c doktorandDer Deutscher Buchpreis 2019, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Einen Heidenspaß bereitet dieser Roman, den man eine Novelle nennen möchte, fast bis zum Schluß. Jan Bremer gelingt, einem alten, fast schon abgenudelten Thema neue Substanz zu geben: dem permanenten Ehestreit, der auch ohne Lautstärke unter die Haut geht, den anderen demütigend, weil man genau weiß, wo die Wunden liegen, in denen gebohrt und gebohrt wird. Bis Blut fließt .

Nein, SZENEN EINER EHE, der selbst die Wohngemeinschaften der 70er Jahre beeindruckende Film von Ingmar Bergman war nicht die erste filmische eheliche Auseinandersetzung und auch NORA von Hendrik Ibsen oder die Strindbergdramen sind es nicht, auf denen ja WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF von Edward Albee und andere moderne Stücke aufbauen, genauso wie die Filme von Woody Allen. Aber all diese Stücke und Filme sind gute Referenzen für Natascha Greilach, der ihr alternder Ehemann Günter Paroli bietet und mehr.

Das Paar lebt am Rande einer Kleinstadt in einem Haus, das vor Jahrzehnten vom Verkauf der Bilder von Günter Greilach gekauft wurde, der richtig berühmt war, jetzt aber weiland vergessen ist, weshalb die Wände des Hauses mit seinen unverkauften Bildern vollgepflastert sind. Doch das wird sich alles ändern, denn er hatte vor Monaten die Anfrage eines Doktoranden erhalten, der über ihn arbeiten will, was ja wohl eine Dissertation heißt und eine gute Gelegenheit ist, mit diesem seine ganzen Bilder und damit sein Leben zu ordnen.

Doch das wissen die Leser noch nicht, denen Natascha erst einmal in einem köstlichen inneren Monolog beim morgendlichen Aufwachen im Bett ihre spezielle Lage und ihre Interpretation ihrer Ehefrauensituation verdeutlicht. Eine Frau wacht auf und reflektiert? Da muß man einfach an die aufwachende LOTTE VON WEIMAR von Thomas Mann denken. Aber die ist bald richtig wach, während das innere Sprechen für Natascha zur ständigen Übung wird. Und während man noch überlegt, daß ja auch James Joyce seinen Ulysses in einem Bewußtseinsstrom einen Tag durch Dublin führt, dramatisiert Nataschas innere Stimme die Erinnerungen an den gestrigen Abend mit der Ankunft des Doktoranden in ein Für und Wider und kommt daraufhin zu Konsequenzen, die auf einen Schlag an Watzlawicks ANLEITUNG ZUM UNGLÜCKLICHSEIN denken lassem und den im inneren Monolog verstrickten Mann, der beim nichtsahnenden Nachbarn klingelt und ihn anherrscht, er solle doch seinen verdammten Hammer behalten, was nur verständlich wird, wenn man - wie der Leser - dessen Gedankendiskussion verfolgt hatte.

Das schriftstellerische Verfahren von Jan Peter Bremer mußte vorangestellt werden, bevor nun die Geschichte Fahrt auf nimmt. Denn, wenn dann doch irgendwann die Reflexionen der Natascha über die Ankunft des jungen Doktoranden, auf den sie monatelang gewartet hatte, was ihre ehemalige Freundin Jutta und nach dem Zerwürfnis nun Todfeindin mitbekommen hatte und mit dem sie aufgebretzelt in ihrer Fantasie unter dem Neid der Kleinstadt durch die Straßen spaziert, wenn wir also das Hirn der Natascha verlassen, kommt der Ehemann dran. Denn auch der reflektiert den gestrigen Abend mit der Ankunft und den vier Flaschen Wein, die getrunken wurden, weshalb der Doktorand auch immer noch schläft, während sich der einst so erfolgreiche Maler darin wohlig suhlt, wie er nach der wissenschaftlichen Aufarbeitung seine Lebenswerkes neu entdeckt wird und einer bedeutenden Zukunft entgegengeht.

Total interessant und auch total schlüssig, wie Bremer die inneren Lebenswelten eines solchen Paares durch ihre Gedanken zum Ausdruck bringt: er auf seine Arbeit und seine eigentliche Bedeutung konzentriert, dem die Ehefrau schon lange eine lästige Angelegenheit ist; sie, die die Leere des Partners so spürt wie ihre eigene und alles nach außen verlagert hat, nämlich wie die anderen sie sehen – und wie sie sie sehen sollen.

Und endlich taucht am morgendlichen Frühstückstisch, wo die Gedanken dann in Rede und Gegenrede übergehen, dem Leser also den alltäglichen Streit vorführt, endlich der Doktorand auf. Auch er hat ein paar Gedanken. Aber dessen Person und das, was von ihr erwartet wird, und was sie selber denkt, ist vom Autor sinnreich erdacht, was wir auf keinen Fall verraten wollen. Auf jeden Fall spielt beim ‚Doktoranden‘ nicht die Kunst die erste Geige, sondern sein Engagement mit Flüchtlingen, was hier nur kurz erwähnt wird, weil auch der Gedanken- und Gefühlsfluß des jungen Mannes in der Geschichte nur kurz gestreift wird.

Gerade aber, weil das Geschehen vom Morgen, das den vorherigen Abend reflektiert, bis in den Tag geht und abrupt endet, fänden wir die literarische Gattung NOVELLE passender, die überhaupt in den Zeiten der dicken Romane verloren geht. Aber, sahen wir dann, der Berlin Verlag und Autor Jan Peter Bremer haben da schon vorgesorgt, denn es steht nicht, wie oft üblich ROMAN im Vorspann. Gut gemacht.

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Info:
Jan Peter Bremer, Der junge Doktorand
Berlin Verlag, Berlin
Erschienen am 02.09.2019
176 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
20 Euro
EAN 978-3-8270-1389-7
auch E-Book