem Haar, die hinter dem Misthaufen, der auch ein Berg sein kann, aufragt, hat noch Hoffnung, daß es ihr anders ergeht als der blonden Angezogenen, die vorne flach am Boden liegt, über und auf ihr ein Werwolf stehend und liegend, der ihre Brust anknabbert, denn schon fließt Blut. Eine irgendwie tierische Beziehung.


Bildschirmfoto 2019 09 03 um 01.39.48Bildschirmfoto 2019 09 03 um 01.38.17Ich weiß natürlich sofort, warum mir das Titelbild gefällt. In meinem Bild ist es ein Tiger, der nämliches an einem Kolonialisten tut. Und viel später beim Lesen weiß ich dann, wie sehr das Titelbild in die Irre führt, denn es geht gar nicht um zwei Frauen und einen Wolf/Mann, sondern um eine Frau und zwei Männer. Mindestens. Aber das ist mir dann schon egal. Längst sitze ich – beim 2. Versuch – in meinem blühenden Garten, die Beine hoch, den Campari mit Eis neben mir, nicht aber das Telefon, das zusätzlich ausgeschaltet ist – und lese. In aller Ruhe. Über den Pastinak, die Pastinake – natürlich die Pastinake, aber wen schert‘s – eine so köstlich wohlschmeckende, wie immer noch unbekannte alte deutsche weiß-eierschalenfarbene Rübe. Ich lese und lese und lache und lache.


Nach 1-2 Stunden stelle ich nicht nur meine gute Stimmung, sondern auch mein dringendes Bedürfnis fest, mir jetzt doch die Stellen herauszuschreiben, die mir ständig aufschreibenswert erschienen. Spätestens auf Seite 60. Und inzwischen ist daraus ein ganzes Konvolut von Zitaten geworden, das ich längst mitsamt den dazugeschriebenen Marginalien als Kommentar zum Buch veröffentlichen könnte. Denn ich bin vom Fach. Sowohl, was den GARTEN angeht, wie auch den DER MANN oder DER LIEBHABER. Den ANALYTIKER noch nicht, weder als Analytiiker, noch als Liebhaber. Ach so, Sie wollen endlich wissen, um was es geht?

Kurzfassung und ohne Ironie und tiefere Bedeutung, die das so einfach formulierte Handlungsgefüge dieses, sich Roman nennenden Lebensabschnittsbuches aber ausmacht (in der Tat mußte ich beim Lesen der schnöde gestrickten Sätze immer wieder an die neue Anordnung für EINFACHE SPRACHE denken, die einem so weh tut, wenn man auf sie nicht angewiesen ist): Eine Frau zieht aus der Großstadt aufs Land irgendwo in die Uckermark, wo ihre Mutter schon wohnt, die eine ordentliche Gärtnerin ist, die aber ihren eigenen, sehr speziellen Gartenkosmos pflegt. Die namenlose Icherzählerin bringt ihren DER MANN mit und zwei Kinder. Von Gustav, dem Sohn ist häufig die Rede, aber das BABY geht irgendwie im Verlauf der Erinnerungs- und Handlungssplitter unter. Dann gibt‘s den LIEBHABER, dessen Haus in der Kurve sie vom Küchenfenster sehen kann, offen für jedermann, weshalb das traute Zusammensein im hinteren Teil des Gartens, im Liebhaberhaus stattfindet, wohin sie sich gut schleichen kann. Alles geregelt. Denn es gibt die Liebhabertage, wo der Mann in die Stadt fährt und macht, was er will. Aber im Gefüge der Beziehungen passiert etwas. Nicht unbedingt zum Besten.

Das Leben auf dem Land ist so ausgefüllt, daß es irgendwelche Berufe und Broterwerbe nicht braucht. Mit dem weiteren Personal, das im Buch zu seinem Recht kommt, können wir uns jetzt nicht aufhalten: mit Irmi und Hermann, mit Emily und der ganzen Geschichte des lokalen Adels und des Schlosses, auch nicht mit den Japanerinnen – köstlich, deren Herdenbildung und Anverwandlung sowie aus allem Eßbares zu machen, das man dann auch noch verkaufen kann – oder dem später bei ihrer Mutter zugezogenen Dick, auch nicht mit Veronika und schon gar nicht mit der NACHBARIN, obwohl die als Kinderhüterin dieser so namen- wie losen Icherzählerin erst den Liebhaber zeitlich möglich macht. Die meint, dafür ist diese ihr nicht dankbar genug. Stimmt.

Ja, wie halten wir es nun? Ist diese Icherzählerin die Autorin selbst? Die äußeren Daten stimmen, aber irgendwie ist zu wenig vom Film die Rede. Und im übrigen will ich deren Lebensgeschichte gar nicht wissen. Deshalb beschäftige ich mich nicht weiter damit, sondern verinnerliche diese Namenlose, indem ich mir ihren latenten Zwangscharakter zwischendurch aneigne. Ich fange an zu zählen. Denn dieser Roman besteht aus 452 Kapitelüberschriften auf 306 Seiten (eigentlich nur 301, denn der Anfang steht auf Seite 5, wenn man es genau nimmt und das tun wir gerade). Und teile dann die Seiten durch die Kapitelüberschriften und komme - nachdem ich dann erst mal auch die Kapitelüberschriften durch die Seiten teilte, was falsch ist, wenn man wissen will, wie oft auf den Seiten eine neue Überschrift kommt – auf 0,65, was ja heißt daß im Durchschnitt nach jeder 0,65 Seite in neue Überschrift kommt.

Nein, nein, hier geht es nicht um Zahlenfetischismus, so was gibt es auch, hier geht es um das tägliche Leben, das genauso ist. Nichts kann man in Ruhe machen, sofort ist was Neues da. Spreche ich mit dem einen am Telefon, klopft der andere schon an. Fange ich einen Artikel an, klingelt der Postbote und kommt mit dem nächsten Buch. Gehe ich in den Garten, um eine Pflanze zu hegen, sehe ich in diesem heißen Sommer das Elend all der anderen und komme aus dem Garten gar nimmer heraus. Das ist einfach ein Häppchenleben geworden und genau das beschreiben die 452 Überschriften, die man auch Exkurse nennen kann. Denn alles besteht aus Exkursen.

Und dann gibt‘s noch Schlimmeres, das die Volksweisheit in ein Lied faßte:

Will ich in mein Gärtlein gehn,
will mein Zwiebeln gießen,
steht ein bucklig Männlein da,
fängt gleich an zu niesen.

Will ich in mein Küchel gehn,
will mein Süpplein kochen,
steht ein bucklig Männlein da,
hat mein Töpflein brochen.

Will ich in mein Stüblein gehn,
will mein Müslein essen,
steht ein bucklig Männlein da,
hat's schon halber gessen.

Der Garten und die ewig gleichen Mühen, das Schönwerden und Vergehen. Der große Garten ist die tägliche Pein wie die tägliche Freude und einfach ein Synonym dafür, daß alles im Fluß ist, nichts bleibt wie es war, aber der Versuch, den Garten zu gestalten, Zeit und Mühe aufzubringen, immer noch besser ist und wahre Glücksmomente hervorbringt, als ihn verwahrlosen zu lassen oder gar keinen Garten zu haben, also nichts von sich zu investieren, aber auch nichts eigenes zu haben. Im Garten und im Leben. Und in der schreibenden Zunft auch.


P.S.I
Toll, was ich im Buch alles über Wurzeln, Früchte, Gemüse, Blumen, Sträucher gelernt habe. Und das Unheil mit dem japanischen Knöterich stimmt so sehr wie auch das Springkraut (Seite 69), das aber im hiesigen Garten eines Tages so verschwand, wie die aus Lateinamerika mitgebrachte Süßkartoffel, die sich jahrelang mit dem ebenfalls importieren Maniok um den Platz im Boden stritten, bis beide auf immer Ade sagten. Letzteres, diese Süßkartoffeln anzubauen, ist ein Tip für die Autorin, denn da macht man mit einfachen Mitteln viele satt!

P.S.II
Daß mit dem Mann und dem Liebhaber, nicht heimlich, weder vor dem einen, noch vor dem anderen und auch nicht vor der Öffentlichkeit, machen ja einige Frauen vor. Besonders spannend - und darüber würde ich dann doch gerne ein Buch lesen- der Fall der schottischen Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton. Aber man muß nicht prominent sein. In der lletzten Wochenendausgabe der Frankfurter Rundschau wird auf einer ganzen Seite unter der Überschrift DREI SIND KEINER ZU VIEL über deren, schon zehn Jahre währende polyamore Beziehung berichtet: eine Frau, zwei Männer, aber nein: eine Mutter, zwei Väter und ein Kind. Mitten auf dem Land in der Wetterau. Landleben macht frei.