Bildschirmfoto 2019 10 28 um 01.30.38Messer. Ein Fall für Harry Hole, Ullstein Verlag

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Bei M müssen ja eigentlich vor allem Filmfreunde an etwas anderes denken! Richtig, an einen der ersten deutschen Tonfilme von 1931, M vom Regisseur Fritz Lang über den Serienkindermörder, dem Peter Lorre ein unheimliches Aussehen gab und auch in uns ein tiefes Mitgefühl für alle Beteiligten erzeugte. Wenn nun auch Jo Nesbø mit M loslegt, finden wir das übertrieben, der Untertitel MESSER hätte doch gereicht.

So nämlich kommt man etwas durcheinander, bis man kleingeschrieben noch auf dem Titel das rettende EIN FALL FÜR HARRY HOLE liest. Durcheinander deshalb, weil dies der 12. Krimi um diesen angeschlagenen Mann ist, der als Alkoholiker und einer, der gerne das kaputtschlägt, was er liebt, eben auch ans Herz gehender Held einer nun zwölfteilige Kriminalromanserie ist – die sich aber erst entwickelt hat, weshalb die Titel leider nichts Gemeinsames haben: Der Fledermausmann war die Nummer 1, Kakerlaken der nächste, die Nummer 3 dann Rotkehlchen. Da konnte man schon aufhorchen und hier lernt er seine große Liebe Rakel kennen, deren Tod, schlimmer: den Mord an ihr wir dann 575 Seiten atemlos verfolgen.

Richtig gelesen. Denn inzwischen hat Jo Nesbø, 1960 geboren, und laut The Times: „Der unumstrittene König des skandinavischen Kriminalromans“ - wir wüßten da auch noch die Dänen Jussi Adler-Olsen und Jesper Stein neben Anna Grue und Anne Holt, die Schweden Henning Mankell, Stieg Larsson , Liza Marklund, Arne Dahl u.a., deren sozialpolitische Ader alle auf das aufregende Krimipaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö 1965 – 1975 mit ihrem Kommissar Martin Beck zurückgehen, Finnland und Island lassen wir aus – also einer der rasanten Krimischriftsteller aus dem Norden uns an allen Taten und Schandtaten des Harry Hole teilnehmen lassen und das 'atemlos' wie auch das 'verfolgen' beziehen sich direkt darauf, daß er eine Schreibtechnik draufhat, die einfach Spannung erzeugt und auch die Spannung beibehält, wenn man als Leser das Gemachte, also seine Überlegungen für seine Schreibstrategie am Text direkt nachverfolgen kann: Es werden Fährten gelegt, - kleine Worte, unwichtige Requisiten, ein Telefonanruf, ein Autoschlüssel - , die nach und nach einen Verdächtigen nach dem anderen produzieren und nur, weil wir wissen, daß auf Seite 243 des dicken Buches der Mörder einfach noch nicht gefaßt werden darf, bleiben wir bei den einzelnen Verdächtigen relativ gefaßt, wissen wir doch, alles spricht gegen ihn oder sie, aber wenn er im Roman nun 99prozentig überführt ist, erscheint wie ein deus ex machina das eine Prozent, das den Verdächtigen zum Unschuldigen macht. Und der nächste ist dran, mit dem dasselbe passiert. Und wieder der nächste...

Lieber Jo Nesbø, echt, das ist diesmal übertrieben, wie viele Verdächtige so einer nach dem anderen wie die Sau durchs Dorf, hier als Verdächtiger durch Harry Holes und der Polizei und des Lesers Hirn und Herz gejagt werden, bis zum Schluß, es ist so gemein, ausgerechnet der oder die, auf jeden Fall besonders sympathisch der grausame Mörder ist.

Mörder sind immer grausam, aber diesmal besteht die Grausamkeit eben darin, dem Mann Harry Hole das Liebste zu nehmen, seine große Liebe Rakel bestialisch abzuschlachten. Da muß man schon schlucken, denn ab dem 3. Krimi haben wir ja das Auf und Ab des erst Liebhabers und dann Ehemanns Harry Hole mit Rakel begleitet. Nur ihretwegen entkam er dem südostasiatischen Sumpf, nur ihretwegen konnte er seinem größten Feind, dem Alkohol trotzen, mit ihr und Oleg, ihrem Sohn, dem er ein Vater wurde, hat er ein fast normales Leben haben können, das ihn stark machte für die Aufklärung von mörderischen Fällen, die andere überforderten, aber seinem wachen Verstand, sensiblen innerlichen Instrumentarium gerade recht kamen, um sie aufspüren zu können.

Der 12. Harry Hole beginnt normal. Er ist wieder einmal völlig im Alkohol versunken, weil Ehefrau Rakel ihn rausgeschmissen hat. Mit Gründen. Bitterer Verrat. Aber, so erfährt er und wir mit ihm, gegenüber dem Sohn Oleg hat sie längst wieder klein beigegeben und ihm Herz und Haustür geöffnet. Nur konnte sie es ihm noch nicht sagen, denn sie ist tot. Und alles deutet, das weiß am besten Harry selber, auf ihn als Mörder hin. Er weiß von nichts, hat keine Erinnerung, aber die von ihm selbst installierte Kamera hat festgehalten, daß er als Letzter das Haus betreten hat. Innen war abgeschlossen und er lag neben der Leiche.

Das wünscht man wirklich seinem letzten Feind nicht und Harry Hole ist doch unser Freund. Also hoffen und bangen wir mit ihm und seine Tour de force, die alle Verdächtigen überzieht, und – siehe oben – wirklich gekonnt inszeniert ist, bis einem die Art, daß alles auf einen Verdächtigen zuläuft, der es dann nicht gewesen ist, etwas über wird. Aber daß es dazu nicht allzu schnell kommt, macht ein Figurentheater wett, das es in sich hat. Wir kennen die meisten aus den vergangenen Romanen, aber wie sie hier auftauchen, Svein Finne an vorderster Stelle hat wirklich etwas von einem mittelalterlichen Mysterienspiel an sich, was wir als Kompliment verstehen. Jo Nesbø serviert uns sehr individuelle, sehr schräge, sehr böse, sehr liebe Menschen, die auch seinen 12. Harry Hole lebendig halten.

Ob die Reihe weitergeht, nachdem sie mit Rakel Fahrt aufgenommen hatte und sich das Arbeitsgebiet von Harry Hole auf hiesige Ermittlungen eingeengt hatte? Der Autor läßt das offen. Denn am Schluß, als alles geklärt ist, sitzt er in einer Flughafenlounge, ein Glas Alkohol vor sich, das er noch nicht angerührt hat – denn, wenn er es anrührt, ist er erneut verloren – und erhält einen Anruf einer schönen Frau, die ihn in Auckland erwartet, obwohl die andere schöne Frau, die ein Kind von ihm hat – ja, auf einmal entpuppt sich ein Kind, das er als Kind von Freunden kannte, als sein eigener Sohn. Was tun? Harry Hole würfelt.

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Info:
Nesbøs M, Messer. Ein Fall für Harry Hole, Ullstein Verlag 2019