KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Mai 2013, Teil 2



Elisabeth Römer



Hamburg (Weltexpresso) – Wir hatten also nachgefragt, wohin zwei auf der Aprilliste gut gesetzte Bücher im Mai entschwunden sind, wobei uns vor allem Derek Nikitas BRÜCHE aus dem Verlag Seeling interessierte. Im zweiten Anlauf wollten wir nun über die auf der Aprilliste Neuen uns kümmern.

 

Das sind neben Sara Grans DAS ENDE DER WELT auch Giancarlo de Cataldo mit DER KÖNIG VON ROM aus dem Verlag Folio, nun auf Platz 2 , OPFER von Cathi Unsworth aus dem Suhrkamp Verlag auf dem 9. Rang und MÄDCHENGRAB von Ian Rankin, erschienen bei Manhattan auf Platz 10.

 

Giancarlo de Cataldo ist mit DER KÖNIG VON ROM vom vierten Aprilplatz auf den zweiten Maiplatz vorgerückt. Ein schönes Stück Literatur, auch ein schönes Stück Italianita, aber auch behaftet mit dieser Nostalgie, fast von Don Camillo und Peppone. Das soll nur ausdrücken, wie sehr wie beim amüsierten Lesen eben auch uns wunderten über diese Zeiten, wo mit einem Kriminellen immer noch dessen Aufstreben aus dem Arbeitermilieu und seine Verankerung bei den kleinen Leuten vorlag, gegen die er nie etwas unternommen hätte, obwohl es schon weit über 100 Jahre her war, daß es in Deutschland hieß: Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Wie war die Welt noch in Ordnung.

 

Im DER KÖNIG VON ROM erleben wir, wie diese Welt in die Brüche geht. Mehr demnächst. Cathi Unsworth ist vom sechsten Platz auf den neunten heruntergestuft. Ihr bei Suhrkamp erschienener Kriminalroman ist auch einer, der oral history beanspruchen kann. Es geht um die Achtziger Jahre im Nordosten Englands, wo der Kapitalismus in der Hauptstadt seine Blüte beginnt und auf dem Land sich die Verarmung und Verrohung verbreitern und ebenfalls Blüten hervorbringen, zu denen die Schwarze Magie genauso gehört wie das, was später Gothic genannt wird, aber genau damals als Gruftistil entstand und als Subkultur aus der Punkbewegung hervorging.

 

Mit dem Unterschied, daß Mord nicht der normale Umgangston war. Dafür aber wurde Corrine Woodrow verurteilt, für einen Ritualmord, den sie nun absitzt, umnachtet sozusagen und wie es scheint, auch noch mit allem einverstanden. Doch nach zwanzig Jahren scheinen Beweise vorhanden, daß sie diese Tat zumindest nicht alleine verübte. Sean Ward ist Privatermittler, nachdem er als Detective Sergeant der Londoner Metropolitain Police fast daran hatte glauben müssen, als ihm ein jugendlicher Dealer den Kopf wegschießen wollte.

 

Nach einem Jahr Reha hat er genug und will als Ex-Bulle etwas Vernünftiges tun, worin er sich auskennt. Da hat Janice Mathers die dazugehörigen Ideen. Die durchaus feministische Anwältin liebt es, ungeklärte Fälle aufzugreifen, womit sie sich denkbar unbeliebt macht. Sie hat den Fall der Corrine von vor 20 Jahren jetzt aufgegriffen und mit den heutigen technischen Methoden Spuren gefunden, die ausweisen, Corrine war nicht alleine bei diesem Mord. Wir folgen dem Detective aufs Land und haben Sympathie mit der jungen Journalistin Francesca Ryman, die es schwer hat gegen die, die so schrecklich genau wissen, wie man Zeitung immer schon gemacht hat und zunehmend aggressiv werden.

 

Und während wir uns noch damit beschäftigen, werden wir von Autorin Cathi Unsworth äußerst geschickt in den Fall verwickelt, in dem Samantha Lamb eine große Rolle spielt, die aus London aufs Land kommt und es durchrührt. Sie hat die besten Karten, ihre vermögenden Großeltern leben hier und sie kann sich alles leisten, sowohl finanziell wie auch im Verhalten. Die Autorin zeigt sich sehr gewieft im Umgangston und in den Verhaltensweisen von Jugendlichen. Dadurch gewinnt der Roman geradezu eine Sogwirkung und wir möchten über die Geschichte gar nicht mehr berichten, als daß Phänomene wie das Böse hier ein Gesicht bekommen und unerklärliche Vorgänge eine psychische Erklärung finden.

 

Auch Ian Rankins MÄDCHENGRAB aus dem Verlag Manhattan hat tote Mädchen zum Inhalt und das gleich vierfach. Und auch hier geht es um Altfälle, die nach wie vor ungelöste sind. Aber ansonsten haben beide Romane nichts miteinander zu tun, es sei denn, man sieht den Standort Edinburgh doch als sehr sehr englisch an. Eigentlich ist John Rebus auf dem Altenteil, aber als er das mitbekommt, von Sally, die 1999 verschwand und Brigid, die seit 2002 weg ist und auch Zoe, die seit 2008 verschwunden ist wie Annette, die erst seit 2011 gesucht wird, da legt er los und zeigt, was so ein Alter kann.

 

Die Mischung macht's, wenn er mit Siobhan Clarke, die ein aktiver Detective ist, unterwegs ist und die Gegend aufmischt. Das Buch, locker geschrieben, zeigt eine Menge von Charakteren, an die man sich auch danach noch erinnert und ist weniger der total spannende Krimi, als der Roman über Land und Leute und ihre skurrilen Geschichten.

 

 

 

KrimiZeit – die Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio 5/2013

 

 

Lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(3)

Sara Gran: Das Ende der Welt

Aus dem Englischen von Eva Bonné

Droemer, 368 S., 14,99 €

San Francisco/Brooklyn. Fünf Gitarren, ein Pokerchip, Schlüssel – schwache Hinweise auf den Mörder von Paul, Claire de Witts Exgeliebtem. Prekäre Autonomie der Detektivin: Claire zerstört sich fast auf der Suche nach Wahrheit, nach dem Kindertraum geliebt zu werden. Kaliforniens Norden: kalt und hip. Gran fasziniert.

2

2

(4)

Giancarlo de Cataldo: Der König von Rom

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl

Folio, 176 S., 19,90 €

Rom 1976. Machtvakuum in der Hauptstadt. Nicht die Camorra, nicht die Marseiller, keiner hat die volle Kontrolle. Junggangster Libano am Scheideweg: Mit Giada, der bourgeoisen Revoluzzerin, in die Boheme oder mit Gewalt ans große Geld? Libano lernt Verbrechen. Ruppiges Vorspiel zu Romanzo Criminale.

3

3

(-)

Robert Hültner: Am Ende des Tages

btb, 320 S., 19,99 €

München/Thalbach/Chiemgau um 1929. Die Nazis scheinen abgeschlagen, Kajetan könnte zurück zur Polizei. Noch klärt er einen Justizirrtum auf, da kollidiert er mit der Politik. Ein Flugzeug mit übler Konterbande ist abgestürzt. Bayern tappst Richtung Ende. Historisch gewiefte, sprachlich ausgefeilte Krimikunst.

4

4

(-)

Olen Steinhauer: Die Spinne 

Aus dem Englischen von Friedrich Mader

Heyne, 492 S., 16,99 €

New York/Peking/Welt. Milo Weaver, Überlebender der ultrageheimen „Touristen“-Abteilung, will nur noch Familie. Aber ein Ex-Chef und sein chinesischer Gegenspieler setzen auf Rache. Steinhauer spielt meisterhaft die pazifische Karte. So sieht der Politthriller von morgen aus: weltumspannend, komplex, rasant.

5

5

(-)

Matthias Wittekindt: Marmormänner

Edition Nautilus, 288 S., 16,90 €

Fleurville. Seit 40 Jahren nennt man sie „Marmormänner“. Einer lag als Wachsleiche am Bahndamm, die anderen drei sind perdu. Unruhe in der kleinen Stadt: die Kleider eines Verschwundenen kommen ans Licht, ein Kind und seine Mutter werden entführt. Sorgsame Milieustudie über Vergessen, Verdrängen, Verschütten.

6

6

(2)

Elmore Leonard: Raylan

Aus dem Englischen von Kirsten Risselmann

Suhrkamp, 308 S., 19,95 €

Kentucky. Ob Nierenhandel, Umweltverbrechen oder Schusswechsel mit einer einarmigen Transe - US-Marshal Raylan Givens bleibt stets gelassen. Mit Gleichmut und schnellem Finger sorgt er für das, was er persönlich für Gerechtigkeit hält. Wie schon in der TV-Serie Justified, jedoch im Buch viel, viel abgefahrener.

7

7

(-)

Daniel Suarez: Kill Decision

Aus dem Englischen von Cornelia Hohlfelder-von der Tann

Rowohlt, 496 S., 12,99 €

Autonome Drohnen radieren amerikanische Städte, Schiffe und Softwaregenies aus. Ameisenforscherin McKinney und Spezialagent Odin mitsamt helfenden Raben leisten Bond-mäßig Widerstand gegen Cyberwar und militärisch-industriellen Komplex. Science Fiction? No, Sir: Verschärfte Realität.

8

8

(1)

Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer

Aus dem Englischen von Hannes Riffel

Tropen, 320 S., 19,95 €

Ost-Texas, während der Großen Depression. Nachdem May Linns Leiche im Sabine River gefunden wurde, verbrennen ihre Freunde sie und transportieren die Asche den Fluss hinab. Fernziel: Hollywood. Die wilde Flucht der Jugendlichen erinnert an die von Huck Finn, verläuft aber grotesker als bei Mark Twain. Lansdale eben.

9

9

(6)

Cathi Unsworth: Opfer

Aus dem Englischen von Hannes Meyer

Suhrkamp, 384 S., 14,99 €

Ernemouth, Norfolk. Privatdetektiv Sean Ward, im Polizeidienst verkrüppelt, rollt den Fall der „Hexe des Ostens“ erneut auf. 1983: Teenie-Rivalitäten eskalieren im Ritualmord. 2003: Alte Säcke verteidigen die die liebe Macht. Tolles Brit-Stück. Perfekt reanimierte Gothic-Atmo. Unsworth wiederentdeckt.

10

10

(7)

 

Ian Rankin: Mädchengrab

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Manhattan, 512 S., 19,99 €

Edinburgh/Rosemarkie. John Rebus kann es nicht lassen. Der Pensionär wühlt in ungelösten Altfällen. Vier Mädchen sind verschwunden, alle an der A 9. DI Siobhan Clarke assistiert halb widerwillig, der Verdächtige will nicht reden, da nimmt Rebus Gangster zu Hilfe. Rankin und Rebus – kommt gut.

 

 

INFO:

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.



Vorgestellt wird die KrimiZeit-JahresBestenliste

- im NordwestRadio am Donnerstag, den 2. Mai 2013 mit Tobias Gohlis gegen 8.50 Uhr im Nordwestradio Journal und in den Sendungen der Literaturzeit, nachzuhören unter http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html

  • in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 2.Mai 2013 und unter www.zeit.de/krimizeit-bestenliste

  •  

Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.



 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt

Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, Dlf, BR

Gunter Blank, Sonntagszeitung

Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DradioKultur

 

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal inzwischen darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt. und die wir für 2012 ebenfalls kommentierten. 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag



http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/1208-der-beste-krimi-2012-bleibt-von-fred-vargas-die-nacht-des-zorns-aus-dem-aufbau-verlag