DIE KRIMIBESTENLISTE IM NOVEMBER, Teil 2
Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Das müßte sich bei uns mal einer trauen! So schonungslos wie der Engländer John le Carré seinen Spion in spe und Ex-Spion zugleich, Ed Shannon, über den BREXIT und den gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten sprechen läßt, dem wir nicht den Gefallen tun wollen, ihn beim Namen zu nennen, den dieser junge, über 1,90 Meter große Schlacks mit Brille mit allen negativen Beiwörtern, auch „öffentlichen Iniurien, Schelt und Lästerworten“, wie sie schon 1563 Heinrich Knaust in Frankfurt am Main in einer Schrift „Von heimlichen Winkelschmähen und außtragen“ zusammengetragen hatte. Auf manche Menschen paßt das immer!
Und auch über den Brexit sagt Ed Shannon alles, was unser Herz zu uns und anderen spricht, daß er darüberhinaus so germanophil ist, daß die Deutschen daran einfach ihre Freude haben müssen, wird nur noch übertroffen von dem Grundton im Roman, denn auch andere Personen sehen allein in Deutschland und seiner Politik sowie den gesellschaftlichen Verhältnissen eine Zukunft für Europa, denn Ed Shannon ist neben seiner Deutschlandliebe grundsätzlich ein überzeugter Europäer, aber eben auch ein veritabler Badmintonspieler, der seinen Meister sucht, sich mit ihm messen will und diesen im Icherzähler Nat, Vereinsvorsitzender im Athleticus Club in Battersea, gefunden hat.
Was die USA angeht, meint Ed: „‘Sie legen den Eid auf den Führer ab , verdammt‘, gibt er mir atemlos seine Einschätzung. ‚Alles wiederholt sich Nat. Schauen Sie doch.“ Und darauf räsoniert Nat: „Ich habe ihn nie danach gefragt, aber ich nehme an, daß seine säkularisierte lutheranische Seele vor allem von Deutschlands Buße für die Sünden der Vergangenheit angesprochen wurde: die Vorstellung, daß eine große Nation, die regelrecht Amok gelaufen war ihre Verbrechen vor aller Welt bereuen soll. Bei welchem anderen Land hat es denn jemals so etwas gegeben, wollte er wissen. Hatte die Türkei sich dafür entschuldigt, daß sie Armeneier und Kurden niedergemetzelt hatte? Hatte sich Amerika beim vietnamesischen Volk entschuldigt? Hatten die Britten Wiedergutmachung dafür geleistet, drei Viertel der Welt kolonisiert und unzählige seiner Bewohner versklavt zu haben?“ (90)
So beginnt eine Reise durch englischen Irrsinn und englische verschlungene Spionagewege, eigentlich ein Gewebe mit hauptsächlichen russischen Fäden, aber auch tschechischen, dänischen, deutschen, aber immer wieder russischen als Kettfäden und englischen als Schuss. Toll! Lange liest man amüsiert das Werben des jungen Badmintonspielers um die Gunst des Alten und erfreut sich an dem verbalen Schlagabtausch, weiß dann eigentlich gar nicht mehr, daß es ein Spionageroman ist, was nur wachgehalten wird, daß der Icherzähler Nat, der gerade vom britischen Geheimdienst in der Rußlandabteilung ausgesondert und in eine ruhige Zone namens Oase als Leiter – als Leiter von nichts - abgeschoben wurde, von dieser seiner Dienststelle sich selbst – und damit uns – erzählt, wobei die absonderlichsten Geschichten ineinander geschachtelt werden, skurril, und mit einem lakonischen englischen Understatement, über das der erzählende Nat verfügt und was das Buch nicht nur erträglich, sondern anregend und unterhaltsam macht.
John le Carré schafft es wieder, den Leser in Bann zu ziehen, nachdem man erst mal langsam, langsam hineinkommt. Denn, was soll das mit diesem Badmintonspieler Ed und seiner Anhänglichkeit an Nat? Das kommt einem schon so vor, als ob er etwas anderes im Sinn hat. Aber als wir uns das – und es wäre auch eine falsche Fährte gewesen, es ging wirklich um Badminton - wieder einmal fragen, sind wir schon mitten drinnen im Spionageroman und auch da geht es wie immer. Ab irgendwann können wir nicht aufhören zu lesen, sondern lassen alles rechts und links liegen und wollen wissen, wie es ausgeht. Denn inzwischen hat Nat einerseits mitbekommen, daß sich in der englischen Schläferwelt einiges tut. Wenn wir die Schläfer aus der Islamlistenszene als Begriff kennen, sind das natürlich auch andere Nationen, die ihre Spione in anderen Ländern, hier England erst einmal jahrelang nur leben lassen, damit sie keinen Verdacht erregen und dann als gesettelte Bewohner Englands mit den Spionageaufträge erst beginnen. Und Nat ist so einer, der den Überblick hat und sofort in Aktion tritt, wenn sich ein Schläfer bei ihm meldet, wie es jetzt mit einem ganz schön durchgeknallten Russen namens Sergej passiert, der aber als Pitchfork geführt wird, der sich bei ihm meldet und den er pflichtschuldig sofort in der Provinz besucht.
Und was dann passiert, ist rasant, wollen wir aber nicht erzählen und nur andeuten, daß mit der vorübergehenden Mitarbeiterin Florence eine junge kecke souveräne Frau das Kommando in der Oase übernimmt, das so lesen wir es durch die Zeilen, im Leben von Nat auch Ehefrau Prue ausübt, die ihn an der langen Leine läßt, die er braucht, aber dann zur Stelle ist, wenn sie übernehmen muß. Mit den Russen sind ja nicht nur die Oligarchen im Spiel, die aber besonders pittoresk. Der Aufenthalt in Karlsbad, das also von den Russen seit Jahr und Tag okkupiert ist, noch sehr viel stärker als Baden-Baden, was was heißt, dieser Aufenthalt und das Treffen mit Arkady ist unter Spionagegesichtspunkten das Irrste. Denn da lernt man, wie es geht, wenn die Superagenten sich selbst überlisten und der eine zum anderen sagt: „Ich liebe dich. Beim nächsten Mal bringe ich Dich um. Das ist ein Versprechen.“(189)
Und ob es ein gutes Ende gibt, wo ja le Carré auch für seine bittersüßen Enden bekannt ist, wollen wir nicht verraten. Nur, daß alles aufgeht und der Leser wirklich seinen Weg durch den Spionagedickicht schlägt.
Sozusagen für Kenner streut le Carré einige Codewörter ein, die für Unternehmungen stehen oder einfach Namen sind: Wenn eine Operation ROSEBUD heißt, muß man einfach schmunzeln und erst recht, wenn er nichts von Citizen Kane verlauten läßt, auch, wenn auf einmal eine Person Tadzio heißt, aber der Bezug von Thomas Mann und dem Tod von Venedig nicht ausgeführt wird, was sich bei einigen anderen wiederholt, le Carré nichts weiter dazu schreibt und damit augenzwinkernd seine Leser in die einteilt, die wissen, um was es jeweils geht und für die anderen sind das halt einfach nur Benennungen. Irgendwie lieb gemacht und man fühlt sich zu Hause.
FORTSETZUNG FOLGT
Die KrimiBestenliste November
1 (1)
Garry Disher: Hitze
Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller.
Pulp Master, 278 Seiten, 14,80 Euro
Queensland. Wyatt soll ein Gemälde stehlen. Nazi-Raubkunst, die wieder aufgetaucht ist. Ob die Story stimmt? Wyatt ist nicht der einzige Dieb an der Goldküste. Und hat zudem abgehängte Komplizen auf den Fersen. Da passt es prima, dass seine Auftraggeberin Ex-Soldatin ist. Cool, cooler, Wyatt.
2 (-)
Franz Dobler: Ein Schuss in Blaue
Tropen, 288 Seiten, 20 Euro
München. Ein Islamist soll in der Stadt sein, auf ihn sind 2 Millionen Kopfgeld ausgesetzt. Ein Job für Robert Fallner und SIS. Doch: Informationsnebel, rivalisierende Dienste. Zeugen verschwinden, Schüsse fallen. Realität als Tiefschlag. Dobler dekultiviert den Mist aus Vorurteil und Hasstiraden.
3 (-)
Paulus Hochgatterer: Fliege fort, fliege fort
Deuticke, 286 Seiten, 23 Euro
„Furth am See“. Mehr Provinzstadtanalyse als Kriminalroman: Opfer von Kinderheimgegewalt nehmen sich das Recht zur Vergeltung, kommentiert und observiert von Kripomann Kovacs und Psychiater Horn. Rassistenautos brennen, Kinder entführt. Offen in alle menschlichen Richtungen, Lob der Erzählfreiheit.
4 (-)
John le Carré: Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro
London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.
5 (5)
Dror Mishani: Drei
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Diogenes, 336 Seiten, 24 Euro
Tel Aviv, Bukarest. Drei Frauen – immer derselbe Mann. Über ein Dating-Portal für Geschiedene kommen Orna und Gil zusammen. Bis sie mitkriegt, dass er sie getäuscht hat. Emilia und Ella queren auch seinen Weg. Der Rest ist Kritikers Schweigen und Bewunderung. Vivisektion der Alltagsbösartigkeit.
6 (-)
Simone Buchholz: Hotel Cartagena
Suhrkamp, 230 Seiten, 15,95 Euro
Hamburg, Cartagena. Henning ist der Seemann, der nie wieder nach Hamburg zurückkommen will. Sein Glück findet er im kolumbianischen Cartagena, sein Unglück auch, das kommt aus der Hansestadt. Chastity und Freunde werden Geiseln eines großen Racheakts. „Überall schwarze Löcher.“ Blow out.
7 (7)
Adam Brookes: Der chinesische Verräter
Aus dem Englischen von Andreas Heckmann.
Suhrkamp, 402 Seiten, 15,95 Euro
Peking, London. Nach zwanzig Jahren gelingt Peanut die Flucht aus dem Arbeitslager. MI6 soll ihn rausholen, als Gegenleistung für Raketengeheimnisse. Korrespondent Philip Mangan wird widerwillig seine Kontaktperson. Die Gier der Geheimdienste bringt sie beinahe um. Pikanter Politthriller, China heute.
8 (-)
Norbert Horst: Bitterer Zorn
Goldmann, 320 Seiten; 13 Euro
Dortmund. Im Krieg zweier Clans wird ein Mädchen entführt. Ein junger Einbrecher ist auch verschwunden. Steiger behält im Dauerstress klaren Kopf und hat Ideen. Das Gesetz (des Handelns) halten andere in der Hand. Straßenrealistisch, seelengenau: Bei Norbert Horst wird Polizeialltag Literatur.
9 (-)
Lisa McInerney: Blutwunder
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
Liebeskind, 334 Seiten, 22 Euro
Cork. Nach „Glorreiche Ketzereien“ die Gangsterballade. Ryan Cusack möchte alles: Sauber bleiben, rumvögeln, Karine heiraten, leichtes Geld verdienen. Leider schert das die Gangsterbosse einen Dreck. Und so muss der Junge ohne Mutter sich von Frauen das Leben retten lassen. So ein Pech aber auch.
10 (-)
Hannelore Cayre: Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument-Verlag, 203 Seiten, 18 Euro
Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie? Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!
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Info:
John le Carré, Federball, Ullstein Verlag