c die alte1Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE IM Dezember,  Teil 2

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Rotzfrech und verwegen kommt Patience Portefeux daher, aber das sieht ihr erst mal keiner an, denn ihre Masche ist ihre Unauffälligkeit, ihre Durchschnittlichkeit, eben eine Alte zu sein, was ja nur heißt, eine Frau, die im Wettbewerb um Männer nicht mehr dabei ist, sich ausgeklinkt hat, wenn sie überhaupt je solche Ambitionen hatte. Wir vermuten und hoffen: nein!

Uns war Hannelore Cayre, Jahrgang 1963, überhaupt kein Begriff und sind jetzt neugierig, was die Strafverteidigerin aus Paris noch auf Lager hat. Denn es heißt, daß sie schon fünf Romane veröffentlicht hat. Der Klappentext spircht auch davon, daß sie als Schauspielerin gearbeitet hat, aber auch als Drehbuchschreiberin und als Regisseurin. Schon wenn man den Klappentext liest, denkt man sich, das klingt schon wie aus einem Krimi: viel unterwegs durch alle möglichen Arbeitsgebiete, 

Auch Paulus Hochgatterer FLIEGE FORT, FLIEGE FORT aus dem Verlag Deutikcke hat seinen dritten Platz, erstmals im November, halten können. Ein schräger Krimi, der so ganz solide daherkommt, es aber in sich hat! Simone Buchholz' HOTEL CARTAGENA aus dem Suhrkamp Verlag - übrigens haben auf der neuen Liste sowohl Suhrkamp wie auch Ariadne im Argument Verlag je zwei Titel !! - ist ganz leicht abgestiegen, vom Einstiegsplatz im November auf 6, steht sie nun auf Platz 8. Das ist ein Buch wie früher, damit ist gemeint, daß das Hamburger Milieu voll durchschlägt. Wer das alte St. Pauli kennt, findet alle Vorurteile und Urteile wieder. Die Hauptfigur ist auf Dauer für uns doch eine Person, die an unser Gerechtigkeitsgefühl appeliert, nein, nicht sie persönlich, aber ihr Schicksal ist mehr, als ein normaler Mensch verkraftet. So wird geschickt, aber mit Grund, in uns auch ein Gefühl für Revanche aufgebaut, so daß wir mit dem anfänglich tumben Helden doch immer mehr sympathisieren und seinen Feinden, die ihm so übel mitpsielen, das Allerschlechteste wünschen. Was eintritt. Also ein Krimi, der einen zufrieden macht. Und das Sentiment ist absolut unsentimental geschrieben. Das ist wichtig zu betonen, darin und in der seltsamen, auf jeden Fall unangepaßten Staatsanwältin Chastity Riley liegt das, was einen anzieht beim Lesen. Außerdem schön, daß drei deutsche Krimis auf Platz 3, 4 und 8 stehen. 

Den Platz 4 sind wir aber noch schuldig. Das ist mit  BITTERER ZORN, Norbert Horst aus dem Goldmannverlag, der im Vormonat auf Rang 8 einstieg und von uns noch ausführlich besprochen wird, zusammen mit den neuen Krimis, von denen es jetzt eine Übersicht gibt. Es sind vier neue Titel: ein deutscher, ein japanischer und zwei amerikanische Krimis. Tobias Gohlis hat das zusammengezählt und kommt auf: zusammen 1458 Seiten! und auf 2 weibliche und 2 männliche Schriftsteller. Das gilt für die Neuen! Insgesamt gilt für die ganze Liste von zehn Krimis: 6 männliche, 4 weibliche Autorinnen; vier deutsche, ein israelischer, ein französischer, ein englischer, drei amerikanische Krimis. 

DIE PUTZHILFE  von Regina Nössler aus dem Suhrkamp Verlag hat wieder mit dem Bedeutungsverlust von Frauen in niedrigen Beschäftigungsverhältnissen zu tun. Denn schon im Vorjahr hatte die Autorin mit SCHLEIERWOLKEN die Krimibestenliste erobert. Ihre jetzige Heldin verläßt ihren Mann, ihr Haus, ihre Heimat im kleinbürgerlichen Münsterland und kommt nach Berlin, wo sie erst einmal bei den den Abgehängten der deutschen Wohlstandsgesellschaft überwintert. Warum sie sich Marie Weber nennt, bzw. so genannt wird, als sie mitten im Museum als Putzhilfe engagiert wird, müssen wir noch herausfinden. Denn es heißt Marie und nicht Marianne, wie Max Webers Frau, von der wir einige Bücher haben. Mehr also demnächst. 

Manchmal werden die Autoren uns von hinten nach vorne bekannt. Denn der 1977 geborene Japaner Fuminori Nakamura hat DER REVOLVER, jetzt neu auf Platz 6 aus dem Verlag Diogenes, schon 2002 geschrieben, erschienen in Japan 2003 und zwar als Debüt. Dazwischen allerdings war er schon mit DER DIEB auf der Krimibestenliste 2015; ein weiterer Krimi heißt DIE MASKE. Erst einmal kommt uns der Student Student Tōru Nishikawa bekannt vor. Das hatten wir doch schon, die Wohlstandsdepression im wirtschaftlich starken Japan, die in so manchem jungen Mann das Gegenteil bewirkt, nämlich Lethargie und Stillstand, ja Verdruß über die gute Laune der anderen und ihren Aufstiegswillen. Ihm ist fad, was das alles soll, das ganze Leben, er versteht es nicht und es interessiert ihn auch nicht. Doch dann findet er einen Revolver und nicht nur das, auch einen Toten dazu. Hat er sich selbst erschossen oder ist er ein Opfer der dortigen Mafia? Wer weiß es, auf jeden Fall mischt dieser Revolver den ganzen Tōru Nishikawa auf, als ob die ganze Welt eine andere Farbe hätte. Jetzt ist ihm nimmer fad. Denn mit dem Revolver wird er zu einem anderen Mann, attraktiv und eher zugehörig der amerikansichen Killerelite statt den einheimischen japanischen Helden. Mehr demnächst. 

Früher stand James Lee Burke häufig auf der Krimibestenliste. Jetzt hat er mit MEIN NAME IST ROBICHEAUX einen so dicken Krimi vorgelegt, daß man auf einen Blick sieht, daß er daran ziemlich lange geschrieben  hat. Und wir daran lange lesen werden! Es geht um Robicheaux, der einen Mann umgebracht haben soll, von dem er aber selber nicht weiß, ob das stimmt. Die Situation in den Südstaaten ist brenzlig. Mehr wissen wir noch nicht. Aber Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß dieser Dave Robicheaux der Serienheld für James Lee Burke wurde, der ihm möglich machte, den Brotberuf zu lassen und sich aufs Schreiben zu konzentrieren. Erstmals trat er 1987 als Detective der Mordkomission von New Orleans auf, bleib das einen weiteren Krimi und wechselte dann auf den Posten im Sheriffbüro in New Iberia. Der Pendragon Verlag hat alle 20 Krimis, die bis 2012 erschienen sind, neu herausgegeben. Dies nun ist der 21. Band, auf den noch einer folgen wird. Der Autor wird am 5. Dezember 83 Jahre und ist mit seinen Büchern zum Chronisten der Südstaaten der USA von heute geworden, die auch eine Hochburg für den gegenwärtigen Präsidenten der USA darstellen.  

Bleibt bei den Neuen noch TRÜB von Sarah Schulman, Ariadne im Argument Verlag. Sie war schon früher eine Erfolgsautorin bei Ariadne. Jetzt trägt sie dazu bei, uns die gesellschaftlichen Hintergründe, die zu einem amerikanischen Präsidenten, wie dem gegenwärtigen führen, von der linksliberalen Gegenseite her zu erklären. Dazu paßt, daß das Ganze durch eine soziale Rehabilitierung in die richtigen Wege geleitet wird. Denn Maggie Terry, die Expolizistin, ist sauber geworden, hat erfolgreich einen Entzug durchgeführt  und tritt wieder an in einer Anwaltskanzlei, für die sie ermittelt. Auch hier demnächst mehr. 

Fortsetzung folgt

DIE KRIMIBESTENLISTE im DEZEMBER

1(4)
John le Carré
Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro

London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig
Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten
von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré
mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.

2(10)
Hannelore Cayre
Die Alte

Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument-Verlag, 203 Seiten, 18 Euro
Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr
Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg
Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie?
Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!

3(3)
Paulus Hochgatterer
Fliege fort, fliege fort
Deuticke, 286 Seiten, 23 Euro

„Furth am See“. Mehr Provinzstadtanalyse als Kriminalroman: Opfer von
Kinderheimgewalt nehmen sich das Recht zur Vergeltung, kommentiert und
observiert von Kripomann Kovacs und Psychiater Horn. Rassistenautos brennen,
Kinder werden entführt. Offen in alle menschlichen Richtungen, Lob der
Erzählfreiheit.

4(8)
Norbert Horst
Bitterer Zorn
Goldmann, 320 Seiten, 13 Euro

Dortmund. Im Krieg zweier Clans wird ein Mädchen entführt. Ein junger
Einbrecher ist auch verschwunden. Steiger behält im Dauerstress klaren Kopf
und hat Ideen. Das Gesetz (des Handelns) halten andere in der Hand. Straßenrealistisch, seelengenau: Bei Norbert Horst wird Polizeialltag Literatur.

5(–)
Regina Nössler
Die Putzhilfe
Konkursbuch, 402 Seiten, 12,90 Euro

Senden, Berlin-Neukölln. Klassenwechsel: Die promovierte Soziologin Franziska
lässt in der Münsterländer Provinz Mann und Haus hinter sich, taucht in Berlin
unter und verdingt sich als Putzhilfe. Raffiniertes Spiel mit Krimi- und Sozialklischees. Ganz aus der Perspektive dreier verstörter Frauen.

6(–)
Fuminori Nakamura
Der Revolver
Aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg.
Diogenes, 186 Seiten, 22 Euro

Tokio. Wer einen Revolver hat, schießt auch. Nishikawa hat einen gefunden, bei einem Mann, der sich vermutlich damit umgebracht hat. Jetzt übernimmt der Revolver den Mann. Nishikawas Inneres macht alles durch, was der Revolver will, dieses
Symbol des Todes, der Macht und der amerikanischen Kultur.

7(–)
James Lee Burke
Mein Name ist Robicheaux
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Pendragon, 600 Seiten, 22 Euro

New Iberia. Männerrivalität: Politiker Nightingale und Schriftsteller Broussard ringen um den wahren Süden, einer als Kandidat, einer als Filmemacher. Dazwischen
Robicheaux, der nicht weiß, ob er im Suff den Mann umgebracht hat, der seine
Frau tötete. Abgründe der Gewalt, vom Epiker aus Louisiana.

8(6)
Simone Buchholz
Hotel Cartagena
Suhrkamp, 230 Seiten, 15,95 Euro

Hamburg, Cartagena. Henning ist der Seemann, der nie wieder nach Hamburg
zurückkommen will. Sein Glück findet er im kolumbianischen Cartagena, sein
Unglück auch, das kommt aus der Hansestadt. Chastity und Freunde werden
Geiseln eines großen Racheakts. „Überall schwarze Löcher.“ Blow-out.

9(–)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument-Verlag, 270 Seiten, 20 Euro

New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre
zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Ex-Polizistin,
nach dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück
ins Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.

10(5)
Dror Mishani
Drei
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.
Diogenes, 336 Seiten, 24 Euro

Tel Aviv, Bukarest. Drei Frauen – immer derselbe Mann. Über ein Dating-Portal
für Geschiedene kommen Orna und Gil zusammen. Bis sie mitkriegt, dass er sie
getäuscht hat. Emilia und Ella queren auch seinen Weg. Der Rest ist Kritikers
Schweigen und Bewunderung. Vivisektion der Alltagsbösartigkeit.

Plätze im Dezember (Vormonat)

DIE JURY
Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank, „Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,„Crimemag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ | Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“ | Ulrich Noller, „Deutsche Welle“, WDR |Frank Rumpel, SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“


WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die Krimibestenliste
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Dezember 2019

An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.

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