Der Deutscher Buchpreis 2019, Teil 17
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Da muß man aufpassen. Wenn in einem Roman die Hauptperson ein Architekt oder Musiker ist, erwartet kein Mensch, daß man zum Lesen ein Architektur- oder Musikstudium bräuchte. Kaum aber kommt ein Spitzenfußballer, 100 000 monatlich bei Everton in der Premier League Großbritanniens, daher, da steigen die eigenen Erwartungen, jetzt etwas von den Interna zu erfahren, vom großen kapitalistischen Geschäft um Fußballerbeine, zumindest jedoch aus den Kabinen, um Strategie und Taktik, auch um den Überlebenskampf in der eigenen Mannschaft, wird man aufgestellt, sitzt man auf der Bank...
Wer solche Erwartungen hat, es ginge um einen Fußball- oder Fußballerroman, wird enttäuscht werden, denn das Fußballgeschäft ist eher eine Metapher für jungen Kerle, die sich wie der gebürtige Bosnier Ivo aus dem österreichischen Jugo-Milieu (spielen sie schlecht, bleiben sie Jugos, spielen sie gut, werden sie Österreicher) hochgefußballert hat in die europäischen Spitzenclubs, deren Besitzer, hauptsächlich in England, wo Ivo spielt, russische, amerikanische, neuerdings auch chinesische Multimillionäre, ach was, Milliardäre sind, die sich Fußballclubs halten wie man früher Opernhäuser, Zoos oder Vergnügungsparks aus dem Boden stampfte. Was früher die Diven waren, sind heute die Fußballer, genau: auch mit den Problemen von Diven, neidisch auf den nächsten, konkurrent und in ständiger Angst, den Ansprüchen nicht zu genügen, gar verletzt zu werden. Denn das viele Geld wird ja nur gezahlt, weil Leistung auf dem Feld erwartet wird. Das verursacht Druck, aber wie!
So lange es nach oben geht, hat der Druck ja noch eine Funktion. Er hält einen wach und nach oben orientiert. Doch was ist los im Leben des bald 27jährigen Ivo, der eine BILD- Bilderbuchfamilie mit attraktiver Ehefrau besitzt. Jessy ist eine von den Spielerfrauen, die dem Fußballer Heimat und Sicherheit vermitteln, die ohne eigenen Beruf, alles Anfallende nebenbei optimal erledigen, aussehen wie im Spa gepushte Models, Kinder gebären und aufziehen, trotzdem die aufregende Geliebte bleiben, mit „perfekten Brüsten“, wie Schachinger nicht aufhört, zu betonen, bzw. sein Protagonist Ivo – was sind das überhaupt: perfekte Brüste? - , auf jeden Fall legt Ivo darauf ganz besonderen Wert, uns das immer wieder mitzuteilen. Und das muß ja einen Grund haben.
Was aber passiert mit solch einem noch 26jährigem Spitzenfußballer, der sich als Möglichkeiten aussuchen kann, für 120 000 pro Monat beim Verein zu bleiben, ev. nach Rom zu wechseln, was er gerne möchte, für viel Geld in den USA oder in China den Fußballclown zu geben. Er hängt durch. Er bekommt die Lebensmittekrise, die anderswo rund um 50 eintritt. Wie immer ist eine Frau der Auslöser. Das ist so wichtig. Denn auch, wenn Ivo in seiner Jugendliebe Mirna die Ursache seiner seelisch-geistigen Verwirrung sieht, warum er auf einmal nach und nach mit seinen Lebenslügen konfrontiert, sich nach langer Mirna-Sehnsucht und kurzem „Fick-Genuß“, in einem seelischen Desaster befindet, so ist Mirna für uns Leser nichts anderes als die Person, die das Kartenhaus des jungen reichen Karrieristen zum Einsturz bringt. Will sagen, sein Leben war eh auf Eierschalen gebaut.
Stimmt, da kommt ein anderer Sprachgebrauch in die Auswahlromane des Deutschen Buchpreises. Herrlich, daß die Deutschen sich mal abmühen müssen, mit der österreichischen Umgangssprache, wenn vom Pudern, dem Schiachen, Oida, am Oasch, vom fix zam die Rede ist. Letzteres entschlüsselt man schnell, wenn man es laut liest, und Hurenkind ist sowieso verständlich, wenngleich hierzulande kein gebräuchliches Schimpfwort. Aber über den Tschusch, da müßte man ein ganzes Seminar abhalten, so interessant ist die Herkunft des Begriffes, den Ivo hier als Schimpfwort benutzt. Er auf jeden Fall ist kein Tschusch. Das wäre das Letzte.
Und daß die Deutschen als superlangweilig und besonders fade Piefkes mal wieder herhalten müssen, gehört zum Geschäft. HALT. Hier ist dem Autor doch der Gaul durchgegangen, denn die naturalisierten Österreicher, die aus Ex-Jugoslawien kommen, haben keine derartigen vererbten Vorurteile gegenüber Deutschland, das sie eher positiv sehen. Darum muß man doch hoho lachen, wenn der Oberhausener Max Mayer, heute in England, Leon Goretzka, heute Bayern München, oder Timo Werner, der inzwischen für den RB Leipzig kickt, überhaupt Bücher lesen, ist das üble Nachrede, wenn Schachinger sie als Möwen bezeichnet, denn das sind die aus den verachteten deutschen Fußballakademien, die „ohne eine Ahnung von der Welt oder von sich selbst, die 500 Pässe spielen können mit einer Quote von 94 %, aber keinen einzigen, der ihnen selbst einfällt“...und dann kommt's noch schlimmer.
Fortsetzung folgt
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Tonio Schachinger, NICHT WIE IHR, Verlag Kremayr & Scheriau